Zwei Trans-Personen berichten, warum das Selbstbestimmungsgesetz ihr Leben verändern wird
Heike Morris ist als Mann zur Welt gekommen, Kai als Frau. Beide können sich mit ihrem angeborenen Geschlecht nicht identifizieren, doch dieses steht noch in ihrem Ausweis. Welche Hürden ihnen als Trans-Personen den Alltag erschweren und was sie sich vom Selbstbestimmungsgesetz erhoffen.

Dieser Tage verfolgt Heike Morris die Nachrichten genau. Vor der Sommerpause soll der Bundestag ein Gesetz beschließen, das das Leben der 42-Jährigen komplett verändern würde. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz kann künftig jeder Name und Geschlecht auf dem Standesamt ändern. Eine Erklärung der Betroffenen reicht, nach drei Monaten gilt die Änderung und darf ein Jahr lang nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Heike Morris möchte diese Möglichkeit nutzen, um ihr Geschlecht endlich offiziell zu ändern. Sie kommt als Mann zur Welt und lebt seit einem Jahr offen als Frau. Lange Zeit will sie sich nicht eingestehen, dass es so sein muss. Sie reist um die Welt, lebt in Zentralamerika und in Thailand. "Ich bin jahrelang vor mir selbst weggerannt."
Als Mann in Frauenkleidern herumlaufen war für Heike Morris das Schlimmste
Anfang der 2000er reift in ihr der Wunsch, ihr Geschlecht zu ändern. Damals wie heute muss sie dafür einen sogenannten Alltagstest machen, bei dem sie sich ein halbes Jahr lang wie eine Frau kleiden und schminken muss. "Das war für mich mit Abstand das Schlimmste", erzählt sie. Eine Hormontherapie, die den männlichen Körper weiblicher macht, bekommt sie anfangs nicht. "Natürlich habe ich mich so in der Öffentlichkeit total lächerlich gemacht." Freunde wenden sich ab, im Betrieb lästern Kollegen. "Man vereinsamt einfach." Sie bricht den Prozess 2004 ab, ihr Name und ihr Geschlecht bleiben männlich.
Heute arbeitet Heike Morris, die aus Bad Friedrichshall kommt, bei einem großen Technologiekonzern in der Region. Der Arbeitsvertrag läuft auf ihren neuen Namen, das sei völlig unkompliziert gewesen. Doch es wird für die 42-Jährige immer unangenehmer, dass auf ihrem Ausweis noch der alte Name und das männliche Geschlecht stehen. Beim Arztbesuch führe das immer wieder zu irritierten Blicken, Bankgeschäfte kann sie ebenfalls nur auf den alten Namen machen. "Also mache ich es gar nicht."
Über ein Schlupfloch ändert Kai seinen Namen, aber nicht sein Geschlecht
Kai wartet ebenso sehnsüchtig auf das neue Gesetz. Seinen vollen Namen möchte er aus Angst vor Diskriminierung am Arbeitsplatz nicht nennen. Er trägt einen grauen Pullover und eine locker sitzende Cap. Der 20-Jährige beginnt im Herbst eine Ausbildung zum Erzieher in Heilbronn. Seit fast drei Jahren lebt Kai, der als Frau geboren wurde, als Mann.
Mit 17 Jahren lässt er seinen Vornamen beim Standesamt ändern. Er nutzt dafür eine Art Schlupfloch im Gesetz, das eigentlich auf Intersexuelle gemünzt ist. Das sind Menschen, bei denen keine eindeutige Zuordnung zu einem Geschlecht möglich ist, weshalb der Eintrag zunächst leer bleibt. Sie können ihren Vornamen und ihr Geschlecht beim Standesamt ändern lassen und brauchen dafür lediglich ein Attest vom Arzt. Eine Zeit lang nutzen Trans-Personen diese Möglichkeit, weil der für sie vorgesehene Prozess deutlich schwieriger ist.
Vorgeschriebenes Verfahren für Trans-Personen dauert lange und ist teuer
Mit der Erlaubnis seiner Eltern ändert der damals 17-Jährige seinen Vornamen in Kai. "Das ging relativ schnell und einfach." Sein Geschlecht bleibt aber weiblich. "Ich wusste nicht, dass man das Geschlecht auch ändern kann." Als er das versucht, ist die Gesetzeslücke für Trans-Personen bereits geschlossen. Das Standesamt erklärt ihm, er brauche erst eine geschlechtsangleichende Operation und zwei Gutachten von Psychologen und Psychiatern. Für Kai ist das keine Option.
Auch Heike Morris will das im Transsexuellengesetz noch vorgeschriebene Verfahren nicht durchmachen. Für den Gerichtstermin und die zwei Gutachter rechnet sie mit Ausgaben von 2000 bis 3000 Euro. Es sei ihr wichtig, ihren Vornamen zu ändern. "Aber ich kann das Geld einfach nicht stemmen."
