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Medizinische Versorgung
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Arme finden in der Region Heilbronn kaum Zugang zu Arztpraxen

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Bedürftige finden häufig keinen Hausarzt. Im Uwi 26 in Heilbronn versorgen Mediziner Wohnungslose und andere Patienten in prekärer Lebenssituation. Doch die Ärzte brauchen Verstärkung.

Ulrich Barthelmes und Edith Gbordzoe mit Patientin: Dr. Thomas Gehrig hat 2011 das Angebot initiiert, als viele die Praxisgebühr nicht zahlen konnten.
Ulrich Barthelmes und Edith Gbordzoe mit Patientin: Dr. Thomas Gehrig hat 2011 das Angebot initiiert, als viele die Praxisgebühr nicht zahlen konnten.  Foto: Christiana Kunz

Wo können Menschen ohne Krankenversicherung hin, wenn sie medizinische Versorgung brauchen? Im Unterstützungszentrum (Uwi 26) der Aufbaugilde in der Wilhelmstraße in Heilbronn behandeln fünf Ärzte im Ruhestand Patienten in prekärer Lebenssituation. Das ist einmalig in der Region. Der Bedarf nimmt zu, das Team braucht dringend Verstärkung.

"Keine Krankenversicherung zu haben, ist auch in der Prostitution ein sehr großes Problem", sagt Katrin Geih, Bereichskoordinatorin der Mitternachtsmission der Diakonie. Denn für Prostituierte fehlt eine solche Anlaufstelle. "Wir versuchen, nächstes Jahr mit der Stadt eine niederschwellige anonyme Krankenbehandlung aufzubauen."

Viel Betrieb beim Arztbesuch im Uwi 26 – Junge Frau schläft auf dem Sofa

Im Uwi 26 ist derweil viel Betrieb. "Die Ärzte? Die sind toll", sagt ein Mann mit schwer verletztem Ellenbogen. Mit seinen 58 Jahren ist er nicht alt, aber die Sucht hat ihm viele zusätzliche Jahre ins Gesicht geschnitten.

Im Eingangsbereich schläft eine Frau auf dem Sofa. 27 Jahre alt, vor wenigen Tagen zwangsgeräumt, hat die Polizei sie nachts um 23 Uhr den Ehrenamtlichen im Erfrierungsschutz übergeben. In der städtischen Obdachlosenunterkunft hat es nicht funktioniert. Sie leidet unter schweren psychischen Problemen.

Sucht und seelische Erkrankungen sind die Hauptprobleme der Uwi-Patienten

Psychiatrische Erkrankungen und Sucht: Das sind die Hauptthemen, mit denen die Patienten zu den Ärzten Ulrich Barthelmes und Edith Gbordzoe in die Sprechstunde im Gildetreff kommen. "Eine psychiatrische Behandlung zu bekommen ist sehr schwierig", sagt Edith Gbordzoe. "Viele Kranke sind medizinisch völlig unbetreut."

Immer zu zweit kümmern sie sich mittwochs von 10 bis 11.30 Uhr um ihre Patienten, oft wird es 13 Uhr, wenn bis zu 15 Leute vor der Tür stehen. Sie suchen neue Mitstreiter, denn nur einer der Mediziner ist unter 70. Krätze, Läuse, offene Beine, festgewachsene Socken, Maden in Wunden, all das behandelt das Team, sagt Hans-Martin Klenk, Leiter des Unterstützungszentrums der Wohnungsnotfallhilfe. "Ich habe größten Respekt."

Die meisten Patienten finden keinen Hausarzt

Trotzdem lebt die Mehrzahl der Patienten nicht auf der Straße, rund 80 Prozent seien sogar krankenversichert. Aber: Sie finden einfach keinen Hausarzt. "Das Problem wird stark unterschätzt", sagt Barthelmes. "Dieser wahnsinnige Ärztemangel. Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen."

Wer es doch zum Doktor schafft, erlebe Abgrenzung, "die oft unverzichtbar ist", räumt der Allgemeinmediziner ein, der eine Hausarztpraxis in Böckingen betrieb. "Die Leute haben einen hohen Zeitbedarf, und das ist im aktuellen System nicht zu leisten." Manche Kollegen wollten die nicht bestens riechenden Wohnungslosen auch nicht im Wartezimmer haben. "Das ist ein Problem."

Im Uwi 26 erhalten sie Hilfe, aber die Möglichkeiten sind beschränkt. Es gibt weder Ultraschall noch Laboranschluss, noch EKG. Die Mediziner müssen Privatrezepte ausstellen, aus Spenden finanziert, weil sie keine kassenärztliche Zulassung haben. Obwohl viele der Patienten Anspruch auf Kassenrezepte hätten - aber eben keinen Hausarzt. "Das widerstrebt mir so."

Viele, die in heruntergekommenen Wohnungen lebten, sind jetzt auf der Straße

Beamtenwitwen mit kleiner Rente, die die Beihilfe nicht zahlen können, Selbstständige, die nach einem Bankrott den Beitrag für die Privatversicherung nicht mehr aufbringen, die Diabeteskranke, die in der Apotheke das Geld fürs Insulin nicht vorstrecken kann. Das rumänische Paar, sie in der 40. Woche schwanger, ohne Obdach: Viele Einzelschicksale offenbaren sich hier. "Es gibt immer mehr, die in heruntergekommenen Wohnungen leben und diese nun auch noch verlieren", sagt die Ärztin. "Wie viele dieser Menschen in letzter Zeit auf der Straße gelandet sind, ist erschreckend."

Damit sie nicht aus der Klinik heraus mit Gips und Verbänden in die Obdachlosigkeit entlassen werden, gibt es das spendenfinanzierte Krankenappartement. "Das wird stark genutzt", sagt Bärbel Schulze, Leiterin der Wohnungsnotfall- und Suchtkrankenhilfe.

Ziel: Sprechstunde für Prostituierte in Heilbronn

Die Mitternachtsmission der Diakonie hat einen Zuschuss vom Sozialministerium bewilligt bekommen für eine anonyme Krankensprechstunde, denn das Land unterstützt neun Modellprojekte mit 400.000 Euro zur Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung − wie etwa Prostituierte. Sie müssen sich selbst versichern, was oft nicht funktioniert.

Bei Frauen, die aussteigen und sich versichern wollen, wird geprüft, wie lang sie in Deutschland sind, so dass sie dann Beiträge von bis zu 30.000 Euro nachzahlen müssen, erklärt Kathrin Geih von der Mitternachtsmission. Ziel ist es, im kommenden Jahr eine Sprechstunde in Heilbronn aufzubauen.

 

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