Ein Prozess, der nicht enden will: Warum das Urteil gegen den Wollhaus-Raser erneut verschoben wurde
Der sogenannte Raser-Prozess vor dem Heilbronner Landgericht zieht sich weiter in die Länge. Der Angeklagte hat am Mittwoch das letzte Wort gesprochen. Wann das Urteil fallen könnte.

"Dieser Prozess wird wohl nie enden“, sagt eine der Prozessbeteiligten am Mittwoch und rollt mit den Augen. Tatsächlich sollte das Urteil im sogenannten Raser-Prozess vor dem Heilbronner Landgericht ursprünglich bereits im Februar gesprochen werden. Aber in der Verhandlung wird nach wie vor jeder Stein umgedreht. Und die Verteidigung stellt immer neue Anträge.
So auch am Mittwoch, als die Beweisaufnahme längst abgeschlossen war und die Anwälte ihre Plädoyers hielten. Auch der Angeklagte hatte sein Recht auf das letzte Wort genutzt. Ob es das aber gewesen sein wird, steht in den Sternen.
Raserprozess vor Landgericht Heilbronn: Verteidiger stellen weitere Hilfsanträge
Denn Richter Alexander Lobmüller hat das Datum für das Urteil erneut verschoben. Vom 16. auf den 22. April. Zunächst. Ob der Richterspruch dann aber auch tatsächlich fallen wird, ist derzeit unklar. Die zweite Große Jugendkammer prüft aktuell zwei neue Hilfsanträge der Verteidigung. Geben die Richter den Anträgen statt, sind weitere technische Sachverständigengutachten notwendig.
Ob dann nochmals kurze Plädoyers gehalten werden müssen und der Angeklagte nochmals das Recht auf das letzte Wort zugesprochen bekommt, scheint offen zu sein. Der Presserichter des Landgerichts hat in seiner aktuellen Information an die Medien jedenfalls vorsorglich schon mal weitere Termine bis in den Juli hinein verschickt.
Familienvater starb nach Raser-Unfall in Wollhausstraße am Unfallort
„Wir reden hier über lebenslänglich“, sagte Anke Stiefel-Bechdolf in ihrem Schlusswort am vergangenen Mittwoch. Keine Kleinigkeit also, über die gerichtet wird. Am 12. Februar 2023 hat der damals 20 Jahre alte Angeklagte mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit zuerst beinahe in der Wollhausstraße eine Frau auf dem Zebrastreifen überfahren. Trotzdem beschleunigte er seinen BMW weiter und krachte wenige Sekunden später mit knapp 100 Stundenkilometern in den Mercedes einer Familie, die gerade aus einer Tiefgaragenausfahrt fuhr. Der Familienvater starb am Unfallort. Seine Frau und die beiden Kinder wurden schwer verletzt.

Raserprozess am Landgericht Heilbronn: War es Mord oder fahrlässige Tötung?
War es Totschlag und dreifacher versuchter Totschlag, wie Staatsanwältin Christiane Triaa zunächst in der Anklageschrift Mitte August formulierte? Oder war es womöglich sogar Mord und dreifacher versuchter Mord, wie es die Staatsanwältin nach der Beweisaufnahme rund sieben Monate später sah? Und wie es auch die vier Anwälte der Nebenkläger in diesem Prozess nach 23 Verhandlungstagen sehen. Die beiden Verteidiger Anke Stiefel-Bechdolf und Stefan Lay plädierten auf eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung und dreifacher fahrlässiger Körperverletzung.
Keine leichte Entscheidung für die Kammer. Deren Vorsitzender Lobmüller hatte im Laufe der mittlerweile beinahe acht Monate andauernden Verhandlung zwei Mal den rechtlichen Hinweis erteilt, dass es sich um Mord und dreifachen versuchten Mord handeln könnte.

Landgericht Heilbronn müsste Mordmerkmale im Raserprozess nachweisen
Dass er den Tod eines anderen Menschen bei seiner rasanten Fahrt in der Wollhausstraße billigend in Kauf genommen haben könnte, reicht für ein Mordurteil nicht aus. Dafür müsste das Gericht dem Angeklagten mindestens bedingten Vorsatz und ein weiteres ein juristisches Mordmerkmal nachweisen können. Im Heilbronner Prozess käme „Heimtücke“ infrage. Wenn die Opfer nachweislich arglos und damit dem Angriff des Täters wehrlos ausgesetzt gewesen wären.
Urteile wegen Mordes nach einem tödlichen Unfall hat es in Deutschland schon mehrfach gegeben. Zuletzt in Wiesbaden Ende November 2023. Umgekehrt hat es auch Unfälle mit tödlichem Ausgang gegeben, deren Verursacher wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurden. Unter anderem bei einem Autounfall bei Bad Langensalza, bei dem sieben Menschen gestorben sind. Der Unfallverursacher ist ohne Fahrerlaubnis und alkoholisiert zu schnell gefahren und verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug. Das Amtsgericht Mühlhausen hat den 35-Jährigen im Februar zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Nachschulungen ließen Angeklagten im Raserprozess offenbar unbeeindruckt
Unbelehrbar sei der Angeklagte im Heilbronner Raser-Prozess. Mehrere Unfälle hatte er bereits verursacht. Auch fiel er immer wieder durch zu schnelles Fahren auf. Eine Nachschulung und ein Kurs wenige Monate vor dem tödlichen Unfall in der Wollhausstraße blieben offenbar ohne Wirkung. Der Angeklagte habe auch immer wieder die Erfahrung gemacht, dass er weitestgehend unverletzt geblieben ist. Das, so die Vertreter der Anklage und der Nebenkläger, könnte ihn auch Glauben gemacht haben, dass er auch bei einem Unfall mit Tempo 100 in einer 40er-Zone unverletzt bleiben würde, was einen bedingten Vorsatz wahrscheinlicher mache.
Dagegen verwahren sich die Verteidiger. „Niemand kann in den Kopf eines anderen sehen“, sagte Stefan Lay. Ein bedingter Vorsatz müsse zweifelsfrei bewiesen werden. Dass der Angeklagte nicht damit gerechnet haben dürfte, unverletzt aus einem solchen Unfall hervorzugehen, bestreiten seine Anwälte. Ein Sachverständiger solle deshalb nachweisen, wie groß die Wahrscheinlichkeit gewesen ist, dass der Beschuldigte und seine Beifahrerin bei einem Unfall mit dieser Geschwindigkeit hätten schwer verletzt oder gar getötet werden können.
Verurteilung nach Jugend- oder nach Erwachsenenstrafrecht
Neben der Frage, wie der Unfall rechtlich zu beurteilen ist, spielt im Raser-Prozess vor dem Landgericht auch das Alter des Angeklagten eine Rolle. Zum Unfallzeitpunkt war er 20 Jahre alt und gilt damit als Heranwachsender, der unter Umständen nach Jugendrecht zu verurteilen ist. Der psychiatrische Sachverständige und die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe stuften ihn als entwicklungsverzögert ein. Diese Wertung sorgte bei den Anwälte der Nebenkläger für Widerspruch. Sie zweifeln das Gutachten des Sachverständigen an, weil er sich in einem Aufsatz grundsätzlich für die Anwendung von Jugendstrafrecht für Heranwachsende ausgesprochen hat. Am Ende entscheidet die Kammer.



Stimme.de