Stimme+
Unterschiede im Konsum
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Keine reine Männersache: Sorgen über Alkoholsucht bei Frauen im Raum Heilbronn

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Sowohl im Raum Heilbronn als auch in ganz Deutschland zeigt sich: Alkoholabhängigkeit betrifft auch Frauen. Im Gegensatz zu Männern haben sie aber oft andere Gründe für ihre Sucht.


Externer Inhalt

Dieser externe Inhalt wird von einem Drittanbieter bereit gestellt. Aufgrund einer möglichen Datenübermittlung wird dieser Inhalt nicht dargestellt. Mehr Informationen finden Sie hierzu in der Datenschutzerklärung.

Zum Feierabend ein Bier, beim Brunch ein Sekt, zum Abendessen ein Glas Wein: Der Konsum von Alkohol gehört für viele zum Alltag. Das kann sich auf die körperliche und psychische Gesundheit auswirken – bei Frauen anders als bei Männern. Zunächst stellt sich aber die Frage, wie weit Alkoholsucht bei Frauen verbreitet ist.

Abhängig vom Alkohol: Zahlen zu Betroffenen im Raum Heilbronn

Ein Großteil der Menschen, die in den letzten Jahren Suchtberatungen im Landkreis Heilbronn in Anspruch nahmen, habe dies wegen einer Alkoholabhängigkeit getan, erklärt ein Sprecher des Landratsamts. Die Zahl der Betroffenen in Beratung sei in den letzten Jahren konstant geblieben. Bei der Erfassung der Zahlen werde jedoch nicht nach Geschlecht aufgeschlüsselt.

Da Alkoholsucht keine meldepflichtige Krankheit ist, hat das städtische Gesundheitsamt keine Zahlen zu den Fällen in Heilbronn, teilt eine Sprecherin der Stadt auf Anfrage der Heilbronner Stimme mit.

Kai Brennecke ist Abteilungsleiter der Psychosozialen Beratungsstelle-Suchtberatung (PSB) der Diakonie Heilbronn. Er erklärt, dass die Verteilung der PSB-Klienten, die die Beratungsstelle wegen ihres Alkoholkonsums aufsuchen, zu zwei Dritteln Männer und zu einem Drittel Frauen in der Region sind.

Zahl der Frauen mit Alkoholsucht steigt – Zahl der Männer eher rückläufig

„In der Tendenz war der Alkoholkonsum bei Männern in den vergangenen Jahren eher rückläufig, wobei der Konsum bei Frauen eher ansteigt“, erklärt Robert Prager Loos die Entwicklung in Deutschland. Er ist Chefarzt der Klinik für Suchttherapie am Klinikum am Weissenhof in Weinsberg.

Von Januar bis Ende April diesen Jahres seien insgesamt 146 Patientinnen und Patienten mit der Hauptdiagnose „Schädlicher Gebrauch“ oder „Abhängigkeit von Alkohol“ in Weinsberg behandelt worden. 39 davon waren weiblich. Prager Loos schätzt, dass die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr ähnlich sind.

Herzerkrankung und erhöhtes Krebsrisiko: Folgeerkrankungen bei Frauen 

Die gleiche Menge Alkohol ist für Frauen „giftiger“ als für Männer und körperliche Folgeerkrankungen treten bei Frauen häufiger auf, erklärt Prager Loos. Das bedeutet auch, dass Lebererkrankungen schneller auftreten und voranschreiten, ein höheres Risiko für Herzerkrankungen im Zusammenhang mit Alkohol, eine erhöhtes Krebsrisiko, Zyklusstörungen, Infertilität und eine frühere Menopause möglich sind. 

Besonders von Alkoholsucht betroffen: Frauen mit frühkindlicher Traumatisierung

Wegen der unterschiedlichen Enzyamktivitäten und dem unterschiedlichen Anteil des Körperwassers entwickeln Frauen schneller ein Abhängigkeit, nachdem sie begonnen haben, regelmäßig Alkohol zu trinken.

Besonders betroffen sind demnach Frauen, die eine frühkindliche Traumatisierung wie Vernachlässigung, Gewalt oder sexuellen Missbrauch erlitten haben. Diese können rasch eine Abhängigkeit entwickeln, sagt der Chefarzt der Suchtklinik.

