So stehen Türken aus der Region Heilbronn zur Wahl in ihrer Heimat
Erdogans Sympathiewerte bröckeln. Dies sagen Unterländer und Hohenloher, die ihre Wurzeln in der Türkei haben. Viele wollen sich nicht zur Wahl äußern oder ihren Namen nicht nennen, weil sie Angst haben.

Viele Unterländer und Hohenloher haben türkische Wurzeln. Sie blicken gespannt auf ihre Heimat, wo am 14. Mai Wahlen angesagt sind. Dieser Tage hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in Samsun an der Schwarzmeerküste einen Wahlkampfauftritt - zufällig weilt auch der Heilbronner Gastronom Köksal Kilic in seiner Heimatstadt. "Ich will nicht hingehen, das wird mir zu voll", sagt der 62-Jährige kurz vorher am Telefon. "Vor ein paar Jahren habe ich ihn schon Mal gehört. War nicht so interessant."
Wahlkampf am Schwarzen Meer
Insgesamt verlaufe der Wahlkampf relativ ruhig, sagt er - wohl aus Rücksicht auf die Erdbebenopfer. Gleichzeitig beobachtet Kilic, dass sich Regierung und Opposition gegenseitig "verteufeln und beim Sieg der Gegenseite den Untergang der Türkei befürchten". Tatsächlich herrsche große Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage, so dass Kilic der aus sechs Parteien gebildeten Opposition durchaus Chancen einräumt. Im Bezug auf die Wähler in Heilbronn geht er davon aus, dass hinter Erdogans AKP 60 Prozent stehen: "Die sind hier einfach besser organisiert."
Lange Warteschlangen beim Urnengang

Seval Tinkilic aus Möckmühl war bereits am 1. Mai wählen, und zwar im zentralen Wahlbüro des türkischen Generalkonsulats in Stuttgart-Zuffenhausen. "Der Andrang war enorm. Autos stauten sich auf rund drei Kilometern." Danach sei sie zwei Stunden lang in der Schlange gestanden. "Da wurde teils sehr emotional diskutiert zwischen Erdogan-Anhängern und anderen", berichtet die 51-jährige Restaurantfachfrau. "Ich sage immer: Wir leben hier in einem freien Land. Da kann ich doch keinen wählen, der dort die Demokratie demontiert."
Dies sei auch ein Grund dafür, warum sie zum Urnengang rät: Damit die Errungenschaften Atatürks, wie etwa die Emanzipation der Frau, "nicht vollends verloren gehen." Früher gingen die Meinungen auch in ihrer Familie auseinander, heute seien sich alle einig: "Wir brauchen einen Wechsel."
Ditib betont Neutralität
Auch in Moscheen wird über das Thema diskutiert, zum Beispiel in der Merkez Moschee an der Weinsberger Straße in Heilbronn. "Wenn es aber zu hitzig wird, schreiten wir vom Vorstand ein", erklärt Erdinc Altuntas als Vorsitzender des Türkisch-Islamischen Kulturvereins Ditib. "Bei uns gibt es keinesfalls nur AKP-Wähler, sondern auch mindestens so viele Anhänger der Opposition."
Altuntas legt Wert auf die Feststellung, dass Ditib keinesfalls eine Art verlängerter Arm von Erdogan sei. "Wir sind völlig unabhängig und bekommen nur die Imame vom türkischen Staat bezahlt." Weder diese Geistlichen noch der Vorstand beziehe dabei öffentlich Partei für eine Seite. "Wir mischen uns inhaltlich nicht ein, machen keine Propaganda, das wollen, können und dürfen wir gar nicht." Sehr wohl aber motiviere man je nach Anlass die Mitglieder, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Altuntas, der Ingenieur bei Audi in Neckarsulm ist, geht davon aus, "dass alles demokratisch entschieden wird, zum Wohle der Türkei". Er sagt: "Unabhängig davon, wer am Ende gewinnt, wir werden den Präsidenten respektieren."
Sehr kritische Töne
"Ich muss an mein Umfeld denken", sagt ein 52-Jähriger aus Heilbronn. Deshalb will er - wie viele andere Befragten - seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. "Den Deutschen hier mag das gar nicht bewusst sein, aber wenn du nicht auf Regierungslinie bist, bekommst du Probleme." Denn: "Es gibt keine Meinungsfreiheit, keine Pressefreiheit. Da wandern Menschen wegen nichts in den Knast. Kein Wunder, dass viele Angst haben, etwas zu sagen."
Der Familienvater geht davon aus, dass Oppositionsführer Kemal Kiliçdaroglu von der CHP, der Erdogan "ein Dorn im Auge ist" durchaus Chancen haben könnte, zumindest in einer Koalition. Erdogans jüngsten Schwächeanfall dürften ihm seine Anhänger dagegen nicht negativ auslegen, "im Gegenteil, dass er trotzdem weitermacht, wird ihm als Stärke angerechnet". Auch in der Region Heilbronn habe er viele Anhänger, selbst unter Jüngeren, weil er den Auslandstürken ein Selbstwertgefühl gebe, so der Mann.
Kritik am Wahlrecht
Der Vorsitzende der deutsch-türkischen Gemeinde Öhringen, Menderes Selcuk, hinterfragt das Wahlrecht der Türken in Deutschland kritisch. Das Thema werde auch in der türkischen Community heiß diskutiert, berichtet er. "Wir leben hier, haben unseren Lebensmittelpunkt in Deutschland. Aber hier können wir uns nicht einbringen." Das sollte sich seiner Meinung nach dringend ändern. Dass ausgerechnet Stimmen aus Deutschland, also aus einem anderen Land, die Wahl in der Türkei entscheiden könnten, ist für Menderes Selcuk extrem fragwürdig.
Deutsch-Türken haben Angst vor Anfeindungen
Ungewöhnlich viele Unterländer und Hohenloher mit türkischen Wurzeln, die von der Heilbronner Stimme angesprochen wurden, wollten nichts zu der Wahl in ihrem Heimatland sagen, weil sie Angst vor Anfeindungen haben oder sich um Verwandte in der Heimat sorgen. Andere taten dies nur ohne Namensnennung. Eine Frau, die sich ausführlich und mit Namen kritisch über die politische und wirtschaftliche Situation geäußert hatte, zog ihre Antwort nach Rücksprache mit verschiedenen Familienmitgliedern zurück.
Sie und andere sagen, es gebe in der türkischen Community von Heilbronn Spitzel und Listen mit unliebsamen Landsleuten, die dem Generalkonsulat vorgelegt würden. Andere Türken sagen indes, dies sei maßlos übertrieben. Eine Frau meinte: "Leider leben viele Gegner und Anhänger von Erdogan auch in Heilbronn in zwei Welten. Die reden kaum miteinander. Die einen gehen in die Moschee, die anderen in ihren Kultur- oder Sportverein."




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