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Ex-Kripobeamter unterstützt Opfer von Gewalttaten

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Alfred Kulka ist ein aktiver Mensch und leidenschaftlicher Hobbysportler. Der 71-Jährige arbeitet ehrenamtlich bei der Opferhilfevereinigung Weißer Ring. Helfen ist für den Fleiner eine Lebensaufgabe.

Alfred Kulka ist auch heute noch erfolgreicher Fußballer. Für seine Ehrenämter ist der Fleiner vielfach ausgezeichnet worden.
Foto: Andreas Veigel
Alfred Kulka ist auch heute noch erfolgreicher Fußballer. Für seine Ehrenämter ist der Fleiner vielfach ausgezeichnet worden. Foto: Andreas Veigel  Foto: Veigel, Andreas

Privat musste Alfred Kulka als Elfjähriger den Tod seines Vaters verkraften und sorgte fortan für seine zwei Brüder und seine Mutter. Helfen wurde für den Fleiner zur Lebensaufgabe. Heute bietet er Opfern von Gewalttaten Unterstützung an. 

Sie sind seit elf Jahren Pensionär. Was treibt Sie an, Opfern von Straftaten zu helfen?

Alfred Kulka: Das hängt vielleicht mit meiner Biografie zusammen. Ich bin als Halbwaise aufgewachsen. Es gab Menschen, die standen im Mittelpunkt. Die hatten Geld, Renommee und Macht. Wir lebten in bescheidenen Verhältnissen. Außer im Sport stand ich nicht unbedingt in vorderster Reihe. Dadurch habe ich kennengelernt, dass solche Menschen auch eine Sehnsucht nach Anerkennung, nach Teilhabe und nach Akzeptanz haben.
 

Waren Sie schon von klein auf ein hilfsbereiter Mensch?

Kulka: Ich hatte zwei jüngere Brüder. Mein Vater hatte Tuberkulose aus dem Krieg mitgebracht und war oft in Sanatorien. Dort starb er auch kurz vor Weihnachten 1959. Ich war elf, mein Bruder zehn und der kleine sechs Jahre alt. Meine Mutter stand alleine da. Sie war Hausfrau und bekam eine kleine Rente.
 

Wie konnten Sie ihr helfen?

Kulka: Als Jugendlicher habe ich mit ihr morgens Zeitungen ausgetragen, um sie finanziell zu unterstützen. Sie war mir wichtig. Als ich in die Lehre ging und wenig verdiente, habe ich fast alles der Mutter gegeben. Meine Brüder gingen noch zur Schule. Ich war ein wenig der Versorger mit geringen finanziellen Möglichkeiten. Meine Mutter hatte ein geringes Einkommen, wofür sie allerdings nichts konnte. Deshalb entwickelte sich bei mir die Maxime: Ich bin auf der Seite der Schwächeren. In den meisten Fällen können sie nichts für die Situation.
 

Was genau zieht Sie auf die Seite der Schwächeren?

Kulka: Wenn jemand im Abseits steht oder gar Geringschätzung ertragen muss. Es ist unangemessen, wenn jemand fertig gemacht wird, egal, ob verbal oder körperlich. Ich frage mich: Weshalb werden diese Menschen von Zeitgenossen so missachtet oder abwertend behandelt? Nur, weil sie aus bescheidenen Verhältnissen kommen, nicht so viel Geld haben oder nicht die Machtmenschen sind? Jeder Mensch hat Wertschätzung und keine Geringschätzung verdient.
 

Sie haben früh gelernt zu helfen.

Kulka: Ich hatte dennoch Glück in meinem Leben. Dank meiner Frau, meinem Beruf und durch meine eigene Energie führte und führe ich ein schönes, gutes und glückliches Leben. Dafür bin ich dankbar. Man soll seine Herkunft nicht vergessen. Wenn ich heute in bestimmten Situationen ein Kind sehe, das gegenüber anderen benachteiligt ist, trifft mich das. Da werde ich nachdenklich. Am liebsten würde ich hingehen, ihm fünf Euro geben und sagen: Kauf dir was davon.
 

Sie sind seit 15 Jahren ehrenamtlich bei der Opferorganisation Weißer Ring tätig. Davor waren Sie viele Jahre Polizist. Was ist die Basis Ihrer Hilfsbereitschaft?

Kulka: Ich trage Humanismus, Nächstenliebe und Fairness in mir. Menschlichkeit ist wichtig für mich. Jeder Mensch muss wertgeschätzt werden. Ich bin außerdem Christ und helfe gerne Menschen, die Hilfe benötigen. Und dann bin ich mein Leben lang Sportler gewesen. Da dominiert für mich Fairness. Dazu gehört, dass man sich im Team hilft.
 

Was bedeutet Christsein für Sie?

Kulka: Das Christliche bringt die Empathie mit, die ich im Umgang mit den Opfern an den Tag lege.
 

