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"Überall fühlen sich Menschen durch Lärm gestört"

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Der ehemalige Lärmschutzbeauftragte in Baden-Württemberg, Thomas Marwein, erhielt etwa 500 Klagen im Jahr. Die meisten kamen wegen lauter Motorräder.

Die B39 in den Löwensteiner Bergen ist bei Motorradfahrern beliebt und an schönen Tagen stark frequentiert. Bisherige Versuche, den Lärm einzudämmen, scheiterten. Foto: Archiv/HSt
Die B39 in den Löwensteiner Bergen ist bei Motorradfahrern beliebt und an schönen Tagen stark frequentiert. Bisherige Versuche, den Lärm einzudämmen, scheiterten. Foto: Archiv/HSt

Das Leben vieler Menschen ist laut. Im Job und im Straßenverkehr geht es hektisch zu. Dies mag mit ein Grund für den zunehmenden Wunsch nach Ruhe sein, sagt Thomas Marwein. Der grüne Landtagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Offenburg war von 2016 bis vor wenigen Wochen Lärmschutzbeauftragter des Landes Baden-Württemberg.

 

Welche Art von Lärm geht Ihnen auf die Nerven?

Thomas Marwein: Es ist tatsächlich Motorenlärm, egal ob Auto, Motorrad oder Rasenmäher. Schlimm sind Fehlzündungen bei Motorrädern, die man steuern und bewusst herbeiführen kann.

 

Fahren Sie selbst Motorrad?

Marwein: Als ich 18 Jahre alt war, habe ich mir eins gekauft. Ich lebte in Lörrach. Von dort aus unternahm ich mit meiner Clique Ausfahrten über die Pässe ins Tessin. Ich habe damals auch ab und zu so Gas gegeben, dass es laut wurde. Das gebe ich zu. Im Nachhinein tut es mir leid.


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Was machte die Faszination aus?

Marwein: Es war vielleicht das Lebensgefühl. Mitte der 1970er Jahre gab es aber noch lange nicht so viele Motorräder wie heute. Und sie waren leiser. Das sagen auch viele ältere Motorradfahrer.

 

Was tun Sie heute, wenn Sie sich durch Lärm gestört fühlen?

Marwein: Ich ärgere mich (lacht). Da rauscht jemand mit Krach an dir vorbei und du kannst nicht viel dagegen tun. Die Polizei sagt, man soll die Kennzeichen an sie weitergeben, sie würden dem nachgehen. Und das tun sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch.

 

Was meinen Sie: Sind Menschen empfindlicher geworden?

Marwein: Das ist schwer zu beantworten. Wenn es eine Anlauf- oder Beschwerdestelle gibt, wo man sich hinwenden kann, dann tun Menschen das. Gibt es solch eine Stelle nicht, kommen deutlich weniger Beschwerden. Mein Eindruck ist, dass unser Leben hektischer geworden ist und dadurch das Ruhebedürfnis zugenommen hat.


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Mit welchen Anliegen haben sich Bürger aus dem Land bei Ihnen als Lärmschutzbeauftragtem gemeldet?

Marwein: Bei 40 bis 50 Prozent aller Eingaben ging es um laute Motorräder. Dazu kamen allgemein Beschwerden wegen Verkehrs- oder Straßenlärm. Bürger fühlten sich auch durch Lärm aus Gewerbe- und Industriegebieten gestört. Fluglärm dagegen spielte kaum eine Rolle. Einige Menschen meldeten sich außerdem wegen Radau in der Nachbarschaft. Dafür waren wir aber nicht zuständig, das ist eine Sache der Kommunen.

 

Wie viele Beschwerden haben Sie erhalten?

Marwein: Es waren etwa 500 im Jahr. Jeder Bürger, der sich bei mir und meinem Team gemeldet hat, bekam eine Antwort. Die Stelle des Lärmschutzbeauftragten zeigte, überall, an allen Ecken und Enden fühlen sich Menschen durch Lärm gestört. Es meldeten sich außerdem Menschen mit Sachkunde. Kommunalpolitiker suchten Rat und fragten beispielsweise: Unser städtischer Lärmaktionsplan wird nicht umgesetzt, was kann ich tun?

