Toxische Beziehungen: "Hoffnung ist etwas, das Leid verlängert"
Johanna Dautermann weiß, was eine Beziehung toxisch macht. Sie ist Psychologin und Paarberaterin bei der Caritas in Heilbronn.
Sie ist noch jung, doch mit Beziehungen kennt sie sich aus: Johanna Dautermann leitet die Psychologische Familien- und Lebensberatung Heilbronn-Hohenlohe. Die 29-Jährige berät dort Menschen, die seelische Not leiden. Darunter viele, die sich mit ihrer Beziehung herumquälen. Wer wüsste also besser, was zu einer glücklichen Beziehung gehört und was dagegen eine toxische ist?
Eine "Zeit"-Redakteurin bezeichnete toxisch unlängst als "Instagram-Modevokabel". Suchen bei Ihnen oft Menschen Rat, die ihre Partnerschaft als toxisch bezeichnen?
Johanna Dautermann: Ja. Weil man so viel googeln kann, haben wir das generell häufig in der Beratung, dass Leute mit Selbstdiagnosen kommen. Wichtig ist vor allem, was sie uns damit sagen wollen: Ich habe eine Begrifflichkeit für unsere Art von Beziehung gefunden, für das, was ich vielleicht bisher nicht in Worte fassen konnte. Und manchmal stimmt's, manchmal auch nicht.
In welchem Fall stimmt es denn?
Dautermann: Es gibt da keine klassische Diagnose. Aber "toxisch" heißt giftig. Und Gift für eine Beziehung ist, wenn sie sich in Extremen bewegt. Wenn es eine enorme Polarisierung gibt von Nähe und Distanz, Idealisierung und Abwertung, Autonomie und Abhängigkeit - extreme Eifersucht, Kontrolle und Besitzanspruch. Das kann auch mit emotionaler Erpressung einhergehen, nach dem Motto: Wenn ich nicht glücklich bin, bist du schuld. So etwas findet man besonders bei Narzissten und Borderlinern. Der Gegenpart kann eine abhängige Persönlichkeit sein, die ihre eigenen Bedürfnisse eher unterordnet.
Also, das Gift geht mehr von einer Person aus, und der Partner findet sich dann komplementär dazu?
Dautermann: Genau. Meistens haben beide ein sehr geringes Selbstwertgefühl und empfinden eine große Leere, die sie versuchen zu füllen.
Wie sieht das aus?
Dautermann: Da ist etwa so eine Grandiosität beim Start einer Beziehung. Alles ist super. Der andere wird total idealisiert. Es gibt da den Begriff des "Love-Bombing": Das heißt, der andere wird zu Beginn mit Aufmerksamkeit und Bewunderung überschüttet, was das Selbstwertgefühl enorm steigert.
Man schwebt also im siebten Himmel.
Dautermann: Ja, und dann geht alles häufig sehr schnell, eben extrem: total verliebt, schnell zusammenziehen, vielleicht auch heiraten.
"Bombing" hört sich aber schon etwas brutal an.
Dautermann: Das kann auch auf Dauer nicht funktionieren. Dann kann so was wie extreme Eifersucht kommen. Wenn sich die in Kontrolle ausweitet, kann das letztlich zur sozialen Isolation führen. Zum Kontaktabbruch zu Freunden und zur Familie zum Beispiel.
Wie funktioniert das mit der Kontrolle?
Dautermann: Durch die erwähnten Extreme werden Grenzen überschritten. Zum Beispiel in Form von Drohungen oder Lügen. Das sind Machtmittel. Genauso wie Doppelbotschaften, wenn Worte nicht mit Tonfall, Mimik und Gestik übereinstimmen. Wenn ich mit einer ganz kalten Stimme sage: "Ich finde dich toll", dann wird der Satz schnell zu einer Entwertung. Als Machtmittel kann auch Schweigen eingesetzt werden.
Sie sagten vorhin, dass Narzissten und Borderliner häufig Gift in die Beziehung tragen?
Dautermann: Es gibt sicherlich Persönlichkeitstypen, die eher dazu neigen, eine toxische Beziehung zu führen. Das können Personen sein, die man als narzisstisch beschreiben würde, typischerweise eher Männer. Das können aber auch Personen sein, die mehr in die Borderline-Dynamik gehen, das sind häufiger Frauen. Zu Anfang gibt es diese Idealisierung und mit der Zeit Abwertungen und Herabwürdigungen. Und es gibt, wie schon erwähnt, Persönlichkeitstypen, die sich zu solchen Personen hingezogen fühlen.
