Psychologin über "Letzte Generation": "Sie wollen einzigartig sein"
Organisationspsychologin Maria-Christina Nimmerfroh erklärt im Interview, was die Aktivisten der "Letzten Generation" antreibt - und warum sie die Strukturen der Bewegung für sektenähnlich hält.

Die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" zielen vor allem auf eines ab: Aufmerksamkeit. Doch obwohl sie diese in Deutschland in besonderem Maße bekommen, verläuft für die Bewegung nicht alles nach Plan, sagt die Organisationspsychologin Maria-Christina Nimmerfroh (49) im Interview.
Sie hatten sich ja selbst mal eingeschleust bei der "Letzten Generation". Was haben Sie erlebt?
Nimmerfroh: Ich habe an Protesttrainings teilgenommen.
Sind Sie jetzt überzeugt?
Nimmerfroh (lacht): Nee. Dazu hat es nicht geführt, sondern eher, dass ich mich etwas erschreckt habe. Die Methoden, Menschen zu überzeugen, sich diesen Aktionsformen anzuschließen, fand ich sehr übergriffig.
Was genau empfanden Sie als übergriffig?
Nimmerfroh: Die Trainings basieren zu einem großen Teil darauf, Hemmnisse abzubauen, die Menschen im Kontakt mit der Polizei und bei der Übertretung von Normen im Allgemeinen haben. Es kommen darin Coachingelemente vor, die sonst in therapeutischen Settings eingesetzt werden, um zum Beispiel Menschen mit Angststörungen zu helfen. Diese Techniken sind - nach meinem ethischen Bewusstsein - nicht dafür gedacht, Menschen dazu zu bringen, Straftaten zu begehen und sich freiwillig auch längeren Gefängnisaufenthalten zu unterziehen.
Aber wie kann denn jemand für ein solches Thema tatsächlich soweit kommen, dass er bereit ist, Haftstrafen in Kauf zu nehmen?
Nimmerfroh: Das gelingt unter anderem dadurch, dass eine extrem starke Bindung an die Gruppierung herbeigeführt wird, in dem beispielsweise auf der sozialen Ebene kleine Einheiten gebildet werden, in denen sehr respektvoll, sehr achtsam und auf der anderen Seite sehr fordernd miteinander umgegangen wird. Die Organisation erwartet in der Idealvorstellung von ihren Aktivisten, dass sie vollumfänglich zur Verfügung stehen. Das bedeutet auch die Aufgabe des Ausbildungsplatzes, des Studienplatzes oder des Berufs.
Was geschieht da auf der psychologischen Ebene?
Nimmerfroh: In den psychologisch orientierten Trainings begeben sich die Aktivisten auf mentale Reisen, wie bei Meditationen, und bauen Hemmnisse ab. Zudem wird das Gruppenverhalten stark beeinflusst über gemeinsame Regeln. Wir sprechen in der Psychologie von Gruppennorm. In manchen Gruppen, zum Beispiel unter Linksextremen, ist es die Norm, die Polizei doof zu finden. Bei der "Letzten Generation" ist es die Norm, freiwillig ins Gefängnis zu gehen. Das heißt, die normale Herangehensweise - oh, lass uns Gefängnis vermeiden, das ist eine große Belastung für uns - wird umgedreht. Umdrehen bedeutet, dass hier gesagt wird, okay, es soll keiner gebasht werden, der nicht ins Gefängnis geht. Und die Hemmschwelle sinkt mit dem ersten Gewahrsam.
Man muss ja schon dafür empfänglich sein.
Nimmerfroh: Was wir erleben, ist ein Ergebnis der sogenannten Selbstselektion. Wer mit dieser Art der Regelungen oder der Hierarchie nichts mehr anfangen kann, geht einfach nicht mehr hin. Innerhalb der Hierarchie gibt es eine sehr starke Trennung zwischen den Leitungsgremien und den ausführenden Personen. Das ist sehr ungewöhnlich für eine Bewegung, die im weitesten Sinne dem linken Spektrum zugeordnet werden kann.
