Debatte über längere AKW-Laufzeiten
Was denkt die Landesregierung über längere AKW-Laufzeiten, um die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu reduzieren? Während die Grünen sehr skeptisch sind, fordert die CDU eine ergebnisoffene Prüfung.

Wie kann man unabhängiger von russischen Energielieferungen werden und gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleisten? Diese Frage wird auch in der baden-württembergischen Landesregierung kontrovers diskutiert. Vor allem die Grünen, für die der Ausstieg aus der Kernenergie zur DNA gehört, müssen sich angesichts des Krieges nun auch darüber Gedanken machen, ob sie ihre Position zur Kernenergie ändern. Wichtige Köpfe der Südwest-Partei stützen jedenfalls den Kurs von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der vor wenigen Tage erklärte, es gebe als Folge des Ukraine-Krieges bei der Energieversorgung keine Denktabus mehr.
Neckarwestheim II soll Ende 2022 abgeschaltet werden
Sollen also auch Atomkraftwerke länger laufen als geplant? Was ist mit dem vom Energieversorger EnBW betriebenen Kernkraftwerk Neckarwestheim II - einem der letzten drei Meiler Deutschlands, die Ende 2022 abgeschaltet werden sollen?
Das Stuttgarter Umweltministerium beruft sich auf die Vorprüfung Habecks. "Diese hat ergeben, dass eine Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus wohl keine sinnvolle Option zu sein scheint", erklärt eine Sprecherin. Zudem habe die EnBW mitgeteilt, dass sie eine Verlängerung für schwierig bis ausgeschlossen halte - dies schon allein aus technischen Gründen, sagt die Sprecherin weiter. Grund hierfür seien hochkomplexe technische Prozesse, Verträge mit Dienstleistern, aber auch die Verfügbarkeit von Brennelementen. Zudem seien die Gasimporte aus Russland so hoch, dass die Lücke durch Kernkraftwerke gar nicht geschlossen werden könne. Daher müsse der Bund ähnlich wie beim Öl eine staatliche Kohle- und Gasreserve anlegen.
Gas aus Russland weiter vorhanden
Aktuell, so die Sprecherin, seien in Baden-Württemberg "keine Anzeichen einer Zuspitzung bei der konkreten Versorgungslage ersichtlich". Gasflüsse aus Russland seien weiterhin vorhanden und die Versorgung der Kunden könne derzeit "uneingeschränkt gewährleistet werden". Auch bei der Stromversorgung gebe es keine Probleme. "Die Kohlespeicher der Kraftwerke sind gut gefüllt, Gaskraftwerke stehen weiterhin zur Verfügung", sagt sie.
CDU kann sich längere AKW-Laufzeiten vorstellen
In der CDU wird dies alles grundsätzlich ähnlich bewertet. So sagt auch Südwest-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), der Ausstieg aus der Kernenergie stehe nicht zur Disposition. Falls die Versorgungssicherheit nicht anders gewährleistet werden könne, müsse man "gleichwohl prüfen, ob einzelne Kernkraftanlagen länger als 2022 am Netz bleiben können", lässt sie allerdings über eine Sprecherin verlauten. Damit argumentiert sie eher wie Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU), der vor wenigen Tagen gegenüber der "Stuttgarter Zeitung" erklärte, es wäre sinnvoll, "die letzten drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke in Deutschland Ende des Jahres nicht abzuschalten". Das sei notwendig, um die Abhängigkeit von russischen Gasimporten nicht weiter zu erhöhen.
Hagel fordert "geopolitische Realpolitik"
Die CDU-Seite interpretiert Habecks Denkverbot-Aussage so, dass eine längere AKW-Laufzeit nicht vom Tisch ist. "Was heute zählt ist nicht politische Romantik, sondern geopolitische Realpolitik", sagt CDU-Landtagsfraktionschef Manuel Hagel. Sicher sei, dass der Energiebedarf - unter anderem durch die Dekarbonisierung - extrem ansteigen werde. Daher sei es "ganz richtig, auch die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ergebnisoffen zu prüfen".
"In der Summe halte ich das für keine sinnvolle Option", sagt Grünen-Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz zur Debatte über mögliche Laufzeitverlängerungen. Wichtig sei eine Diversifizierung der Lieferbeziehungen. "Zum Beispiel werden wir russische Kohle durch Kohlelieferungen vom Weltmarkt, unter anderem aus Kolumbien, ersetzen. Das dauert ein paar Wochen. Bis dahin werden wir mit vorgehaltenen Lagermengen in den Kraftwerken überbrücken", sagt Schwarz.
Große Einigkeit beim Ausbau erneuerbarer Energien
Völlige Einigkeit zwischen CDU und Grünen herrscht beim Ausbau der Erneuerbaren. "Das Gebot der Stunde ist es, die Energiewende und damit den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich schneller voranzutreiben", sagt Südwest-Umweltministerin Thekla Walker (Grüne). Doch können diese zeitnah einen Ausfall russischer Energieimporte ersetzen? Diese Frage bleibt offen.