 

Wie haben Sie als Beauftragter des Landes reagiert?

Marwein: Wir sprachen mit Bürgermeistern und Landratsämtern. Wenn sich eine Bürgerinitiative gebildet hatte, besuchten wir diese vor Ort. Wir halfen mit Informationen und erläuterten, welche Möglichkeiten bestehen, den Lärm zu reduzieren oder zu beseitigen.


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Wie ging es den Menschen, die sich gemeldet haben?

Marwein: Sie waren wirklich angefressen. Sie hatten den Eindruck, dass niemand ihnen hilft. Sie fühlten sich alleingelassen.

 

Kennen Sie die Löwensteiner Platte, den Kraichgau und das Zabergäu?

Marwein: Ja. In Löwenstein war ich vor Ort. Es sind vor allem Landes- und Kreisstraßen, die bei Motorradfahrern beliebt sind. Sie befestigen Kameras an ihren Maschinen, fahren die Strecken ab und laden das Video auf Youtube hoch. Durch das Internet sind alle gut informiert, wo es reizvolle Strecken gibt.

 

Was halten Sie von einem Fahrverbot für Motorräder an Sonntagen?

Marwein: Dazu fehlt derzeit die Rechtsgrundlage. Diese sollte aber geschaffen werden für den Fall, dass ausschließlich an sehr konfliktträchtigen Strecken und nur an Wochenenden der Bevölkerung ein ruhiger Tag ermöglicht werden soll. Besser ist jedoch, dass die Motorräder leiser werden und leiser gefahren werden.


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Lärm macht krank. Tut der Gesetzgeber genug, um Menschen zu schützen?

Marwein: Beim Lärm ist die Gesetzgebung auf Seiten des Bundes. Da wird so gut wie nichts getan. Wir brauchen ein Gesamtlärmgesetz, denn das Ohr hört alles. Wenn jemand neben einer verkehrsträchtigen Straße wohnt und auf der anderen Seite ist Bahnlärm, dann mag es zwar sein, dass jede Lärmquelle für sich genommen die Grenzwerte einhält. In der Summe wäre der Auslösewert für lärmmindernde Maßnahmen überschritten, wenn es endlich ein Gesamtlärmgesetz gäbe.

 

Städte und Gemeinden bringen zum Beispiel Flüsterasphalt auf und bauen Schutzwände. Reicht das nicht?

Marwein: Die Reduzierung von Verkehrslärm geht in Deutschland zu sehr nach Kassenlage, beziehungsweise, wer am lautesten schreit, bekommt Hilfe. Ich meine, es muss einen Rechtsanspruch auf Lärmschutz geben. Das kostet unterm Strich Milliarden Euro. Es wäre eine Investition in die Gesundheit der Menschen.

 

Muss der Hebel auch bei den Fahrzeugen selbst angesetzt werden?

Marwein: Ohne knallharte Forderungen geht es nicht. Der Gesetzgeber kann die Hersteller zum Bau von leisen Autos und Motorrädern zwingen, indem er zum Beispiel die Klappenauspuffanlagen in Europa verbietet. Denn auf dem Prüfstand entsprechen die Fahrzeuge den Regeln. Es hängt dann von der Fahrweise des Fahrzeuglenkers ab, ob ein Auto oder Motorrad zu laut wird. Die Fahrer zu erwischen, ist nahezu unmöglich.

 

Zur Person

Thomas Marwein (63) ist in Rastatt, Achern und Binzen im Kreis Lörrach aufgewachsen. Er absolvierte eine Ausbildung zum staatlich geprüften Vermessungstechniker und studierte Bauingenieurwesen in Karlsruhe mit den Schwerpunkten Verkehrswesen und Wasserbau. Zu den beruflichen Stationen gehört die Gewässerdirektion Südlicher Oberrhein/Hochrhein. Seit 2011 ist Marwein Landtagsabgeordneter. In der zurückliegenden Legislaturperiode war er Lärmschutzbeauftragter des Landes. Diese Stelle ist nach der Landtagswahl im März von der grün-schwarzen Koalition gestrichen worden. Marwein ist lärmpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

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