Stimme+
Weihnachten 
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Warum in der Heilbronner Mühle der Hoffnung stundenlang Bescherung ist 

   | 
Lesezeit  3 Min
audio Anhören
Erfolgreich kopiert!

Heiligabend nüchtern zu ertragen, ist eine Herausforderung. Ehemals Süchtige in der Heilbronner Mühle erzählen von ihren ambivalenten Gefühlen zum Fest und warum sie dennoch Hoffnung haben. 


Externer Inhalt

Dieser externe Inhalt wird von einem Drittanbieter bereit gestellt. Aufgrund einer möglichen Datenübermittlung wird dieser Inhalt nicht dargestellt. Mehr Informationen finden Sie hierzu in der Datenschutzerklärung.

Abends geht in der Mühle der Hoffnung die Weihnachtsbeleuchtung an, an den Bäumen und dem Tannengrün baumeln die Christbaumkugeln, drinnen steht ein großes Gesteck mit Kerzen auf dem Esstisch. Nussecken, Kokos- und Haselnussmakronen: Viele Sorten Plätzchen haben die Bewohner gebacken. Es sind ehemals Süchtige, die hier ein Zuhause auf Zeit finden. 

Fest in der Heilbronner Mühle: Weihnachten ist eine heikle Zeit für die ehemals Süchtigen

Weihnachten ist eine heikle und emotional fragile Zeit für sie. Oft kommen schlimme Kindheitserfahrungen hoch. „Unter dem Jahr hat man sich gehasst und geschlagen, und dann hat man sich drei Tage lieb gehabt,“ erinnert sich Pascal Schmickel (20). „Das macht keinen Sinn. Es war so verlogen. “

In der Werkstatt ist es eisig kalt. Geduldig bearbeitet Jens M. Paletten. Der 55-Jährige baut Vogelhäuschen.  „Das ist gut, fördert das Team und macht Spaß“, sagt er. Seit zweieinhalb Jahren wohnt er in der Böllinger Mühle 1, gemeinsam mit acht weiteren ehemals Suchtkranken.

Grisu Neubeck (links) und Andy Neubeck mit Julia S. am geschmückten Esstisch der Mühle der Hoffnung. Julia S. freut sich, dass ihre Tochter zu Besuch kommt.
Grisu Neubeck (links) und Andy Neubeck mit Julia S. am geschmückten Esstisch der Mühle der Hoffnung. Julia S. freut sich, dass ihre Tochter zu Besuch kommt.  Foto: Berger, Mario

Die Anlage ist Teil des Obdachlosenangebots der Stadt Heilbronn. Der Aufenthalt ist freiwillig, aber für die, die kommen, gibt es Regeln: Keine Drogen, das Handy wird zu festen Zeiten abgegeben, die Arbeit, etwa in der Werkstatt, strukturiert den Tag. 

Zum dritten Mal ist er inzwischen hier. 40 Jahre war er opiatabhängig. Entzug, Substitution und eine lange Therapie hat er hinter sich. „Aber ich war vom Kopf her noch nicht so weit.“ In der Mühle hat er eine Art zu Hause gefunden.

Tiere spenden Trost in der Heilbronner Mühle

Die Tiere, die es hier gibt, und um die sich die Bewohner kümmern, helfen dabei. Schweine, Schafe, Igel und Krähen zum Aufpäppeln, Schildkröten, und, in Jens Fall: Hasen und Meerschweinchen.

„Anfangs waren es ,Viecher’“, sagt er, und es klingt fast liebevoll. „Inzwischen sind es ,meine Mädels’.“ Die Tiere sind wichtig, weil sie Trost spenden. Sie fördern die Empathie, und lehren die Bewohner, Verantwortung zu übernehmen. 

Weihnachten in der Mühle der Hoffnung: Die Bewohner, wie hier Roger M., machen in der Werkstatt Holzarbeiten und bauen Vogelhäuschen. Auch die Tiere im Stall zu versorgen, strukturiert ihren Tag.
Weihnachten in der Mühle der Hoffnung: Die Bewohner, wie hier Roger M., machen in der Werkstatt Holzarbeiten und bauen Vogelhäuschen. Auch die Tiere im Stall zu versorgen, strukturiert ihren Tag.  Foto: Berger, Mario

Heilbronner Mühle als Weg in die Gesellschaft – wie Weihnachten hier abläuft

Im Optimalfall soll die Mühle den Weg in die Gesellschaft weisen. Pascal Schmickel, groß, kurz geschorene Haare, ist auf gutem Weg dorthin. Am 11. Geburtstag mit Koks angefangen, schafft er an der Susanne-Finkbeiner-Schule knapp den Hauptschulabschluss, obwohl er in der sechsten Klasse von seiner alten Schule geflogen war.

