Weißer Ring: Gewalt gegen Frauen unglaublich verbreitet
Sie erleben Gewalt, werden gestalkt oder sitzen Betrügern auf: Viele Menschen suchen Hilfe beim Weißen Ring Heilbronn. Der sucht Helfer.

Gut 70 Anfragen sind seit Februar bei Dieter Ackermann eingegangen, Außenstellenleiter des Weißen Rings in der Stadt und im Landkreis Heilbronn. 70 Menschen, die Opfer von Kriminellen geworden sind. Im Schnitt meldet sich jeden zweiten Tag jemand in Not. Das sind viele. Zu viele für Ackermann und sieben weitere ehrenamtliche Mitarbeiter des Weißen Rings. Sie suchen Mitstreiter.
Opfer fühlen sich oft ratlos
"Es sind nicht nur Rentner, die bei uns mitmachen", erzählt der 61-jährige ehemalige Kriminalhauptkommissar. Ein Richter vom Landgericht sei beispielsweise dabei und eine Studentin. "Sie will helfen", nennt Ackermann deren Motivation. "Sie interessiert sich dafür, wie es anderen geht."
Wer etwa überfallen, ausgeraubt oder vom Ex-Partner gestalkt wird, sei häufig ratlos. Hilflos. "Es scheint, dass sie ein bisschen vergessen werden", sagt Pensionär Ackermann.
Fälle berühren den Ex-Polizisten
Obwohl er jahrzehntelang im Polizeidienst und bei der Kripo tätig war, macht er durch die Hilfe für Opfer neue Erfahrungen. "Ich bin überrascht, welche Fälle wir bekommen." Viele Frauen suchen Hilfe. Die Schicksale berühren ihn. Fälle von häuslicher Gewalt, sexueller Gewalt und Missbrauch. Nicht jeder, der sich bei ihm meldet, erstattet Anzeige bei der Polizei.
Viele suchten Beratung. Etwa die Frau, deren Ehemann ihr den einzelnen Finger bricht, wenn er meint, dass sie etwas falsch macht. Eine gutsituierte Familie. "Gewalt gegen Frauen ist unglaublich verbreitet. Ich frage mich, was läuft in den Familien ab?" Dies vor dem Hintergrund, dass viele Fälle nie gemeldet werden. Die Dunkelziffer schätzt der Ex-Polizist als hoch ein.
Vater und Sohn sind traumatisiert
Ein anderes Beispiel sei der Mann, der sich einem flüchtenden Räuber in den Weg stellt. Der Täter zieht eine Schreckschusspistole und schießt. Der Mann fällt um. Sein Kind sieht alles mit an. Vater und Sohn - traumatisiert.
Offenheit und Empathie sind gute Eigenschaften für Männer und Frauen, die sich in der Opferhilfe engagieren möchten. Alles andere wird ihnen in Aus- und Fortbildungen beigebracht. Wie führe ich ein Opfergespräch? Wie nehme ich Kontakt auf? Wie halte ich Pausen aus, wenn es jemandem schwerfällt, über das Erlebte zu sprechen? "Ich war überrascht, wie professionell der Weiße Ring arbeitet", sagt Ackermann.
Betroffenen fällt es mitunter schwer, über Erlebtes zu sprechen
Der Weiße Ring übernimmt eine Lotsenfunktion und vermittelt zum Beispiel an Hilfsorganisationen wie Pfiffigunde oder Jumäx. Er gibt Schecks für die Erstberatung bei einem Rechtsanwalt aus.
Bei den eigenen Aus- und Weiterbildungen zur Vorbereitung auf das neue Ehrenamt lernt Dieter Ackermann viele Helfer von anderen Stellen des Weißen Rings kennen. Er erzählt von einem ehemaligen Unternehmer, der seinen Betrieb verkaufte und ein Jahr lang reiste. Der kam zurück und sagte "Ich bringe mich ein. Ich kann das, ich mach" das." Dass die Außenstelle sich personell gut aufstellt, ist nicht nur den vielen Anfragen geschuldet. Die Opfer sind unterschiedlich, Männer, Frauen, alte, junge. Einer 50-Jährigen, die zu Hause Gewalt erlebt, fällt es gegenüber einer etwa gleichaltrigen Frau möglicherweise etwas leichter, sich zu öffnen.
Die Helfer dürfen auch Nein sagen
Die Helfer beim Weißen Ring sollten gut zuhören können, meint Dieter Ackermann, der die Aufgabe als Außenstellenleiter Anfang des Jahres von Alfred Kulka übernommen hat. "Wir bewerten nicht", beschreibt er die Haltung. Zum Beispiel Mobbing: Einem betroffenen Arbeitnehmer könne man nicht sagen: "Das ist doch nicht so schlimm, da muss man durch." Jeder empfinde solche Dinge anders.
Die Helfer des Weißen Rings werden nicht verheizt, versichert Ackermann. Opfer von Straftaten kommen bei der Kontaktaufnahme - ob telefonisch oder per E-Mail - erst einmal bei dem 61-Jährigen raus. Er fragt dann seine Mitstreiter an, ob sie einen Fall übernehmen. Sagt einer Nein, werde das ohne Zureden und Murren akzeptiert. "Das hier ist ein Ehrenamt, hier darf es keinen Stress geben."
Heilbronner Verein ist 42 Jahre alt
Der frühere Moderator der Sendung "XY - Aktenzeichen ungelöst" Eduard Zimmermann rief die Opferhilfe Weißer Ring ins Leben. Vor 42 Jahren wurde die Außenstelle Heilbronn gegründet. Zurzeit zählt der Verein 132 Mitglieder. In Baden-Württemberg gibt es 38 Außenstellen, bundesweit sind es 400. Die Bundesgeschäftsstelle sitzt in Mainz. Der Weiße Ring betreibt eigene Fortbildungsakademien an mehreren Standorten. Er finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, testamentarische Zuwendungen und durch von Gerichten und Staatsanwaltschaften verhängte Bußgelder.
Wer sich beim Weißen Ring engagieren möchte, meldet sich beim Außenstellenleiter Dieter Ackermann unter Telefon 0151 55164776 oder per E-Mail unter heilbronn@mail.weisser-ring.de