"Ich halte flexible Lösungen für sinnvoller"
Hochschulprofessor und Verkehrsexperte Tobias Bernecker erklärt, wie es auf den Straßen endlich flotter vorangehen könnte

Es wirkt wie eine unlösbare Aufgabe: Wie kann der Verkehr auf den Straßen der Region zum Fließen gebracht werden, wo er so oft stockt? Von der Autobahn über die Allee bis zur 30er-Zone im Wohngebiet? Darüber haben wir mit dem Verkehrsexperten Tobias Bernecker von der Hochschule Heilbronn gesprochen. Er ist Professor für Verkehrswirtschaft und Verkehrspolitik.
Wie fahren Sie in den Urlaub, Herr Bernecker?
Tobias Bernecker: Mit dem Auto.
Wo denken Sie, im Stau zu stehen?
Bernecker: Die vielen Baustellen bieten viele Gelegenheiten.
Jetzt wüsste ich von Ihnen gerne, wie es auf den Straßen flüssiger zugehen könnte - auch auf der Autobahn.
Bernecker: In meiner Wahrnehmung überschneiden sich derzeit viele Baustellen zeitlich ungünstig, weil man notwendige Arbeiten nicht angegangen ist. Das ist schlecht koordiniert. Wenn man vor zehn Jahren angefangen hätte, die Neckarbrücke zu sanieren, hätte man die Arbeiten besser planen können und die sechs Fahrstreifen wären zu halten gewesen. Jetzt passiert vieles gleichzeitig, weil der Straßenzustand keinen Aufschub erlaubt. Und es ist im Moment relativ viel Geld da, das verbaut werden muss. Dass die Maßnahmen notwendig sind, ist unbestritten, besonders nach einer Katastrophe wie der in Genua.
Nicht nur den Verkehrsfluss, sondern auch Menschenleben gefährden die vielen Lkw-Unfälle in letzter Zeit.
Bernecker: Auch wenn Baustellen immer Provisorien bedeuten, ist es wichtig, dass auch dort ausreichend breite Fahrstreifen zur Verfügung stehen. Und dass die Sicherheitsabstände eingehalten werden. Vorhandene Systeme für Lkw müssen auch genutzt werden, vor allem die, die den Abstand überwachen.
Muss man die Geschwindigkeit beschränken, um Geschwindigkeit zu erreichen?
Bernecker: Also auf den eben erwähnten Autobahnen und den Baustellen dort ist die rechtzeitige Reduzierung der Geschwindigkeit im Zulauf auf die Baustelle sehr wichtig. Die Schilder müssen aber auch beachtet werden. Würden sich die Leute daran halten, gäbe es viele der Auffahrunfälle nicht, von denen wir alle paar Tage in der Zeitung lesen. Jeder verhinderte Unfall ist ein Beitrag zu besser fließendem Verkehr. Aber mehr Flexibilität wäre gut.
Was meinen Sie damit?

Bernecker: Am Weinsberger Kreuz zum Beispiel wäre für den Verkehrsfluss aus meiner Sicht eine Begrenzung auf 80 Stundenkilometer während der Hauptverkehrszeit gut. In der Nacht oder am Wochenende wäre das aber blanke Schikane. Das Problem ist, dass das klassische Verkehrsschild statisch ist und sich über Ergänzungen zum Beispiel mit Uhrzeitenregelungen nur begrenzt erweitern lässt. Schilderbrücken mit der Verkehrssituation angepassten Anzeigen halte ich für eine gute Alternative. Wie auf der A 81 und A 8 zwischen Ludwigsburg und Esslingen. Sie müssen aber zuverlässig funktionieren.
Wie sieht es mit dem Pendlerverkehr morgens und abends aus? Für Schilderbrücken könnte es eng werden.
Bernecker: Wir werden die bestehende Straßeninfrastruktur nicht beliebig erweitern können. Deswegen ist es wichtig, dass mehr Menschen ein Fahrzeug nutzen, zum Beispiel, indem der ÖPNV weiter gestärkt wird oder Pkw-Mitnahmekonzepte nicht nur diskutiert, sondern umgesetzt werden. Auch der Radverkehr muss unbedingt weiter vorangebracht werden.
Flexible Anzeigetafeln für die Autobahnen... Bekommt man mit solchen Anlagen auch den Stadtverkehr besser ins Rollen?
