Einfach autofrei leben
Heiko Bielinski hat sich und seiner Familie in den letzten acht Jahren bewiesen, dass ein Leben ohne Auto ganz leicht sein kann. Zumindest in Städten wie München, wo Bielinski lebt. Aufgewachsen ist er im Hohenlohekreis, wo man, das weiß auch der Blogger, bis heute aufs Auto angewiesen ist.

Genervt vom Auto - das waren Heiko Bielinski und seine Frau erstmals vor zehn Jahren. 2013 entschied sich die vierköpfige Familie dann zum endgültigen Abschied vom eigenen Wagen. Seither greift sie auf Carsharing, Fahrräder oder aber die Bahn zurück, wenn es darum geht, weitere Strecken zurückzulegen. Einfach autofrei leben ist in München kein Problem, stellt Bielinski in seinem gleichnamigen Buch fest. Aber gilt das auch in Regionen wie Heilbronn oder Hohenlohe?
Wann haben Sie Ihren Führerschein gemacht?
Heiko Bielinski: Gleich mit 18 Jahren, so wie es damals auf dem Land üblich war.
Und was bedeutete der rosafarbene Lappen für Sie?
Bielinski: Totale Befreiung - davor war ich auf Freunde, die schon ihren Führerschein hatten, oder aber meine Eltern angewiesen. Das ist kurz vor der Volljährigkeit eher nicht so schön, wenn die Eltern einen noch ins Kino fahren müssen.
Heute sehen Sie es anders?
Bielinski: Das Gefühl von damals kann ich heute noch nachvollziehen. Da sich meine Umstände aber geändert haben und ich jetzt mit meiner Familie nicht mehr auf dem Land wohne, bedeutet ein Auto keine Freiheit mehr für mich.
2013 haben Sie Ihr Auto abgeschafft. Besuchen Sie Ihre Eltern seither nicht mehr, die noch im 500-Seelen-Örtchen Crispenhofen in Hohenlohe leben?
Bielinski: Nein, natürlich nicht. Dass wir kein Auto mehr besitzen, bedeutet ja nicht, dass wir kein Auto mehr nutzen. Im konkreten Fall: Wenn ich meine Eltern besuche, ist es schwierig, mit dem Zug anzureisen. Mache ich auch manchmal, aber dann bin ich wieder so abhängig wie damals und meine Eltern müssen mich vom Bahnhof abholen, weil die Anbindungen total schlecht sind. Wir fahren deshalb ganz oft mit einem Carsharing-Auto zu meinen Eltern.
Ist Carsharing ein Luxus, den man hat, wenn man in einer Großstadt wie München wohnt?
Bielinski: Es ist ein Privileg, wenn man solche Angebote zur Verfügung hat. Viele denke, dass es Carsharing nur in den Metropolen wie Berlin, Hamburg oder München gibt. Dabei gibt es zwei unterschiedliche Modelle - das eine ist das sogenannte Free-Floating, bei dem Autos spontan innerhalb eines bestimmten Gebiets ausgeliehen werden können und keinen festen Stellplatz haben. Das haben wir in den zurückliegenden acht, neun Jahren aber fast gar nicht genutzt.
Welches Carsharing-Modell wählen Sie?
Bielinski: Wichtig für uns als Familie ist ein stationärer Anbieter, sprich die Autos stehen immer in der selben Tiefgarage, immer auf demselben Parkplatz. Da gehen wir hin, holen uns das Auto und stellen es am Ende wieder dort ab. Das ersetzt 1:1 unseren privaten Pkw. Die Versorgung mit solchen Anbietern ist tatsächlich in kleineren und mittleren Städten besser als gedacht.
Viele Menschen können sich dennoch nicht vorstellen, ihr Auto ganz abzuschaffen und sich von solchen Dienstleistern wie Carsharing-Anbietern abhängig zu machen. Was entgegnen Sie diesen Skeptikern und deren Ängsten?
Bielinski: Ich würde grundsätzlich einmal sagen, dass nicht jeder sein Auto abschaffen kann. Für uns hat es sich aber gerechnet. Da würde ich als erstes die emotionalen Kosten nennen - wir haben uns geärgert, wenn wir keinen Parkplatz gefunden haben, wir mussten uns ständig ums Auto kümmern. Das fällt jetzt alles weg, wir sind komplett befreit. Gleichzeitig haben wir immer noch eigene Autos - wir holen die ab und geben sie wieder zurück. Und danach kümmert sich aber jemand anderes um den TÜV, den Reifenwechsel. Das war unsere Hauptmotivation, das Auto abzuschaffen. Ein weiterer Grund ist: Wir sparen Geld.
Tatsächlich?