Amphetamine wie Crystal Meth bestimmen lange sein Leben, nachts schläft er auf dem Feld. Inzwischen ist er im zweiten Lehrjahr bei Schneider Bau in Heilbronn. Notenschnitt: 1,2. Schmickel lächelt. „Das ist halt jetzt der Wille“, sagt er. „Dafür lohnt es sich zu leben.“

Ein Kollege will Gärtner werden, einer hat eine Lehre als Koch gemacht, eine ehemalige Bewohnerin ist Steuerfachgehilfin geworden. „Wenn zwei oder drei von neun den Weg heraus schaffen, ist das eine gute Quote“, sagt Harald Wild, Leiter Obdachlosenwesen der Stadt Heilbronn.

Das Projekt „Last Hope, Mühle der Hoffnung“ hat einige Trägerwechsel erlebt. Immer am Start als Betreuer war das Ehepaar Neubeck. Inzwischen, und nachdem es schwer war, erneut einen Träger zu finden, ist es seit einem Jahr beim Obdachlosenwesen der Stadt Heilbronn angedockt. „Wie die Jungfrau zum Kind“ sei er dazu gekommen, sagt dessen Leiter Harald Wild, der inzwischen das Projekt schätzt. Bis zu zwölf Personen können hier in Einzel- oder Mehrbettzimmern leben. Der Bezug ist persönlicher als in der Obdachlosenunterkunft Salzgrund, das Regelwerk strenger. Insgesamt gibt es in Heilbronn rund 80 städtische Plätze für Menschen ohne feste Bleibe. Neben dem Salzgrund sind es Wohnungen für Familien mit Kindern und die Mühle.   

Angebot in Heilbronner Mühle: Viele haben anfangs das Gefühl, nichts wert zu sein

„Weihnachten haben wir verstärkt Arbeit. Man spürt diese Traurigkeit“, sagt Grisu Neubeck, die mit ihrem Mann Andy Neubeck die Bewohner betreut. Manche sehen ihre Kinder nicht, weil sie bei Pflegefamilien oder beim Ex-Partner sind. Sie hadern mit verpassten Chancen und dem Gefühl, nichts wert zu sein.

„Früher, auf der Straße, haben die Leute sich dann einen durchgezogen und eine Flasche gekippt“, sagt Andy Neubeck, gelernter Koch und Metzger. Hier müsse man alles nüchtern durchstehen. „Manchem wird das zu viel.“ Zwei Bewohner sind vor ein paar Tagen gegangen. „Bei einem hatten wir das Gefühl, jetzt fängt er sich langsam. Aber dann kam der Einbruch.“

Drei kleine Wünsche und Kartoffelsalat: So läuft Heiligabend in der Heilbronner Mühle ab

Julia S. zumindest ist froh, dass ihre 19-jährige Tochter zu Besuch kommt, dass sie mit allen drei Kindern wieder Kontakt hat. „Momentan läuft es gut“, sagt die 41-Jährige. „Ich habe mir viel erarbeitet. Ich bin Gruppensprecherin, Küchenleitung und organisiere die Wildtieraufzucht mit.“

Möglichst stressfrei sollen sie sein, die Feiertage, sagt Grisu Neubeck. „Ein Bewohner hat hier zum ersten Mal im einen Baum geschmückt“, erzählt sie. „Das war ihm noch nie vergönnt, das ist für ihn der Höhepunkt.“

Zettel mit drei kleinen Wünschen sollen die Bewohner schreiben. An Heiligabend gibt es Kartoffelsalat, und die zuvor unter dem Baum gelagerten Geschenke werden nach und nach ausgepackt. Nur je eins nach dem anderen. Das dauert zwei bis drei Stunden. Denn das Zelebrieren und in die Länge ziehen dient der Ablenkung an einem herausfordernden Tag. 




Kommentare öffnen
Nach oben  Nach oben