Wird das Universum irgendwann zerrissen?
Das Universum dehnt sich immer schneller aus, lässt das kosmische Tempolimit der Lichtgeschwindigkeit hinter sich und wird irgendwann zerrissen. Oder doch nicht? Astronomen suchen Antworten und finden immer wieder Ungereimtheiten. Die große Unbekannte in der Gleichung: Dunkle Energie.

Die Pandemie hat unserer Zeit einen Teil ihrer Bedeutung geraubt. Seit mehr als einem Jahr passiert nicht mehr wirklich viel, ist das Leben bestenfalls auf die eigenen vier Wände begrenzt und trotzdem scheint die Zeit davonzufliegen. Stunden und Tage zerrinnen, ohne dass etwas passiert, Tage werden zu Wochen, Wochen zu Monaten, das Jahr ist fast unbemerkt vorbeigeschlichen, während die größte Aufregung die halbjährliche Umstellung der Uhrzeit war. "Zeit ist relativ", wissen wir seit Albert Einsteins Relativitätstheorie. Aber natürlich besteht unsere Zeit fort, die Uhren drehen sich unaufhörlich weiter. Irgendwann einmal aber könnten sie endgültig stehen bleiben, überall und für immer. Die Ursache? Dunkle Energie. Das Ergebnis: Der Big Rip, das große Zerreißen.
Ausdehnung des Universums nicht gleichmäßig
Das Universum dehnt sich zurzeit immer weiter aus. Dieser Fakt ist im Moment unstrittig, allerdings weisen Forschungsergebnisse darauf hin, dass das nicht gleichmäßig geschieht. Und dann wäre da ja noch die Ursache, die Dunkle Energie, von der wir im Prinzip nichts wissen. Nicht wissen, wo sie herkommt, nicht wissen, wie sie wirklich funktioniert, aber die wir überall vermuten. Das hört sich alles etwas nebensächlich an, das Problem ist nur, dass Dunkle Energie wohl so um 69 Prozent der gesamten Energie des Universums ausmacht. Es bedarf keiner großen Rechenkünste oder eines tieferen Verständnisses für die Kosmologie, um zu erkennen, dass etwas, das mehr als zwei Drittel der Energie besitzt, wichtig ist.
Nun ist das Universum ziemlich groß, selbst was wirklich schnell ist, benötigt Zeit. Mehr als 13 Milliarden Jahre zum Beispiel, wie das Licht, das wir von den entferntesten Galaxien auf der Erde sehen. Weil sich das Universum außerdem ausdehnt, ist es im Durchmesser nicht rund 26 Milliarden Lichtjahre groß, sondern mehr als 46 Milliarden Lichtjahre. In Kilometern ergibt das eine Zahl mit 23 Nullen. Diese Größe hat für die Menschheit etwas Beruhigendes. Die ist zwar gerade dabei, den eigenen Planeten in Rekordzeit zugrunde zu richten, aber aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Menschheit das Ende des Universums nicht mehr erleben. Verglichen mit den rund 13,8 Milliarden Jahren, die seit dem Urknall vergangen sind, ist die Menschheit mit ihren 20.000 bis 30.000 Jahren geradezu brandneu. Und spätestens wenn die Sonne in 5,5 Milliarden Jahren zu einem Roten Riesen geworden ist, verschwindet auch die Erde mit dem Rest des Sonnensystems von der Bildfläche.
Unser Universum könnte danach noch gut 22 Milliarden Jahre lang weiter bestehen, bevor es zum Big Rip kommt, dem großen Zerreißen. Aber ob es überhaupt soweit kommt, ist unklar. Das kosmische Standardmodell hat Schwächen und Lücken, und es könnte sein, dass es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in großen Teilen umgeschrieben werden muss.
Kosmische Apokalypse
Dem Universum wird also möglicherweise die galaktische Apokalypse des Big Rip erspart bleiben. 2003 haben Robert Caldwell, Marc Kamionkowski und Nevin Weinberg ein Papier publiziert, das aufzeigt, dass das Universum komplett zerrissen werden könnte. Und zwar von groß nach klein, zuerst Galaxien und Schwarze Löcher, dann Sterne, Planeten, Monde und am Ende Atome. Die Astrophysiker haben mit ihren Berechnungen gleich noch einen Zeitplan mitgeliefert. Demnach würden sich eine Milliarde Jahre vor der Apokalypse Galaxiecluster auflösen, 60 Millionen Jahre vor dem Ende wäre unsere Milchstraße dran. Drei Monate vor dem endgültigen Ende würde sich demnach das Sonnensystem auflösen, eine halbe Stunde vor Schluss explodiert die Erde, wenn noch 10-19 Sekunden (eine Null mit 19 Stellen hinter dem Komma) bleiben, träfe es Atome und dann wäre alles vorbei. Endgültig.
Der Raum, von einer noch unbekannten Energie so schnell auseinandergetrieben, dass er Überlichtgeschwindigkeit erreicht, hätte das kosmische Tempolimit hinter sich gelassen. Dann würden die kleinsten Teilchen, aus denen Atome gemacht sind, nicht mehr mit anderen Teilchen interagieren können, weil sie einfach zu langsam sind, selbst Licht wäre zu langsam, alles würde dunkel, alles wäre aufgelöst und könnte sich nie mehr verbinden. Zeit würde aufhören zu existieren.