Wir haben hier Menschen, die auf der einen Seite etwas Besonderes machen, einzigartig sein wollen und die aber auf der anderen Seite sehr gut mit der Konformität und der sehr starken Reglementierung umgehen können. Die Gruppe verkörpert eine unübliche Geschlossenheit nach außen und zeigt ein soziales Dominanzstreben. Das, was dadurch zum Ausdruck kommt, ist: Dass sie meinen, besser zu sein als andere. Sie seien genau die und auch die einzigen, die wissen, wie mit dem Klimaschutz umgegangen werden soll.
Das hört sich irgendwie nach Sektenstruktur an.
Nimmerfroh: Das, was wir hier erleben, sind in jedem Fall vergleichbare Strukturen. Die Überzeugung der eigenen Überlegenheit, die bei den Aktivisten überall zum Ausdruck kommt, findet man sowohl in faschistoiden Strukturen als bei religiösen Fundamentalisten.
In Heilbronn ging es ja soweit, dass das Gericht verhöhnt wurde. Direkt nach einem Urteil fand die nächste Straßenblockade statt. Wie bewerten Sie das?
Nimmerfroh: Die "Letzte Generation" instrumentalisiert den Rechtsstaat. Das ist auch ein großer Unterschied zu anderen Protestgruppen. Andere sehen den Staat als Feind, vor dem man sich verstecken muss, den man bekämpfen muss. Die "Letzte Generation" verfeinert diese Auseinandersetzung mit dem Staat, indem sie dieses Zusammentreffen vollumfänglich selbst plant und inszeniert. So wird ja auch jeder Auftritt vor Gericht durch entsprechende Prozesstrainings vorbereitet.
Der Richterin in Heilbronn wollte man eine Befangenheit unterstellen.
Nimmerfroh: Das sind immer dieselben Mechanismen. Befangenheitsanträge sind ja übliche Anträge von der Verteidigerseite.
Welche Rolle soll dabei die Presse spielen?
Nimmerfroh: Die Presse ist für die "Letzte Generation" absolut essentiell. Die obersten Ziele der Organisation sind Störung und Aufmerksamkeit und für die Aufmerksamkeit brauchen die Aktivisten essentiell die Berichterstattung. Die Journalisten werden auch instrumentalisiert, indem zu einigen Vertrauen aufgebaut wird und sie gegenüber anderen bevorzugt werden.
Wir diskutieren intern regelmäßig, welchen Weg wir gehen. Haben Sie da Ideen, Gedanken dazu?
Nimmerfroh: Ich halte persönlich für wichtig, dass man immer versucht, das in einen Kontext zu stellen und die Mechanismen der Organisation deutlich zu machen. Ich meine, da ist eine Organisation, die sehr ideologisch ist und inhaltlich sehr dominant auftritt. Ich würde deren Narrativ offenlegen, so wie man auch eine Fernsehwerbung kritisch begleiten würde. Das Narrativ, das man sich ansehen müsste, ist das der jungen Menschen, die sich verzweifelt auf die Straße kleben. Das wollen sie nach außen darstellen. Deswegen kommen auch fast nur junge Menschen in Interviews vor, obwohl dass das Durchschnittsalter der Organisation gar nicht widerspiegelt. Das ist aber eben ein Narrativ, das verfängt.
Die Aktivisten sind in der Regel bereit, mit vollem Namen genannt zu werden. Bei anderen Organisationen wird oft Wert gelegt auf Anonymität. Finden Sie das auch erstaunlich?
Nimmerfroh: Ja. Ich erlebe das genauso. Das ist Teil des Konzeptes. Wir müssen davon ausgehen, dass alles, was da passiert, Teil einer größeren Strategie ist. In Deutschland wird gerne verschleiert, wer dahintersteht. Die Mentaltrainings kommen aus dem Ausland, bis hin zu den Vordrucken für die Arbeitsverträge. Das sind Vorgaben, die mit den Geldflüssen zusammenhängen. Dahinter steht das A22-Netzwerk, dahinter steht der kalifornische Climate Emergency Fund, damit eng verbunden sind die Gründer der radikalen Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion. Also insgesamt steht dahinter eine sehr kleine Gruppe, die zum Ziel hat, in Industrienationen Destabilisierungsmechanismen zu installieren. In Deutschland sind sie am erfolgreichsten.