Prager Loos erklärt: 

  • riskanter Konsum bei Männern: 24 Gramm reiner Alkohol am Tag (etwa 0,25 Liter Wein/0,6 Liter Bier)
  • riskanter Konsum bei Frauen: 12 Gramm reiner Alkohol am Tag (etwa 0,125 Liter Wein/0,3 Liter Bier)
  • Von riskantem Konsum betroffene Männer: 18 bis 20 Prozent 
  • Von riskantem Konsum betroffene Frauen: 13 bis 15 Prozent

Alkoholabhängig sind etwa vier bis sechs Prozent der Männer der Gesamtbevölkerung und etwa zwei bis drei Prozent der Frauen, sagt der Chefarzt. Man geht davon aus, dass insgesamt etwa 1,6 bis 2 Millionen Deutsche alkoholabhängig sind – das sind in etwa so viele Menschen wie die Stadt München im April an Einwohnern verzeichnet. Die Dunkelziffer Alkoholabhängiger schätzt Prager Loos bei Frauen etwa 1,3- bis 2-fach höher als bei Männern ein. 

Chefarzt am Klinikum am Weissenhof erklärt Ursachen für Alkoholabhängigkeit

„Trinkende Frauen haben häufig – nicht immer – ein höheres Bildungsniveau“, erklärt der Experte. Die Doppelbelastung Familie und Beruf und der Anspruch, beidem gerecht werden zu müssen, seien Risikofaktoren. Zudem gebe es auch einen Zusammenhang zwischen Emanzipation und steigendem Alkoholkonsum von Frauen, in etwa nach dem Motto: „Was Männer können oder tun, können oder tun wir auch.“

Der Chefarzt der Suchtklinik in Weinsberg sagt: „Frauen trinken oft lange Zeit heimlich wegen Schuld- und Schamgefühlen und Angst vor Stigmatisierung.“ Mütter haben demnach etwa Angst vor gesellschaftlicher Ablehnung oder dem Verlust des Sorgerechts.

Alkoholabhängigkeit bei Frauen: welche Schichten häufig betroffen sind

Aber auch in den untersten sozialen Schichten trete häufig ein schädlicher Gebrauch und eine Abhängigkeit auf. Häufig gehe die Störung im Zusammenhang mit Alkohol mit Armut, Arbeitslosigkeit, Gewalterfahrungen einher und trete oft auch bei alleinerziehenden Müttern auf. Die mittlere soziale Schicht ist in Relation seltener von Problemen mit Alkohol betroffen, erklärt Prager Loos.

Frauen in sozialen Berufen oder Frauen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten und häufig die Organisationsverantwortung der Familie haben, trinken demnach auch häufig.

Gleichzeitig suchen sich Frauen meist später im Krankheitsverlauf Hilfe und Unterstützung. „Sie begeben sich später in Behandlung, oft erst, wenn die Krankheit weit vorangeschritten ist.“

Alkoholsucht bei Frauen: Gefühle regulieren und Einsamkeit kompensieren

Nach dem Jahrbuch Sucht 2025 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, ist das durchschnittliche Alter von Frauen mit der Hauptdiagnose Alkoholabhängigkeit in ambulanter Betreuung  47,5 Jahre (Männer knapp 46 Jahre), erklärt Kai Brennecke. Das Durchschnittsalter von Frauen in stationärer Betreuung ist demnach fast 48 (Männer etwas über 46).

Kai Brennecke weist darauf hin: „Es ist zu erwähnen, dass die DHS (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen) nach Sichtung des aktuellen Forschungsstandes bemerkt hat, dass es keinen gesundheitsförderlichen oder sicheren Alkoholkonsum gibt.“ 

Diese Verhaltensweisen können Anzeichen einer Alkoholabhängigkeit sein, erklärt Brennecke:

  • Wenn jemand morgens gegen die Nebenwirkungen des Konsums vom Vortag erneut Alkohol trinkt.
  • Wenn sich jemand am Tag schon Gedanken über Alkohol-Nachschub macht.
  • Wenn jemand, trotz negativer Konsequenzen, weiterkonsumiert.
  • Wenn jemand keine Kontrolle mehr über die Menge oder die Zeit des Konsums hat.

Süchtig nach Alkohol: Unterschiede der Abhängigkeit bei Männern und Frauen

Und es gibt noch einen Unterschied, erklärt Prager Loos: „Männer trinken häufig aus gesellschaftlichen oder hedonistisch-externen Gründen.“ In der Gesellschaft etwa als eine Art Wettbewerb, wer mehr vertrage als der andere. Frauen trinken hingegen häufiger um ihre Gefühle zu regulieren, erklärt der Chefarzt. Insbesondere bei depressiver Stimmungslagen oder Ängsten, aber auch aus sozialen Gründen, etwa um Einsamkeit zu kompensieren, oder als Betäubung und als eine Art Schlafmittel.

Kommentare öffnen
Nach oben  Nach oben