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Ärzteversorgung im Raum Künzelsau mutet paradox an

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In den Augen der Planer herrscht in der Kreisstadt und Umgebung kein Ärztemangel, in der Wahrnehmung der Bürger schon. Wie kann das sein?

In Künzelsau und Umgebung dürfen nur eine bestimmte Zahl von Ärzten praktizieren. Ein ambulantes Gesundheitszentrum aufzubauen, ist deshalb gar nicht so einfach. Viele Bürger fühlen sich von der Politik und der BBT-Gruppe verschaukelt.
Foto: dpa
In Künzelsau und Umgebung dürfen nur eine bestimmte Zahl von Ärzten praktizieren. Ein ambulantes Gesundheitszentrum aufzubauen, ist deshalb gar nicht so einfach. Viele Bürger fühlen sich von der Politik und der BBT-Gruppe verschaukelt. Foto: dpa  Foto: AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG

Nach der Schließung des Krankenhauses in Künzelsau war die Hoffnung groß, dass wenigstens das versprochene Gesundheitszentrum die ambulante Versorgung stärkt und mit der stationären Behandlung in der neu geordneten und bald auch neu gebauten Öhringer Klinik verzahnt.

Doch von alldem ist in der Kreisstadt bislang wenig angekommen. Am Montag will die BBT-Gruppe ein neues Konzept vorlegen, wie das ambulante Gesundheitszentrum auf dem Areal der ehemaligen Klinik endlich in Schwung kommen soll. Der Kreistag hatte dem Mehrheitseigner der Hohenloher Krankenhaus-Gesellschaft Ende letzten Jahres mächtig Dampf gemacht - und gedroht, das für 2022 erwartete Betriebsdefizit der Klinik in Höhe von 3,75 Millionen Euro erst zu erstatten, wenn bis Sommer 2023 ein schlüssiger Entwurf vorliegt.


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Es gibt ein fixes Kontingent an Arzt-Sitzen

Dass sich seit dem Klinik-Aus im November 2019 nicht plötzlich mehr Fach- oder Hausärzte neu in Künzelsau angesiedelt haben, nur weil die BBT-Gruppe und der Kreis ein starkes ambulantes Gesundheitszentrum in Aussicht gestellt haben, liegt vor allem daran, dass jeder Kreis nur eine bestimmte Zahl an Fachärzten und der Raum Künzelsau genauso wie die Region Öhringen nur ein fixes Kontingent an Hausärzten haben darf. Dies wird regelmäßig von einem speziellen Landesausschuss neu verhandelt, dem Vertreter der Ärzteschaft und Krankenkassen angehören. Und viel Bewegung gab es hier in den vergangenen Jahren nicht.

MVZ in Künzelsau kocht bis heute auf Sparflamme

Zudem dachten die meisten niedergelassenen Ärzte im Raum Künzelsau gar nicht daran, ihre Sitze an die BBT-Gruppe abzutreten und Teil des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) zu werden, in dem Ärzte nur noch angestellt und nicht mehr eigenständig sind. Daran hat sich bis heute nichts geändert, weshalb das MVZ auf Sparflamme kocht.


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Mit der Versorgungsrealität vor Ort haben die Versorgungsgrade oft wenig gemein

Die für die Zahl der Hausärzte im Raum Künzelsau und Öhringen sowie die Zahl der Fachärzte im Hohenlohekreis entscheidende "Bedarfsplanung" ist eine rein rechnerische Größe, die gesetzlich vorgegeben ist und sich an der aktuellen Einwohnerzahl orientiert. Mit den Realitäten vor Ort haben die damit ermittelten "Versorgungsgrade" allzu oft nur wenig zu tun. Denn der Teufel steckt im Detail. Die Planungsgebiete für Fachärzte umfassen immer ganze Kreise - und die für Hausärzte zwei oder drei Regionen: so wie im Hohenlohekreis mit Öhringen und Künzelsau. Letzterer gehören von Dörzbach bis Weißbach gleich zehn Kommunen an, deren Größe und Lage höchst unterschiedlich sind.

Das sind die Gründe für den Ärztemangel

Die meisten Haus- und Fachärzte konzentrieren sich naturgemäß in der Stadt Künzelsau, müssen aber auch Patienten aus der Umgebung mit versorgen. Kein Wunder also, dass in der Kreisstadt und Umgebung immer mehr frustrierte Patienten klagen: Ich finde keinen Hausarzt oder Facharzt mehr. Weil die einen aufhören und keine Nachfolger finden oder junge Hausärzte per se nicht aufs Land wollen.


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Und weil die anderen gemäß Planung gar nicht mehr Praxen eröffnen dürfen oder die wenigen freien Sitze ebenfalls nicht besetzt werden können. "Hinzu kommt, dass die Fachärzte einer Budgetgrenze unterliegen, sie also nur eine bestimmte Zahl an Patienten vergütet bekommen", sagt Martina Tröscher von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). "Außerdem hat der Gesetzgeber die Neupatientenregelung zum 1. Januar 2023 gestrichen." Das heißt: "Für die durch Budgetierung und hohe Patientenzahlen stark belasteten Facharztpraxen entfällt der Anreiz, neue Patienten aufzunehmen."

Warum die Lage im Hohenlohe so verzwickt ist

Die räumliche Bedarfsplanung unterscheidet nicht zwischen sehr ländlichen und eher städtischen Regionen. Deshalb leiden in der Regel die einen und profitieren die anderen. Im Hohenlohekreis ist die Lage noch verzwickter als etwa in Heilbronn, weil eine ländliche Kreisstadt wie Künzelsau Mediziner kaum in Scharen anzieht, bei den Hausärzten im zehn Kommunen umfassenden Raum Künzelsau aber nur ein Sitz frei ist und diese Region laut Bedarfsplanung kurioserweise kurz davor steht, überversorgt zu sein. Die Künzelsauer Bürger und noch mehr die im strukturschwachen Jagsttal können sich darüber nur verwundert die Augen reiben.


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Andererseits sind für den gesamten Hohenlohekreis - und keine andere Berechnungsgrundlage gibt es - aktuell nur 6,5 Facharztsitze für HNO-Ärzte (2,5), Augenärzte, Psychotherapeuten (jeweils 0,5) sowie Kinder- und Jugendpsychiater (drei) frei, was Kochertäler und Jagsttäler noch mehr staunen lässt.

Das Hauptziel bleibt, Kosten zu sparen

Obwohl also die meisten Facharztbereiche den Stempel "überversorgt" tragen, klagen Patienten über Engpässe. Denn kleinräumige Problemzonen erfasst dieses System nicht. Es stammt aus einer Zeit, als es tatsächlich zu viele Praxen gab und Niederlassungen massiv begrenzt wurden. Seitdem wurde es nur punktuell angepasst, der aktuellen Lage wird es nicht gerecht. Das Hauptziel bleibt, Kosten zu sparen, um den Beitragssatz stabil zu halten.

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