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Tempolimit in Heilbronn
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Deutsche Städte wollen mehr 30er-Zonen – warum das nicht klappt

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In einigen Orten der Region Heilbronn gibt es bereits ein Tempolimit von 30 km/h – viele Kommunen wollen dies ausweiten, dürfen aber nicht. Woran das liegt und was sich ändern soll.

Städte und Gemeinden in der Region Heilbronn warten auf die Bundespolitik, um Tempo 30 auszuweiten zu können.
Städte und Gemeinden in der Region Heilbronn warten auf die Bundespolitik, um Tempo 30 auszuweiten zu können.  Foto: Berger, Mario

Derzeit haben 1051 Städte und Gemeinden in Deutschland ein gemeinsames Ziel. Sie sind Teil der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden" und wollen selbst entscheiden, auf welchen Straßen Tempo 30 gelten soll. Die Begründung: Dadurch werde es vor Ort sicherer, leiser, die Luft sauberer und das Leben attraktiver.

Im Herbst sah es so aus, als wäre das Bündnis am Ziel. Der Bundestag beschloss eine Reform des Straßenverkehrsrechts. Sie hätte es ermöglicht, dass Kommunen freier über Busspuren, Zebrastreifen und Tempolimits entscheiden können. Doch die Reform scheiterte im Bundesrat. Die unionsgeführten Länder stemmten sich gegen die Pläne, weshalb sich mehrere Landesregierungen bei der Abstimmung enthalten mussten, darunter Baden-Württemberg.

Die Initiative kritisierte das und forderte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) auf, den Vermittlungsausschuss einzuberufen. Doch eine gemeinsame Position, was die Länder wollen, fehlt bislang. Das bestätigt Wissings Ministerium. Man bedauere, dass die Reform abgelehnt wurde, sagt eine Sprecherin. Die Pläne seien intensiv mit den Ländern diskutiert worden. „Das Ergebnis war ein sehr guter Kompromiss, der den Anliegen sowohl der Koalition als auch der Kommunen und Länder gerecht wird." Erst mit einer Einigung der Länder könne das Vermittlungsverfahren starten.

Initiative Lebenswerte Städte: Gesetz für mehr Spielraum bei Tempo 30 muss kommen

Thomas Dienberg bringt das nicht aus der Fassung. Er ist Sprecher der Initiative und Baubürgermeister in Leipzig. Nach Scheitern der Pläne hat er das Gespräch mit den Verkehrsministern der Länder gesucht. Diese hätten signalisiert, dass Gespräche mit dem Bund laufen. „Wir hoffen, dass diese in den Vermittlungsausschuss führen." Die Kluft zwischen den Skeptikern und dem Gesetzentwurf sei „nicht so groß und kann überwunden werden".

Dass es überhaupt so gekommen ist, war für Dienberg „schon überraschend“. Viele Kommunen, die das Bündnis unterstützen, seien in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen und damit in Ländern, die die Abstimmung blockiert haben. „Dass die kommunale Stimme so wenig gehört wird, müsste einem zu denken geben", sagt Dienberg.

Bisher braucht es gute Gründe, um 30 km/h als Tempolimit anzuordnen

Denn bisher läuft es so: Will eine Stadt auf einer Straße das Tempolimit von 50 auf 30 km/h drosseln, geht das nur in Ausnahmefällen. Die Verwaltung muss begründen, dass das für weniger Lärm, weniger Luftschadstoffe oder mehr Sicherheit sorgt. „Um Tempo 30 anzuordnen, muss momentan ein wahnsinniger Aufwand betrieben werden", kritisiert Dienberg. Als Baubürgermeister in Leipzig spürt er das. Für einige Straßen laufen Verfahren. In anderen Straßen darf er das Tempo nicht drosseln, obwohl es ein Seniorenheim oder eine Kita gibt – weil kein Ausgang zur Straße führt. „Dort können Sie Tempo 30 nicht rechtssicher anordnen."

Es gehe nicht darum, Tempo 30 überall einzuführen, sagt der 62-Jährige, sondern dort, wo Menschen an der Straße leben und arbeiten. „Natürlich löst das nicht alle Verkehrsprobleme." Doch die Diskussion werde in den Gemeinden geführt. „Und die Leute verstehen nicht, warum es vor Ort nicht geht."

Städtetag Baden-Württemberg: Argumente der Union sind nicht nachvollziehbar

„Wir wünschen uns sehr, dass das Gesetz kommt", sagt Susanne Nusser, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Städtetags Baden-Württemberg. Nusser sieht jedoch den Bund am Zug. Denn die Länder seien sich im Bundesrat nicht einig geworden. Sie argumentieren so: Bisher regelt das Straßenverkehrsrecht die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs, mit der Reform sollen Klima- und Umweltschutz dazukommen. Städte könnten Tempo 30 künftig also auch für den Klimaschutz anordnen. Die Union befürchtet, dass die Verkehrssicherheit dadurch zurücktritt.