Die Polizei − dein Freund und Helfer. Haben Sie sich an diesem Slogan orientiert?

Kulka: Das ist bei mir immer so gewesen. Wenn ich Verbrechensopfer bei mir hatte, habe ich immer gedacht, sie hat es hart getroffen, und die Polizei oder ich können ihnen nicht helfen. Bei der Polizei steht die Täterermittlung im Mittelpunkt. Opferhilfe ist sekundär.
 

Hilft man den Opfern nicht auch, wenn man den Täter ermittelt?

Kulka: Doch, auf jeden Fall. Das ist im Sinne der Opferhilfe. Die angenehme, die dankbare Seite der Hilfe erfahre ich erst, seit ich beim Weißen Ring mit Opfern zu tun habe und ihnen helfen kann. Sei es durch Rat oder durch Tat.
 

Sie sind ja als Kriminalhauptkommissar in Pension gegangen, waren zuvor Streifenpolizist. Da hilft man doch oft unmittelbar.

Kulka: Klar. Ein Beispiel, warum mir helfen wichtiger war und ist als bestrafen: Bei der Polizei ging ein Anruf ein. In einer Gaststätte sitze ein betrunkener Mann, der in absehbarer Zeit mit seinem Auto wegfahren wolle. Wenn er das Fahrzeug startet, begeht er eine Straftat. Ich habe damals gewartet, bis derjenige aus der Gaststätte kam. Bevor er ins Auto einstieg, habe ich mit ihm geredet und auf ihn eingewirkt. Der Mann gab mir seinen Autoschlüssel. Am nächsten Tag holte er ihn auf dem Revier ab. Ich wollte verhindern, dass er selbst zu Schaden kommt, einen Unfall baut oder ein Kind umfährt und dann bestraft wird. Prävention ist mir wichtiger als Strafverfolgung.
 

Wann nehmen Sie persönlich Hilfe an?

Kulka: Ich bin einer, der sagt, brauche ich nicht. Ich mache das lieber selbst. Wenn es eng wird und ich nicht mehr weiterkomme, bin ich froh, wenn mir jemand Hilfe anbietet. Gute Beispiele sind meine Frau, unsere Kinder und Enkelkinder.
 

Waren Sie mal in einer Situation, in der Ihre Hilfsbereitschaft zurückstehen musste?

Kulka: Ich bin geprägt durch Immanuel Kant, der sagte: Das menschliche Dasein besteht aus den zwei Säulen Pflicht und Neigung. Neigung ist bei mir der Sport und, dass ich mich für Menschen einbringe. Die Pflicht ist ganz einfach, dass man bestimmte Aufgaben wahrnimmt, die auf einen zukommen. Ein Beispiel: Ich wollte, als die Wende kam, als Polizeibeamter Aufbauhilfe in der DDR leisten. Meine Frau hat gesagt, du hast Kinder und Familie, bleibe bei uns. Ich musste mich zwischen Pflicht und Neigung entscheiden und habe mich für die Pflicht entschieden.
 

Mussten Sie auch mal Hilfe ablehnen?

Kulka: Manchen Anrufern beim Weißen Ring kann ich nicht helfen, weil unsere Opferhilfsorganisation nicht der richtige Ansprechpartner ist. Ich versuche, eine andere Hilfestelle zu empfehlen. Mitunter werden die Anrufer dennoch fordernd. Das tut mir leid, da mache ich mir auch ein paar Stunden danach Gedanken.
 

Haben Sie mal Gott um Hilfe gebeten?

Kulka: In Gebeten habe ich mich dafür bedankt, wie gut es mir geht. Als meine beiden Brüder noch lebten, habe ich ein kleines bisschen den Wunsch geäußert, dass es auch ihnen gutgehen soll und Gott ihnen helfen möge, soweit er kann. Das mache ich für alle Familienangehörigen. Wenn ich so alleine für mich unterwegs bin, denke ich an meine Situation, wie gut es mir geht, und danke Gott dafür.
 

Waren Menschen früher hilfsbereiter?

Kulka: Nach meinem Eindruck waren die Menschen im Umgang miteinander früher offener, menschlicher, hilfsbereiter und nicht so egoistisch auf die eigene Stellung innerhalb der Gesellschaft bedacht. Früher waren Solidarität und gegenseitige Unterstützung ausgeprägter als heute. Heute versuchen viele, sich von der Gesellschaft abzuheben.
 

Bei Ihnen wurde dieses Jahr Magenkrebs diagnostiziert. Wie ist es, Hilfe anzunehmen?

Kulka: Die Diagnose hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Prof. Uwe Martens vom Klinikum am Gesundbrunnen hat mir beim ersten Gespräch gesagt, dass er mich wieder gesund machen möchte. Das war für mich Hilfe, die mir Hoffnung gegeben hat und mich trotz dieser Diagnose zuversichtlich in die Zukunft schauen lässt.

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