Bernecker: Dort müssen es ja keine so großen Tafeln sein, sie würden das Stadtbild doch sehr beeinträchtigen. Aber flexible Regelungen können in der Stadt helfen. Auch wenn es nicht jeder gerne hört, kosten zum Beispiel feste Fahrspuren nur für Busse wertvollen Straßenraum und man sollte genau überlegen, wo sie das passende Mittel sind. Generell sind getrennte Verkehrsflächen statisch und platzaufwendig. Die Fläche ist in der Stadt das knappste Gut, deswegen halte ich flexible Lösungen für sinnvoller.
Welche könnten das sein?
Bernecker: Man kann zum Beispiel darüber nachdenken, Fahrspuren nach Uhrzeiten einzusetzen. Mal in die eine, mal in die andere Richtung. Manche Städte machen das schon. Gute Erfahrungen gibt es auch mit gemeinsam genutzten Flächen in eher ruhigen Gegenden. Relativ langsam fließender Verkehr funktioniert dort, wo es keine Regulierung gibt, erstaunlich gut. Problematisch wird es immer dann, wenn unterschiedliche Geschwindigkeiten gegeben sind.
Zwischen den einzelnen Verkehrsteilnehmern?
Bernecker: Genau. Im Fall der Busspuren können zum Beispiel gefährliche Situationen auch für Radfahrer entstehen, wenn Busse rechts an mehr oder weniger stehenden Autos vorbeifahren. Seit langem bekannt ist auch die sogenannte grüne Welle, bei der bei einer bestimmten Geschwindigkeit alle Ampeln auf Grün stehen. Das klingt gut, funktioniert aber nur, wenn die Autofahrer diese Geschwindigkeit auch konstant erreichen. Es darf nicht zu viele Störfaktoren geben.
An welche denken Sie?
Bernecker: Sobald Geschwindigkeitsdifferenzen entstehen, sinkt die Leistungsfähigkeit der Straße. Wenn jemand einen Parkplatz am Straßenrand sucht, fährt er langsam. Solcher Suchverkehr stört aber gerade auf Durchgangsstraßen den Fluss. Eine Anzeige wäre gut, die gleich signalisiert, hier muss man es mit der Parkplatzsuche gar nicht erst probieren. Vielleicht mit grünen oder roten Lämpchen, wie auf Parkplätzen von großen Supermärkten. Auch Fahrzeuge, die in der zweiten Reihe abgestellt werden, bremsen. Da muss man über Möglichkeiten nachdenken, wo zum Beispiel der Lieferverkehr Platz zum kurzfristigen Halten findet. Das muss gar nicht teuer sein.
Würden automatisierte Fahrzeuge nicht alle Probleme lösen?
Bernecker: Ja. Aber erst, wenn nur noch vollautomatisierte Fahrzeuge unterwegs sind, die intelligent miteinander kommunizieren. Solange es Mischbetrieb gibt, bleibt es kompliziert. Die derzeitigen Systeme sind für den Verkehrsfluss noch eher hinderlich, weil sich jedes Auto mit seinen Sensoren am Fahrzeug davor orientiert und einen bestimmten Abstand oder eine bestimmte Geschwindigkeit einhält. Für die digitale Vorausschau zur Optimierung des Verkehrsflusses benötigen wir Fahrzeuge, die auch über größere Entfernungen untereinander Informationen austauschen können.
Wie wichtig ist bei allen Schildern und Leuchttafeln das Verhalten des Fahrers für den fließenden Verkehr?
Bernecker: Der erste Paragraf der Straßenverkehrsordnung gerät zu oft in Vergessenheit. Da geht es unter anderem um gegenseitige Rücksicht. Es gibt Millionenstädte, da ist das Verkehrssystem viel überlasteter und chaotischer als hier, trotzdem klappt das mit der Rücksicht besser, weil alle wissen, dass es ohne nicht geht. Ein Kollege hat beeindruckende Geschichten aus indischen Metropolen wie Mumbai oder Bangalore erzählt. Hierzulande sehe ich leider eher einen gegenteiligen Trend, hin zu mehr Konfrontation, mit immer mehr großen, schweren Autos und eine beachtliche Grundgenervtheit. Für den Verkehrsfluss ist das schlecht, der würde von kooperativem Verhalten auf jeden Fall profitieren.
Zur Person
Tobias Bernecker wurde 1976 in Bad Urach geboren. Nach dem Abitur in Reutlingen studierte er technisch orientierte Betriebswirtschaftslehre in Stuttgart. Im Anschluss arbeitete er im Landesverkehrsministerium, bevor er 2011 als Professor für Verkehrswirtschaft und Verkehrspolitik an die Hochschule Heilbronn wechselte. Seine Schwerpunkte sind unter anderem verkehrslogistische Fragen und die Finanzierung von Infrastruktur.