Bielinski: Ja, wir haben, bevor wir unser Auto verkauft haben, ausgerechnet, was es uns im Jahr bei unserer Fahrleistung kostet. Und wir waren seit dem Verkauf mit unserem neuen Mobilitätsmix immer unter diesen Kosten. Die meisten Autofahrer rechnen nur die Benzinkosten und vielleicht noch die Versicherungen mit rein. Werkstattkosten habe ich zum Beispiel früher auch immer ziemlich schnell verdrängt. Die waren meistens höher als gedacht. Der riesige Faktor, den viele Autobesitzer gar nicht auf dem Schirm haben, ist aber der Wertverlust des Wagens. Wir sparen heute teilweise bis zu 1000 Euro im Jahr, wenn man alles zusammen ausrechnet. Ich treffe da häufig auf Ungläubigkeit, aber auch der ADAC hat auf seiner Homepage einen Autokostenrechner. Der Benzinpreis macht in der Regel nur maximal ein Viertel der monatlichen Kosten aus. Alles andere sind Fixkosten. Die sparen wir jetzt alle, weil wir ein Auto nur noch bezahlen, wenn wir es tatsächlich benutzen und nicht, wenn es rumsteht.
Aber verlieren Sie nicht Zeit?
Bielinski: Das Buchen eines Carsharing-Autos ist so einfach und schnell, wie eine Pizza mit einer App zu bestellen. Früher mussten wir unser Auto im Viertel suchen, heute gehen wir in die immer gleiche Tiefgarage, wo das Carsharing-Auto steht. Das ist ein minimaler zeitlicher Mehraufwand. Gleichzeitig sparen wir Zeit, weil die Kümmersachen wie Werkstatt, TÜV entfallen. Auch die Zeit, die wir für Mobilität arbeiten, ist jetzt geringer. Es hängt von der Strecke und der Verbindung ab, aber häufig ist auch der Zug schneller als das Auto - und wenn es doch mal länger dauert, dann ist der Zug komfortabler.
Trotz der Verspätungen bei der Bahn?
Bielinski: Klar, die gibt es. Aber jedes Mal, wenn ich einen verspäteten Zug habe, denke ich an meinen letzten Stau auf der Autobahn, in dem ich stand. Den vergisst man häufig, wenn man dann am Ziel angekommen ist. Im Auto als Fahrer kann ich nichts machen, im Zug kann ich einen Film schauen, mit den Kindern Karten spielen und zur Toilette gehen.
Zurück in die Stadt, den urbanen Raum: Was wäre dort Ihr Modell der Zukunft?
Bielinski: Im ländlichen Raum wie im Hohenlohekreis ist es vermutlich nicht das große Problem, aber in Städten wie München gibt es eine große Flächenungerechtigkeit. Erst als ich das Auto verkauft hatte und einen anderen Blick auf das Thema bekommen habe, wurde mir bewusst, dass Autos relativ viel Platz wegnehmen, so zehn bis 15 Quadratmeter pro Parkplatz. Und die meiste Zeit stehen sie nur rum. Durchschnittlich wird ein Auto nur eine Stunde am Tag bewegt. Mit dem Blick von oben ist es eigentlich Wahnsinn, dass wir so viel Fläche für rumstehendes Blech zur Verfügung stellen - alternativ könnte man Platz für Fahrräder schaffen, für sicheren Radverkehr. Und Begegnungsräume - wo sich Menschen treffen könnten, ohne zu konsumieren, einfach Nachbarschaftstreffs, Grünflächen. In einer solchen Stadt könnte man die Kinder so wie früher in den 60er-Jahren wieder alleine mit dem Fahrrad rausschicken, ohne Angst haben zu müssen, dass ein Unfall passiert.
Haben Sie die zurückliegenden Jahren eigentlich als Verzicht erlebt?
Bielinski: Ich versuche, den Begriff zu vermeiden. Unser Ansatz war ziemlich egoistisch und nicht, zum Beispiel der Umwelt etwas Gutes tun zu wollen. Wir wollten etwas dazugewinnen. Wir waren genervt vom Auto, wir wollten nicht mehr so viel Geld dafür ausgeben.
Meinen Sie, Ihre Kinder werden in ein paar Jahren noch den Führerschein machen?
Bielinski: Das überlege ich auch oft. Als wir unser Auto verkauft haben, waren sie sehr traurig - es war ein Familienmitglied. Mittlerweile hat bei ihnen ein Umdenken stattgefunden und sie fahren lieber mit dem Zug als dem engen Auto.
Zur Person
Heiko Bielinski ist Jahrgang 1975. Aufgewachsen ist er in Crispenhofen, einem Ortsteil der Gemeinde Weißbach im Hohenlohekreis. Heute arbeitet er als Online-Redakteur im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Stadt München. Der 46-Jährige hat eine zwölfjährige Tochter und einen 14 Jahre alten Sohn. Im März erschien sein Buch "#Einfach autofrei leben" (Südwest, 18 Euro). In seinem Blog (http://www.bielinski.de) schreibt er regelmäßig über seine Mobilitätserfahrungen.
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