Rund 531.600 Menschen sind deutschlandweit wohnungslos. Von diesen sind annähernd zwei Drittel männlich. Ein Drittel ist weiblich. So steht es im Wohnungslosenbericht der Bundesregierung für 2024. In Heilbronn gibt es von der Aufbaugilde neben Fachberatung und Tagesstätte ein Aufnahmehaus, ambulant betreutes Wohnen und ein Eingliederungsheim. Speziell für Frauen steht ein Kurzzeit-Schutzraum zur Verfügung. Außerdem gibt es die städtische Obdachlosenunterkunft im Salzgrund und die „Mühle der Hoffnung“.
Wohnungsnot in Heilbronn: Warum mehr Frauen auf der Straße landen
Sexuelle Übergriffe und Gewalt: Für Frauen ist das Leben auf der Straße in Heilbronn besonders hart. Eine ehemals von Obdachlosigkeit Betroffene erzählt.
Hans-Martin Klenk, Leiter des Unterstützungszentrums der Wohnungsnotfallhilfe der Aufbaugilde (uwi26), kennt solche Fälle. Die 71-Jährige, die wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde. Ein Jahr trotz guter Rente vergeblich eine Wohnung gesucht hat. Ihre Möbel schließlich einlagert und in der Not in einem Pensionszimmer untergekommen ist. Ihr Postfach hat sie seitdem bei der Wohnungsnotfallhilfe.
Oder die 17-Jährige, „ein nettes Mädchen“, deren Jugendhilfemaßnahme und Unterbringung mit Erreichen der Volljährigkeit endet. Wie soll es weitergehen mit ihr? Noch mehr als männliche Obdach- und Wohnungslose sind Frauen Gewalt und Übergriffen ausgesetzt.
Wohnungslos in Heilbronn: Obdachlose Frauen von Gewalt bedroht
841 Personen sind 2024 zur Beratung ins Unterstützungszentrum der Wohnungsnotfallhilfe der Aufbaugilde (uwi26) in die Wilhelmstraße gekommen. 241 waren Frauen, 35 mehr als im Jahr davor. Das Heilbronner Ordnungsamt schätzt die Zahl der Personen, die in der Stadt auf der Straße leben, auf rund 40. Dazu kommen verdeckt Wohnungslose, die sich bei wechselnden Bekanntschaften durchschlagen, in Gartenhäuschen oder Behelfsunterkünften schlafen. Auch Frauen sind darunter, Tendenz steigend.
Bei der Stadtsiedlung Wohnraum zu finden, diese Option hält Ann-Kathrin Assfalg, Referentin bei der Wohnungsnotfallhilfe, für kaum realistisch. Fast genauso utopisch wie schöne Zimmer auf dem freien Markt. Die möblierten Räume in Abbruchhäusern, die manche als Geschäftsmodell entdeckt hätten, und in die Wohnungslose mangels Alternative ziehen, seien „unter aller Kanone“. „Die Menschen bräuchten Appartements und ein bisschen Betreuung. Oder, wie Nadine, jemanden, der zuhört und vom normalen Leben erzählt. Das kennt sie gar nicht.“
Auch Nadine war früher auf der Straße. Ihren Nachnamen möchte sie lieber nicht in der Zeitung lesen. Enge Jeans, grauer Hoodie, dunkle Augen, die Haare hat sie zu einem kleinen Knoten hochgezwirbelt, einige Strähnen umrahmen ein sanftes schönes Gesicht. „Alle haben von ihr geschwärmt“, sagt Ann-Kathrin Assfalg. Nadines Hände sind gerötet und rau, sie wirken aufgedunsen. Erfrierungen hat sie auch an den Zehen, erzählt sie.
Wohnungsnot in Heilbronn: Schlafplatz mit Pfefferspray und Messer sichern
Früher hat auch sie in Heilbronn Plätze zum Schlafen gesucht. Allein. „Im Treppenhaus im K3, überall anders ist ja Security“, sagt die 43-jährige Mutter zweier Kinder. „Beim C&A im Treppenhaus der Garage oder im Treppenhaus im Kaufhof.“ Da sei es im Winter wenigstens warm gewesen. Meist hat sie auf ihren Kleidern geschlafen. Im Sommer auch im Freien. Pfefferspray und ein Messer hatte sie immer dabei. Zwei Mal ist sie fast vergewaltigt worden.
„Ständig wird man angesprochen, ,ich hätt’ was, wo es warm ist.’ Natürlich für eine sexuelle Gegenleistung. Dass sich eine Frau allein einen Platz sucht, ohne andere, die sie schützen, das sei ungewöhnlich, sagt Ann-Kathrin Assfalg. „Ich frage, warum sie nicht in den Weinberg gehen. In der Stadt ist es so gefährlich. Und die Ratten kriechen in den Schlafsack.“
Regelmäßig kommt Nadine zum Frühstück ins uwi 26, früher auch zum Duschen. Dankbar lächelt sie Hans-Martin Klenk an. „Gott sei Dank gibt’s euch.“ Aktuell ist sie nach sieben Monaten im Frauengefängnis in Schwäbisch Hall bei ihrer Mutter untergeschlüpft. Wegen einem halben Gramm Kokain saß sie ein, erzählt sie.
Endlich untergekommen: Ein Neuanfang bei der Mutter nach Haftstrafe und Drogenentzug
Auch ihre Mutter hat früher Drogen konsumiert. „Das ist vorbei“, sagt die Tochter. Und dass sie selbst jetzt unbedingt clean bleiben muss, weil sich nicht mehr das ganze Leben, jeder einzelne Tag nur noch um das Thema drehen darf. „Ich will stabil bleiben.“ Eine Friseurlehre hat sie einst abgebrochen. „Man bereut es erst später, wenn man alles hinschmeißt.“
Heute kann sie sich vorstellen, mit Senioren zu arbeiten. Ihr größter Wunsch für die Zukunft: „Eine eigene Wohnung und weg von der Straße zu sein.“


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