Deshalb setzen die beiden alle Hoffnungen in das geplante Selbstbestimmungsgesetz. Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) haben bereits einen gemeinsamen Entwurf vorgelegt, der bald beschlossen werden soll. SPD, Grüne und FDP hatten das Vorhaben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Ein neues Gesetz ist aber schon deshalb nötig, weil das Bundesverfassungsgericht das alte Transsexuellengesetz mehrfach für verfassungswidrig erklärt hat.
Experte befürchtet, dass sich Hilfsbedürftige keine Therapie suchen
Eine Vertrauensperson aus Heilbronn, die mit dem Thema befasst ist, aber nicht namentlich zitiert werden möchte, nennt das Gesetz ein "heißes Eisen". Es werde kaum diskutiert, was es mit minderjährigen Jugendlichen macht, wenn sie ihr Geschlecht ohne Therapie ändern können. "Diese Debatte fehlt einfach völlig."
Die Pläne sehen vor, dass Eltern das Geschlecht von Jugendlichen unter 14 Jahren ändern lassen dürfen. Ab 14 Jahren ist eine Erlaubnis der Eltern nötig. Bei Erwachsenen sei fraglich, ob sie sich bei Problemen professionelle Hilfe suchen. "Es wird schwierig, jemanden dazu zu bringen, eine Therapie zu machen. Denn wer sein Geschlecht rechtlich geändert hat, hat damit ja etwas in der Hand."
Marco Buschmann (FDP) löst mit Frauensauna-Bemerkung Kritik aus
Für Heike Morris und Kai wäre das Gesetz eine große Verbesserung. Mit der Wartezeit von drei Monaten, bis die Änderungen wirksam werden, können beide leben. "Für die, die gerade erst anfangen, ist das okay", sagt Kai. "Die können sich noch mal richtig Gedanken machen." Dennoch wünscht er sich, dass anerkannt wird, wie lange jemand schon als Trans-Person lebt, um die Wartezeit zu verkürzen. "Ich vermute, dass alle Menschen, die das machen, sich der Auswirkungen bewusst sind", sagt Heike Morris. Die Vorstellung vieler Gegner des Gesetzes, dass Menschen ihr Geschlecht jedes Jahr ändern, findet sie absurd. "Wenn man trans ist, ist man trans."
Überhaupt können die beiden viele Diskussionen um das Gesetz nicht nachvollziehen. So sorgte Marco Buschmann für Aufregung, als er betonte, dass das Hausrecht von dem Gesetz nicht berührt wird. "Die Betreiberin einer Frauensauna soll auch künftig sagen können: Ich will hier dem Schutz der Intimsphäre meiner Kundinnen Rechnung tragen und knüpfe daher an die äußere Erscheinung eines Menschen an", erklärte Buschmann. Trans-Verbände warfen Buschmann daraufhin vor, die bei Rechtspopulisten beliebte Erzählung von gewalttätigen Trans-Frauen weiterzutragen. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, betonte, das Gesetz solle Diskriminierung abbauen, nicht neue Vorurteile schaffen.
Für Trans-Personen könnte das Hausrecht eine Grauzone bedeuten
"Ich kann Frauen verstehen, die ihre geschützten Räume haben wollen", sagt Heike Morris. Sie selbst gehe in die gemischte Sauna, und zwar "nicht zum Gucken, sondern zum Entspannen und Schwitzen". "Das Hausrecht ist eine riesige Grauzone", findet Kai. Er macht sich vor allem Sorgen um die Aufteilung von Toiletten. "Wenn ich dann rechtlich ein Mann bin und aus irgendwelchen Gründen nicht auf die Männertoilette gehen darf, wäre das ein Schlag ins Gesicht." Das gleiche Problem gebe es bei Duschen im Fitnessstudio oder im Schwimmbad. "Es ist vieles unnötig kompliziert für uns. Und es ist schon seltsam, wie hart Menschen darüber diskutieren, die gar nicht in unserer Haut stecken."
Klar müsse sein, dass das Hausrecht das Gleichbehandlungsgesetz nicht aushebeln darf. Erst dann könne man bei Trans-Personen anfangen, von Gleichberechtigung zu sprechen, findet Kai. "Ich vergleiche es gerne mit Farben: Es gibt Grün und Blau, aber es gibt eben auch Türkis. Es ist ein weites Spektrum. Das darf so sein."
Erklärungen
Trans-Person, transgeschlechtlich: Menschen, die sich mit einem anderen als dem angeborenen Geschlecht identifizieren und/oder damit leben.
Intersexuell: Menschen, deren angeborene Geschlechtsmerkmale sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen lassen.