Aber damit auch nicht sehr glücklich sind.
Dautermann: Nein. Menschen, die sich mit jemandem eingelassen haben, der ihnen am Anfang so viel gegeben hat, die rennen immer ihrem Ideal hinterher, wenn das nachlässt.
Warum trennen sie sich dann nicht?
Dautermann: Das hat sehr viel mit Scham zu tun. Ich schäme mich letztlich, dass ich mit so einer Person zusammen bin und diese Grenzüberschreitungen mit mir machen lasse. Gleichzeitig bindet mich das: Ich möchte ja gerne den Mann oder die Frau vom Anfang zurückhaben. Auch Schuldzuweisungen verhindern, dass man sich trennt: Ich bin falsch und nicht genug für die andere Person.
Kann es auch sein, dass man sich hilflos fühlt, weil einem niemand glaubt, dass der Typ, den man mal stolz präsentiert hat, plötzlich so anders sein soll?
Dautermann: Das kann sein. Sicherlich sind diese Personen anfangs sehr charmant. Sonst würde man diese Beziehung ja gar nicht eingehen. Und dieser Charme strahlt auch auf das Umfeld aus. Andere bekommen das gar nicht mit, wenn sie diese Person zu wenig erlebt haben.
Wie gehen Sie damit in der Paarberatung um?
Dautermann: Die wenigsten kommen zusammen. Das wäre eine Bedrohung für die Dyade. Häufig läuft es auf die Entscheidung "take it or leave it" hinaus. Als Systemikerin mag ich nicht so gern Diagnosen. Ich gucke eher: Was macht das mit der Person? Die Beziehungsdynamik zu begreifen, kann entlastend sein, es kann aber auch Veränderungen behindern, weil: Das ist dann halt so, und dann kann man ja nichts dran machen.
Gibt es tatsächlich Menschen, die lieber bleiben als gehen, wenn sie die Dynamik erkannt haben?
Dautermann: Es kann gute Gründe haben, an so einer Beziehung festzuhalten, die wir nicht verstehen. Das ist aber auch eine Kraftanstrengung. Häufig lassen etwa Charmeoffensiven des anderen die ganze Hoffnung neu aufkeimen. Und Hoffnung ist etwas, das Leid verlängert. Ich werde aber niemand, wenn er nicht will, aus einer Beziehung rauscoachen. Das ist nicht mein Auftrag. Nicht annehmen kann ich aber den Auftrag: Hilf mir, meinen Partner zu verändern.
Weil man niemanden verändern kann?
Dautermann: Um eine Veränderung herbeizuführen, braucht es Reflexionsfähigkeit. Und gerade Personen, wo man eine Persönlichkeitsstörung wie Narzissmus oder Borderline-Syndrom diagnostizieren könnte, fehlt es häufig an dieser Innenansicht. Denn Persönlichkeitsstörungen erlebt man nicht als fremd, sondern als ich-synton: "So bin ich halt, und die anderen haben Unrecht."
Und was macht eine Beziehung lange glücklich?
Dautermann: (lacht) Die Suche nach dem Stein des Weisen! Häufig haben wir so eine Vorstellung von Verschmelzung. Für eine langfristige Beziehung ist das nicht die günstigste Idee. Ich bin eine eigenständige Person mit eigenen Bedürfnissen, und da ist ein Partner, der diese Bedürfnisse ernst nimmt. Und man macht sich nicht gegenseitig dafür verantwortlich, grundsätzlich glücklich oder zufrieden im Leben zu sein.
Dahinter steckt sehr viel Respekt.
Dautermann: Ja, der ist sehr wichtig. Respekt, Akzeptanz und Wertschätzung. Es geht um den respektvollen Umgang, auch mit Veränderungen.
Zur Person

Bei der Psychologischen Familien- und Lebensberatung der Caritas Heilbronn-Hohenlohe startete Johanna Dautermann vor fünf Jahren - gleich nach Abschluss ihrer Ausbildung.
Die Leitung des zwölfköpfigen Beraterteams übernahm sie im Herbst 2020. Zuvor hatte die 29-Jährige Psychologie an der Universität Mannheim studiert, ihren Master an der Uni Erlangen-Nürnberg absolviert und eine Ausbildung zur systemischen Therapeutin sowie zur systemischen Sexualtherapeutin durchlaufen.
Aufgewachsen ist sie in Rheinland-Pfalz, in Rüdesheim bei Bad Kreuznach.