Wie sich eine Frau aus einer toxischen Beziehung befreit hat
In der Beziehung von Anna stehen nach einer schnellen Kennenlernphase Beleidigungen an der Tagesordnung. Wie es der Frau aus der Region Heilbronn gelungen ist, sich aus der toxischen Beziehung zu lösen.

Eigentlich sei er gar nicht ihr Typ gewesen. Als Anna (Name von der Redaktion geändert) sich das erste Mal mit ihrem Ex-Freund in einer Bar verabredet, hat sie gleich ein komisches Bauchgefühl. "Total komischer Typ", denkt sie sich. Aber er hört ihr zu, schmeichelt ihr – und sie verliebt sich. "Er hat nur nachgeplappert, was ich hören wollte", sagt Anna heute. "Er hat mich behandelt wie eine Königin."
Die Beziehung entwickelt sich rasch, bald erhält sie von ihm seinen Hausschlüssel. Nach drei Monaten habe es dann angefangen "schräg zu werden", sagt Anna. Der Prozess sei schleichend passiert, mit stichelnden Kommentaren. Bis irgendwann die Demütigungen an der Tagesordnung stehen. "An dem einen Tag hat er mich in die Luft gehoben, an dem anderen Tag hat er mich nieder gemacht." Es ist der Beginn einer toxischen Beziehung, die zehn Jahre andauern wird und Anna an ihre psychischen Grenzen bringt.
Toxische Beziehung: Wie sich Anna von ihrem Partner gelöst hat
"Ich hätte Außenstehenden nicht erzählen können, wie er wirklich war, weil mir kein Mensch geglaubt hätte", sagt Anna. "Er war immer darauf bedacht, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Alle haben mich beneidet um diesen Mann." Nach rund einem Jahr Beziehung wird Anna schwanger, ein Wunschkind. Doch mit der Kinderbetreuung und dem Haushalt lässt er sie alleine, meckert an ihr herum.
Schließlich ist Anna am Ende ihrer Kräfte. "Die Beleidigungen und Demütigungen haben mich krank gemacht." Anna verliert massiv Gewicht, bekommt Herzstolpern. Sie sei nur noch ein Schatten gewesen, sagt sie. Für ihr Kind will sie es raus schaffen. Aber das ist nicht so einfach, denn er hat sie auch finanziell abhängig gemacht. So habe er hinter ihrem Rücken ihre Möbel verkauft. "Er ist wirklich taktisch vorgegangen", sagt Anna. Eines Tages fasst sie Mut und flieht zu Verwandten.
Ende von toxischen Beziehungen braucht viel Mut und oft Hilfe
Sich aus toxischen Beziehungen zu lösen, braucht viel Mut, weiß Psychologin Julia Hinterthür von der Caritas Heilbronn. Opfer sind in solchen Beziehungen häufig isoliert und vertrauen sich niemandem an – dadurch fehlt ein Sicherheitsnetzwerk. Hinterthür ermutigt Betroffene, über Probleme in Beziehungen offen zu sprechen. Denn aus ihrer Sicht gibt es Liebe nie ohne Leid. Darum sei es auch nicht nötig, einen falschen Schein aufrechtzuerhalten. Ein guter Schritt könne auch der Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe sein.
Nach der Trennung lässt Annas Ex-Freund nicht locker. An ihrem Jahrestag steht er einfach mit Blumen vor ihrer Tür. Schließlich sei sie eingeknickt, sagt Anna. "Ich dachte, es kann nicht schlimmer werden, als beim ersten Mal. Aber er hat es getoppt."
Unter Druck mit Abschiedsbriefen: So war Annas toxische Beziehung
Frisch bei ihm eingezogen, findet sie Briefe. Abschiedsbriefe, geschrieben von ihm an seinen Bruder. Darin schildert er, dass er sich wegen Anna umgebracht habe. "Lieber Gott, lass doch die Anna elendig verrecken", habe in diesen Briefen gestanden. Auf seinem Laptop findet sie Fotos, die er im Freibad heimlich von fremden Frauen im Bikini gemacht hat.
Endgültig genug hat Anna, als ihr Ex-Freund beginnt, sie vor den Kindern – mittlerweile haben sie zwei – zu beleidigen. Drecksfotze oder Drecksschlampe habe er sie genannt. Täglich, sagt Anna. "Wie ausgesaugt war ich. Ich war nur noch eine Hülle", sagt sie heute von sich. Doch: "Dann bin ich aufgestanden und habe gekämpft." Durch einen Bekannten findet sie eine Wohnung.
Der Ex-Freund ein Narzisst: Anna schafft es aus toxischer Beziehung
Anna vermutet, dass ihr Ex-Freund ein Narzisst ist. Solche Menschen haben wenig Empathie und ein hohes Maß an Selbstbezogenheit. Heutzutage wird gerade in den sozialen Medien schnell dieser Trendbegriff benutzt. Um damit diagnostiziert zu werden, müsse man einige Kriterien erfüllen, sagt Julia Hinterthür. Manche Menschen zeigen mehr dieser Verhaltensweisen als andere – eine Prise Egoismus steckt in jedem Menschen. Hinterthür weiß, wie viel seelischen Schmerz so eine Beziehung hinterlassen kann, auch ohne körperliche Gewalt.
Heut geht es Anna wieder gut. Ihr Ex-Freund habe mittlerweile eine neue Freundin, und damit – wie Anna sagt – ein neues Opfer. Sie selbst habe nach der Trennung zum ersten Mal Selbstwertgefühl entwickelt, erzählt sie, und auch einen tollen Job. Aber ohne Hilfe hätte sie das vermutlich nur schwer geschafft.




Stimme.de