Tatsächlich kann sich Raum schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnen. Albert Einsteins Relativitätstheorie sagt zwar, dass keine massebehafteten Teilchen jemals Lichtgeschwindigkeit erreichen können, weil der Energieaufwand dann unendlich groß werden würde, aber Raum an sich besitzt keine Masse. Der ab dem 17. Jahrhundert vermutete "Äther" als Substanz, in der sich das Licht ausbreitet, ist schon längst ad acta gelegt worden. Raum besitzt keine Masse, auch wenn das Vakuum im Raum nicht vollständig ist (eine mathematische Konsequenz der störungstheoretischen Behandlung der Teilchenphysik).
Dunkle Materie: Die große Unbekannte
"Vor ein paar Milliarden Jahren hätte niemand die Dunkle Energie bemerkt, weil sie damals noch nicht dominierend war." Thomas Reiprich forscht unter anderem zu Dunkler Energie und Dunkler Materie am Argelander-Institut für Astronomie an der Universität Bonn und er ist sich ziemlich sicher, dass wir auch derzeit noch nicht alles wissen. Bei Dunkler Energie und Materie sagt der Name nicht, dass sie schwarz sind, sondern vielmehr, dass niemand so genau weiß, was das ist. Man kann sie berechnen, man sieht, wie sie wirken, indem sie das Universum ausdehnen. Aber ob das ewig so weitergeht, wie die Eigenschaften dieser Kraft sind, da tappt die Wissenschaft im Dunkeln.
Und neuere Forschungen bringen nicht nur Licht ins physikalische Dunkel, sondern zeigen, dass das kosmische Modell mit seinen Erklärungen zu einfach ist – und fehlerbehaftet. Reiprich will sich deshalb auch nicht festlegen, wie das Universum enden wird. Neben dem Big Rip gibt es noch die Möglichkeit, dass es sich unendlich lange ausdehnt, bis es sozusagen ausgeglüht ist und kalt und dunkel wird, oder dass die Dunkle Energie irgendwann im Laufe der kommenden Jahrmilliarden an Kraft verliert und Gravitation die dominierende Kraft wird. Dann würde am Ende das ganze Universum wieder in sich zusammenstürzen und wäre bereit für einen neuen Urknall.
Dass die Forschung noch Neues entdecken muss, damit unser Bild des Universums irgendwann mal stimmig ist, steht außer Frage. So haben zum Beispiel Forscher am Institut von Thomas Reiprich in Bonn herausgefunden, dass sich das Universum möglicherweise nicht so gleichmäßig ausdehnt, wie bisher vermutet. Die gleichmäßige Verteilung der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung, einem Überbleibsel des ganz jungen Universums, legt nahe, dass damals die Ausdehnung des Raums gleichmäßig vonstattenging. Wenn das aber heute nicht mehr so ist, dann muss das einen Grund haben. Und der wird irgendwas mit Dunkler Energie zu tun haben. Was genau, das ist unklar. Die Untersuchung mit zunächst 300 Galaxiehaufen habe zu einer robusten Hypothese geführt, wie weitere Untersuchungen gezeigt haben, sagt Reiprich.
Bisher geht die Forschung davon aus, dass Dunkle Energie überall gleichmäßig wirkt. Überall heißt auch am morgendlichen Frühstückstisch, schließlich zieht da nicht die Dunkle Energie die Kaffeetasse auf der einen Seite vom Tisch. Stattdessen zerrt die Dunkle Energie von allen Seiten gleichzeitig an allen Gegenständen, an der Erde und der Sonne, an der Kaffeetasse und an jedem Atom. Eben weil Dunkle Energie überall gleichmäßig ist, bemerken wir sie nicht.
Die Suche nach Dunkler Energie indes findet nicht am Küchentisch statt, sondern im ganz großen Maßstab. Nur wer Milliarden Lichtjahre in die Vergangenheit des Universums schaut, sieht Unterschiede. Und demnächst soll das häufiger geschehen, denn wenn die Europäische Raumfahrtagentur ESA 2022 ihren Satellit Euclid ins Weltall bringt, dann soll er zehntausende Galaxiehaufen mit seinem Röntgenteleskop ins Visier nehmen und vermessen und so helfen, unser Verständnis von Dunkler Energie zu verbessern. Konkret soll die Mission etwa zehn Milliarden Jahre in die Vergangenheit blicken, auf den Zeitraum, in dem die Dunkle Energie die Vorherrschaft im Universum übernommen hat – und bis heute inne hat.
Dass sich in Zukunft noch grundlegende Annahmen der Astronomie ändern werden, davon ist Thomas Reiprich überzeugt. "Wir sind noch nicht am Ende unserer Weisheit. Wir werden noch etwas Neues finden", prophezeit der Wissenschaftler und gibt mit "einigen Jahren bis Jahrzehnten" auch gleich den Zeitrahmen vor.
Was war am Anfang?
Die Erforschung der Dunklen Energie hilft Wissenschaftlern nicht nur, das Ende des Universums zu betrachten, sondern soll auch dabei helfen, den Anfang des Universums besser zu verstehen. Vieles ist noch unklar. Der Urknall wird inzwischen als gegeben angesehen, aber da fangen die Probleme schon an. Unsere Physik kann derzeit nicht erklären, was genau damals geschehen ist. Nur so viel ist klar, der Urknall war keine Explosion und das Universum hat sich nicht in einen umgebenden Raum ausgedehnt. Was wir wissen ist, dass sich alles, was es gibt, vor etwa 13,8 Milliarden Jahren begonnen hat.








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