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Heilbronner Raserprozess vor den Plädoyers – Analyse eines schockierenden Falls

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Der Raserprozess vor dem Heilbronner Landgericht steht kurz vor dem Ende der Beweisaufnahme. Bereits am Montag könnten die ersten Plädoyers folgen. War es heimtückischer Mord oder fahrlässige Tötung?

Bei dem Unfall in der Wollhausstraße starb ein 41 Jahre alter Mann. Der Fahrer des BMW muss sich vor dem Heilbronner Landgericht verantworten.
Bei dem Unfall in der Wollhausstraße starb ein 41 Jahre alter Mann. Der Fahrer des BMW muss sich vor dem Heilbronner Landgericht verantworten.  Foto: HSt-Archiv (groß) / Christiana Kunz (klein)

Handelt es sich um Mord? Oder um Totschlag? Oder war es womöglich eine fahrlässige Tötung? Eigentlich sollte im sogenannten Raser-Prozess vor dem Heilbronner Landgericht das Urteil schon vor mehr als einem Monat gefallen sein. Immer neue Anträge der Verteidigung und ein nicht erschienener Zeuge sorgen zuletzt aber dafür, dass sich die Verhandlung vor der zweiten Großen Jugendkammer mindestens bis in den April zieht.

Richter Alexander Lobmüller will das Verfahren zum Abschluss bringen. Bis kommenden Montag haben die Prozessbeteiligten jetzt noch Zeit, Beweisanträge zu stellen. Danach folgen die Plädoyers der Staatsanwaltschaft, vier Vertretern der Nebenkläger sowie den beiden Anwälten des Beschuldigten.

Unterschiedliche Auffassung im Heilbronner Raserprozess

Dabei wird es um die Frage gehen, wie die Tat des Angeklagten zu beurteilen sein wird. Dass der 21-jährige Heilbronner den tödlichen Unfall am 12. Februar vergangenen Jahres verursacht hat, bezweifelt im Gerichtssaal niemand. Auch die Verteidigung nicht, wie Rechtsanwältin Anke Stiefel-Bechdolf bereits mehrfach gesagt hat. Auch wenn sich der Angeklagte auf Anweisung seiner Anwälte zur Sache nicht äußern soll. Wie das Geschehen aber zu bewerten sein wird, darin sind mutmaßlich alle Prozessbeteiligten unterschiedlicher Auffassung.


Raserprozess: Staatsanwältin erhob Anklage unter anderem wegen Totschlags

Staatsanwältin Christiane Triaa warf dem Angeklagten beim Prozessauftakt Mitte August unter anderem Totschlag und dreifachen versuchten Totschlag vor. Zum Unfallzeitpunkt sei er mindestens mit 97 Stundenkilometern gefahren. Erlaubt sind in der Wollhausstraße aber nur 40 Stundenkilometer. Für die Anklagevertreterin wog auch der Umstand schwer, dass der damals 20 Jahre alte Unfallverursacher kurz vorher mit Tempo 70 beinahe eine Frau auf dem Zebrastreifen überfahren habe. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte er die "konkrete Gefahrenlage" erkennen müssen.

"Andere Autofahrer und Fußgänger waren ihm völlig gleichgültig", so die Staatsanwältin bei der Anklageverlesung. Er habe sich deshalb des Totschlags in Tateinheit mit dreifachem versuchtem Totschlag schuldig gemacht. Darüber hinaus wirft die Anklagebehörde dem Beschuldigten gefährliche Körperverletzung in drei Fällen sowie eine vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs vor. Zudem sei er ungeeignet, ein Fahrzeug zu führen. 

Urteil im Heilbronner Raserprozess? Richter bringen Mordmerkmal ins Spiel

Richter Lobmüller wies im Laufe des Verfahrens zweimal darauf hin, dass es sich auch um Mord und dreifachen versuchten Mord handeln könnte. Das erste Mal gleich zum Prozessauftakt. Um zu einem Mordurteil zu kommen, müssten die Richter in ihrer Begründung mindestens ein juristisches Mordmerkmal nachweisen. Konkret nannte Lobmüller zum Prozessauftakt das Merkmal der Heimtücke.

Dabei wäre auch zu klären, ob die Opfer dem Angriff arg- und damit hilflos ausgesetzt waren. Für diesen Fall hätte der Angeklagte schutzlose Menschen mit seiner Tat überrascht. Allein, dass er bei der deutlichen Geschwindigkeitsüberschreitung mit einem erheblichen Unfall hätte rechnen müssen und den Tod eines Menschen billigend in Kauf genommen hätte, reicht für ein Urteil wegen Mordes nicht aus.

Anwalt wehrt sich gegen den Begriff "Raser"

Während sich die Vertreter der Nebenklage bei der juristischen Bewertung des Verkehrsunfalls bislang bedeckt hielten, scheint es bei den Verteidigern Anke Stiefel-Bechdolf und Stefan Lay maximal auf fahrlässige Tötung hinauszulaufen. Zuletzt hatte Lay den Begriff "Raser" kritisiert. Denn der Gesetzgeber sehe auch einen Verstoß der fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung vor. Seinen Mandanten will er nicht als "Raser" tituliert wissen.

Bereits zuvor hatte Anke Stiefel-Bechdolf auf ein Urteil des Amtsgerichts Mühlhausen verwiesen. Die Richter dort hatten Mitte Februar einen 35 Jahre alten Mann wegen fahrlässiger Tötung zu vier Jahren Haft verurteilt. Er hatte im April 2023 auf der Bundesstraße 247 bei Bad Langensalza (Thüringen) alkoholisiert, mit erhöhter Geschwindigkeit und ohne Fahrerlaubnis einen Unfall verursacht, der sieben Menschen das Leben gekostet hat. Er verlor offenbar mit 130 Stundenkilometern in einer Linkskurve die Kontrolle über sein Fahrzeug.

Im Heilbronner Raserprozess spielt auch das Alter eine Rolle

Neben der Frage, wie der Unfall rechtlich zu beurteilen ist, spielt im Raser-Prozess vor dem Landgericht auch das Alter des Angeklagten eine Rolle. Zum Unfallzeitpunkt war er 20 Jahre alt und gilt damit als Heranwachsender, der unter Umständen nach Jugendrecht zu verurteilen ist. Der psychiatrische Sachverständige und die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe stuften ihn als entwicklungsverzögert ein. Diese Wertung sorgte bei den Anwälte der Nebenkläger für Widerspruch. Sie zweifeln das Gutachten des Sachverständigen an, weil er sich in einem Aufsatz grundsätzlich für die Anwendung von Jugendstrafrecht für Heranwachsende ausgesprochen hat. Am Ende entscheidet die Kammer.

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