Hier in Heilbronn hatte es für Aufregung gesorgt, dass ein Protesttraining unter dem Dach des Gewerkschaftshauses abgehalten werden konnte. Verwundert sie das?
Nimmerfroh: Nein, das wundert mich nicht. Die "Letzte Generation" hat eine sehr starke Vernetzungsstrategie. Das heißt, sie wollen in gesellschaftliche Organisationen wie Gewerkschaften hineinwirken - durch Kooperationen, durch gemeinsame Veranstaltungen. Das gelingt bislang sehr begrenzt. Innerhalb der Organisation wird aber eine solche Veranstaltung, die in einem solchen Haus stattfindet, bereits als großer Erfolg verbucht. Und jeder Kontakt mit einer lokalen Gewerkschaft wird intern gleich so verkauft, als wäre das jetzt ein Schulterschluss.
Wer bei Straßenblockaden dabei ist, kann es hautnah erleben: die Wut von Autofahrern. Was löst das bei den Aktivisten aus?
Nimmerfroh: Es gibt zwei Aspekte. Die Aktivisten werden - und das finde ich persönlich sehr gut, muss ich sagen - exzellent vorbereitet. Das ist eine Belastungssituation, keiner möchte angebrüllt werden. Deshalb gibt es intern Mentaltrainings. Sie dienen auch dazu, dass die Aktivisten nicht ausbrennen. Die natürliche Reaktion wäre ja, das nicht auszuhalten und es dann nicht mehr zu machen.
Oder wie manch ein Autofahrer ebenfalls zu eskalieren.
Nimmerfroh: Genau, und das will die Bewegung eben vermeiden. Der zweite Aspekt ist der: Auch diese Reaktion der Autofahrer oder auch mal ein wütender Polizist ist absolut einkalkuliert in die Strategie. Man bestärkt die eigenen Unterstützer oder Unentschlossene, die dann sagen: Die können doch nicht die jungen Leute anbrüllen, die haben doch irgendwo recht.
Wenn man das so sieht, läuft ja bisher für die "Letzte Generation" alles nach Plan?
Nimmerfroh: Nicht alles läuft nach Plan. Die Rekrutierungszahlen sind zu gering. Man muss wissen, dass die Organisation extrem genau Teilnehmerzahl, Werbemittel, regionale Verbreitung und die Entwicklung der Aktivistenzahlen und Vollzeitarbeitsverträge plant. Da wurden Soll-Zahlen festgelegt, wie man es von Unternehmen kennt. Sie haben auch das Problem, dass lokale Widerstandsgruppen zu klein sind für eigene Aktivitäten.
Wo führt das hin? Irgendwann wird es ja vielleicht doch - auch für die Medien - wieder langweiliger?
Nimmerfroh: Ich gehe davon aus, dass es bald weniger Straßenblockaden geben wird, wie wir sie bisher erlebt haben. Jetzt sind längere Störungen intendiert. Es werden zum Beispiel intern aktuell Leute mit Führerschein gesucht, die Mietwagen anmieten und auf Autobahnen abstellen. Weil es relativ lange dauert, sie abzuschleppen, und dann ist halt die Autobahn lange gesperrt.
Zur Person

Maria-Christina Nimmerfroh ist Diplom-Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Vor ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit hat sie als Journalistin gearbeitet. Seit vielen Jahren engagiert sie sich für die Friedrich-Naumann-Stiftung, die der FDP nahesteht. 2018 war sie Kandidatin der FDP bei den Landtagswahlen in Hessen. Sie ist 49 Jahre alt, Mutter drei erwachsener Söhne und lebt in Frechen bei Köln.