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Ein Zuhause für Obdachlose in der Böllinger Mühle

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Vor einem knappen halben Jahr zog die Heilbronner Notunterkunft Neckarhalde in die frühere Böllinger Mühle. Mit viel Herzblut und Muskelkraft haben sich die Bedürftigen dort ein neues Zuhause geschaffen. Jeder Bewohner hat jetzt ein eigenes Zimmer und viel mehr Privatsphäre.

von Milva-Katharina Klöppel
Die Heilbronner Notunterkunft Neckarhalde ist in die frühere Böllinger Mühle umgezogen. Foto: Mario Berger
Die Heilbronner Notunterkunft Neckarhalde ist in die frühere Böllinger Mühle umgezogen. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Ein Bett, ein Tisch? Eine warme Mahlzeit oder aber eine Dusche, die den Dreck des Tages abspült - die Frage danach, was ein Mensch wirklich braucht, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Vielleicht fehlt es auch an ganz anderen, immateriellen Dingen? Ein Lichtblick für Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Nichts stehen, will "Last Hope - Mühle der Hoffnung" sein. "Zu uns kann jeder kommen, der obdachlos ist und ein Suchtproblem hat", erklärt Andy Neubeck, der gemeinsam mit seiner Frau Grisu die Unterkunft auf dem Gelände der früheren Böllinger Mühle in Heilbronn leitet. "Allerdings muss die Person den Willen haben, clean zu leben."

Klare Hausregeln

So steht es auch in den Hausregeln, die gut sichtbar für alle im Treppenhaus hängen: kein Alkohol, keine Drogen, keine Gewalt. Das galt bereits am alten Standort, in der "Notherberge Neckarhalde" beim gleichnamigen Heilbronner Freibad. Dort ermöglichte das Ehepaar Neubeck seit März 2020 bis zu zehn Frauen und Männern die Rückkehr in ein normales, suchtfreies Leben.

Damals noch in Kooperation mit der Aufbaugilde. "Ein Haus, in dem jeder ein eigenes Zimmer, seinen eigenen Raum hat" war schon damals Grisu Neubecks größter Wunsch. "Wir konnten im Sommer erst nach 20 Uhr duschen, wenn die Gäste des Freibads gegangen waren", erinnert sich die 53-Jährige. "Zum Teil mussten sich bis zu acht Männer einen Raum zum Schlafen teilen."

Ein Dach über dem Kopf

Auf Ordnung und Sauberkeit wird in der "Mühle der Hoffnung" viel Wert gelegt. Für Jens Steiner ist es hier wie in einer großen WG, nur familiärer. Fotos: Mario Berger
Auf Ordnung und Sauberkeit wird in der "Mühle der Hoffnung" viel Wert gelegt. Für Jens Steiner ist es hier wie in einer großen WG, nur familiärer. Fotos: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Die Zeiten sind mit dem Umzug in die Böllinger Mühle im Oktober vergangenen Jahres vorbei. "Ich durfte mein Zimmer nach meinen Wünschen einrichten", erzählt Ricky Angele mit immer noch strahlenden Augen. Knapp acht Jahre war der 30-Jährige ohne festen Wohnsitz. Fünf davon lebte er auf der Straße, schlief zum Beispiel unter der Rosenaubrücke am Neckar. Drei Jahre kam er bei Freunden und Bekannten unter. Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland ist einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) zufolge von 2018 bis 2020 um acht Prozent auf 256.000 Menschen gestiegen. Im Laufe des Jahres 2020 lebten demnach 45.000 Menschen auf der Straße.

Nicht jeder schafft den Absprung

Ricky Angele ist einer von nur zwei Bewohnern, die aus der Stadt mit auf das Anwesen gezogen sind, das direkt an der Umgehungsstraße nach Biberach liegt. Denn auch das gehört zur ganzen Wahrheit dazu: "Wir helfen jedem, aber wir zwingen niemanden zu bleiben", sagt Andy Neubeck. Manchmal ist das Verlangen nach dem, was jahrelang zum Alltag gehörte, einfach zu groß. Manchmal ist es die vermeintlich große Liebe, die einen Menschen zurück ins alte Leben zieht. Wenn jemand rückfällig wird, tue es sehr weh. "Aber auch wenn einer Mist gebaut hat, kann er jederzeit wiederkommen", ergänzt Neubeck, der 2015 im Erfrierungsschutz der Stadt Heilbronn angefangen hat und nicht nur aus Liebe zu seiner Frau bis heute geblieben ist.

Ganz ohne Papierkram geht es nicht: Andy und Grisu Neubeck.
Ganz ohne Papierkram geht es nicht: Andy und Grisu Neubeck.  Foto: Berger, Mario

Nicht nur, weil Bedürftigen "unbürokratisch, einfach und schnell" geholfen werden soll, ist das Büro der Mühle täglich rund um die Uhr besetzt. "Im Untergeschoss haben wir jetzt ein Büro und einen Aufenthaltsraum für zukünftige ehrenamtliche Mitarbeiter einrichten können", freut sich Grisu Neubeck. "Not kennt keine Bürozeiten" steht entsprechend auf dem Flyer der Nothilfe - dennoch wird schnell klar, dass der Einsatz der Neubecks weit über das Normalmaß hinausgeht. Jeden Freitag bietet die resolute Frau zudem mit "Daywalker" eine Selbsthilfegruppe für Suchtabhängige an. "Eine gemischte Gruppe aus Bewohnern der Mühle und externen Menschen, die ihre Sucht bekämpfen möchten."

Großer Einsatz

Ebenfalls vom Neckar an den Böllinger Bach mitgezogen ist Jens Steiner. Der 52-Jährige war viele Jahre heroinabhängig. Auch er weiß, welche Chance die Mühle für ihn bedeutet. "Wir haben hier ein Kleinod gefunden", so Steiner. Nicht ohne Stolz erinnert er sich an die zurückliegenden Monate, in denen sie zu fünft das runtergewirtschaftete Wohnhaus sowie den Garten wieder auf Vordermann brachten.

Den Durchbruch zwischen Küche und Gemeinschaftsraum haben die Bewohner selbst gemacht. Ricky Angele liebt es zu kochen.
Den Durchbruch zwischen Küche und Gemeinschaftsraum haben die Bewohner selbst gemacht. Ricky Angele liebt es zu kochen.  Foto: Berger, Mario

"Das muss uns erstmal einer nachmachen." Auf Facebook im Internet dokumentiert das Team unter dem Namen "Last Hope - Mühle der Hoffnung" von Beginn an die Veränderungen. "Vielleicht bekomme ich sogar eine Fischereierlaubnis", gehen Steiner die Ideen nicht aus. Jetzt muss aber erst einmal das Hochbeet hinter dem Schuppen mit dem Saatgut bestückt werden, das sie gestern geschenkt bekommen haben.


Wie wird das Projekt finanziert?

Die Mühle ist ein Projekt der Stadt Heilbronn in Kooperation mit der Lauk gGmbH. Die Bewohner zahlen monatlich 245 Euro Miete und einen Beitrag in Höhe von 150 Euro für Lebensmittel. Darüberhinaus ist das Projekt auf Spenden angewiesen. Gebraucht werden Arbeitskleidung und Werkzeug zum Zusammenzimmern von Holztieren und Palettenmöbeln. "Ein Benzinrasenmäher ist erst kürzlich gestorben." Wer etwas spenden möchte, kann sich unter 0173/2965552 nach dem Bedarf erkundigen.

 
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