„Ich kann das nicht nachvollziehen", sagt Nusser. Sinke die Geschwindigkeit, nutze das der Sicherheit. Sie glaubt jedoch, dass der Streit im Vermittlungsausschuss gelöst werden kann. Denkbar sei, dass eine Rangfolge vereinbart wird, also die Sicherheit an erster und der Klimaschutz an zweiter Stelle steht. Wichtiger sei, dass überhaupt etwas passiert. Die Ablehnung des Bundesrats war bereits im November. "Je länger das auf Eis liegt, desto schwieriger wird es, das Vorhaben politisch wieder aufzugreifen."

Wimpfener Bürgermeister würde das Tempo auf mehr Straßen drosseln, doch aktuell geht das nicht

In der Region werden derweil Fakten geschaffen. In immer mehr Städten und Gemeinden gelten 30 Stundenkilometern als Höchstgrenze. In Löwenstein, Ilsfeld, Kirchheim und Lauffen etwa oder auch in Eppingen für alle Ortsdurchfahrten. Güglingen, Obersulm und Kupferzell wollen seit langem mehr 30er-Schilder aufstellen. Der Städteinitiative haben sich Heilbronn, Weinsberg, Obersulm, Bad Rappenau und Bad Wimpfen angeschlossen. Und das, obwohl etwa in Bad Wimpfen seit geraumer Zeit 30 km/h auf der Durchfahrtsstraße gilt.

"Wir haben noch Bereiche, in denen wir gerne Tempo 30 hätten, was nach aktueller Rechtslage aber nicht geht", erklärt Bürgermeister Andreas Zaffran. Das betreffe die Hohenstädter Straße, die Rappenauer Straße ortsauswärts und die Biberacher Straße. "Die Regel ist Tempo 50. Und für eine Abweichung braucht man eine Begründung, die es dort momentan nicht gibt."

Er finde es schade, dass das Gesetz wegen eines Ränkespielchens nicht verabschiedet wurde. "Das nimmt uns Möglichkeiten, auf kommunaler Ebene, wo das Leben wirklich stattfindet, die Dinge zu steuern und besser zu machen." Es sei ein Unterschied, ob Autos mit 30 oder 50 km/h vorbeifahren, wenn man vor dem Bäcker steht. Das bisherige Tempolimit habe sich positiv ausgewirkt. Der Durchgangsverkehr sei schwer gesunken, auch wenn das subjektiv anders wahrgenommen werde.

Kirchheimer Bürgerinitiative sieht große Zufriedenheit mit Tempo 30 auf der B27

Auch in Kirchheim gelten 30 km/h seit fast vier Jahren auf der B27 als Limit. Lange wurde darüber gestritten, erst musste ein Lärmaktionsplan her. Eigentlich will man eine Umgehungsstraße, für die die Bürgerinitiative „B27 raus aus Kirchheim" kämpft. Tempo 30 sei ein erster Schritt gewesen, sagt deren Sprecher Rolf Rieker. Allerdings habe das nur deshalb "ohne den sonst üblichen Widerstand der Verkehrsbehörden" geklappt, weil Lärmmessungen gesundheitsschädliche Werte ergeben hatten.

Nun sei der Lärm etwas weniger, für Fußgänger, Radfahrer und Abbieger sei es sicherer geworden. „Insgesamt sind alle Einwohner mit Tempo 30 zufrieden", sagt Rieker. Der Verkehr mit mehr als 20.000 Autos, die den Ort täglich durchqueren, bleibe jedoch eine Belastung.

Stadt Heilbronn will Tempo 30 bis 2030 flächendeckend anordnen

Die Stadt Heilbronn hat sich das Ziel gesetzt, Tempo 30 flächendeckend einzuführen, außer auf Hauptstraßen. Daher sind einige 30er-Straßen dazugekommen: Werder-, Knorr-, Silcher-, Cäcilienbrunnen-, Cäcilien-, Einstein-, Guido-Hauck- und Innsbrucker Straße, Im Wannental, Friedrich-Ebert-Brücke, Manfred-Weinmann-Ring und Im Fleischbeil. Geplant ist Tempo 30 in der Wollhaus-, Schickhardt- und der östlichen Weinsberger Straße. Bereits seit 2022 wird Tempo 30 in Heilbronn stark ausgeweitet

In Heilbronn werde Tempo 30 eingehalten und sei akzeptiert, sagt eine Rathaussprecherin. Bei festen Blitzern betrage die Quote derer, die schneller unterwegs sind, 0,2 Prozent, bei den beiden Blitzer-Anhängern 2,4 Prozent und bei mobilen Messungen 8,9 Prozent.

 
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