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"Jedes verlorene Menschenleben ist eines zu viel"

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Der Heilbronner Professor Roland Pfennig erklärt, was sich ändern muss, damit weniger Menschen bei Lkw-Unfällen sterben. Und er nimmt den Verbraucher in die Pflicht.

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Im Oktober stirbt ein Lkw-Fahrer auf der A6 bei Wimmental, als er am Stauende auf einen 40-Tonner auffährt. In diesem Jahr sind bereits mindestens fünf Menschen bei Lkw-Unfällen auf Autobahnen in der Region ums Leben gekommen.
Foto: Archiv/Hoffmann
Im Oktober stirbt ein Lkw-Fahrer auf der A6 bei Wimmental, als er am Stauende auf einen 40-Tonner auffährt. In diesem Jahr sind bereits mindestens fünf Menschen bei Lkw-Unfällen auf Autobahnen in der Region ums Leben gekommen. Foto: Archiv/Hoffmann  Foto: Hoffmann, Adrian

Dr. Roland Pfennig von der Hochschule Heilbronn hat 2007 das Institut für Nachhaltigkeit in Verkehr und Logistik mit gegründet. Der Experte klärt über Maßnahmen auf.

 

Muss angesichts der schweren Folgen bei einem Lkw-Unfall nicht die Frage gestellt werden, ob das noch im Verhältnis zum Nutzen steht?

Professor Roland Pfennig: Wenn man das Leid bedenkt: ja. Das betriebswirtschaftliche Nutzenargument zieht demgegenüber nicht. Wir nehmen Todesopfer oft stoisch als gottgegeben hin.

 

Wann ist es denn genug?

Pfennig: Jedes verlorene Menschenleben, jeder Verletzte oder auch traumatisierte Hinterbliebene ist einer zu viel. Eindeutig zu viel ist es spätestens dann, wenn Brennpunkte oder Risikosituationen wie Baustellenbereiche erkannt sind und nichts dagegen getan wird. Notbremsassistenten, Abstandswarner oder Abstandsregeltempomaten mindern die Unfallgefahr. Wichtig ist natürlich, dass die Fahrer diese Systeme nicht abschalten.

 

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Das kommt aber vor.

Pfennig: Mitunter werden solche Systeme abgeschaltet oder durch Übersteuerung außer Kraft gesetzt. Manipulation an den Fahrtenschreibern hat durch den digitalen Tacho deutlich abgenommen. Dennoch werden Lenk- und Ruhezeiten nicht immer eingehalten.

 

Sind diese Fahrer selbst schuld, wenn sie sterben?

Pfennig: Das würde ich nicht sagen. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie für uns fahren. Fernfahrer sind wichtige "Rädchen" in unseren Versorgungsnetzwerken und leiden häufig unter einem schlechten Image. Jeder Mensch, der seinen 30 Tonnen schweren und mit über 300 PS motorisierten mobilen Arbeitsplatz auf öffentlichen Straßen bewegt, übernimmt eine große Verantwortung für sich selbst und andere. Missachtet er Gebote und Verbote, trifft ihn im Falle eines Unglücks zumindest eine Mitschuld.

 

Im Juli ist das EU-Mobility-Package (dt. EU-Mobilitätspaket) in Kraft getreten. Ein wichtiger Schritt?

Pfennig: Durch das Paket profitieren 3,6 Millionen Lkw-Fahrer. Die Zustände sind teilweise prekär. Fahrer finden keinen Parkplatz, auf dem sie übernachten können, sind oft wochenlang unterwegs und stehen unter Stress. Seit Juli dürfen sie ihre Ruhezeiten nicht mehr in der Kabine verbringen und sie müssen nach drei Wochen nach Hause fahren.

 

Können Logistikunternehmen und Fahrer das Problem alleine lösen?

Pfennig: Den Unternehmen eine kurzfristige Modernisierung der Lkw-Flotte aufzubürden bei gleichzeitigem Mangel an qualifizierten Fahrern, ist illusorisch. Transport und Logistik sollen immer auch billig sein. Außerdem fehlt es derzeit noch an der nötigen Infrastruktur und, im Falle des autonomen Fahrens, an gesetzlichen Regelungen.

 

Welche Rolle spielen konventionelle Hinweisschilder und Kontrollen?

Pfennig: Warnsysteme und Hinweisschilder, unterstützt durch digitale Assistenten, können funktionieren. Allerdings nicht ohne Kontrollen. Eine umfassende Kontrolle ist aus Gründen der Personalkapazität natürlich nicht möglich.

 

Dr. Roland Pfennig von der Hochschule Heilbronn hat 2007 das Institut für Nachhaltigkeit in Verkehr und Logistik mit gegründet. Foto: privat  Foto: Matthias Stark

Was kann der Verbraucher tun?

Pfennig: Der aufgeklärte Verbraucher fragt sich, wo seine Ware herkommt, ob er sie nicht auch lokal kaufen kann und wenn nicht, ob er sie wirklich binnen 24 Stunden benötigt. Manche vergessen leider: die schnellste "same-day-delivery" (dt. Lieferung am selben Tag) ist der Kauf beim Händler um die Ecke. Wenn es schon via Internet sein muss, dann möglichst gezielt und retourenfreundlich einkaufen.

 

Also ist es am Ende der Verbraucher?

Pfennig: Dem Konsumenten die alleinige Verantwortung aufzulasten, ist sicher nicht richtig. Es ist eine Herausforderung für alle. Die Logistikbranche bietet nicht erst seit gestern Lösungsansätze an. Stichwort multimodale Konzepte.

 

Was bedeutet das?

Pfennig: Über eine multimodale Transportkette wird versucht, Güter weg von der Straße und hin zur Schiene und das Schiff zu bewegen. Eine Überlegung: Wie bezieht man das Container-Terminal in Heilbronn besser ein. Das funktioniert nicht bei allen Produkten. Frischegüter, dringend benötigte Arznei oder Ersatzteile gehören nicht dazu.

 

Teilweise werden Lager aufgelöst und auf Lkw verteilt, die dann durch die Republik rollen.

Pfennig: Diesbezüglich findet langsam ein Umdenken statt. Nicht erst seit Corona hat man gemerkt, dass Just-in-Time-Lieferketten (dt. wenn benötigt) nicht strapazierfähig sind. Wo vertretbar, werden zumindest wieder kleine Lagerbestände vor Ort gehalten.

 

Zurück zum Thema Nachhaltigkeit und Ethik. Wird dazu geforscht?

Pfennig: In der HHN haben wir bereits im Jahr 2007 das Institut für Nachhaltigkeit in Verkehr und Logistik gegründet, das sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Grüne Logistik, Nachhaltigkeitsmanagement und Digitalisierung beschäftigt. Eine zentrale Frage ist, wie Logistik so gestaltet werden kann, dass den Menschen in allen Bereichen, insbesondere im Führerhaus, ein attraktiver und sicherer Arbeitsplatz angeboten werden kann.

 

Was ist das Ergebnis?

Pfennig: Neben einer ganzen Reihen von Projekten zur Verbesserung der Ausbildung, der Bezahlung und des Images des Lkw-Fahrers gab es die Teilnahme an einem umfassende Projekt zur medizinischen Unterwegsversorgung für Berufskraftfahrer im gewerblichen Güterkraftverkehr namens DocStop. Damit soll ein Beitrag zur größeren Verkehrssicherheit und Schaffung eines humanitären Arbeitsplatzes geleistet werden. Das Ergebnis ist ein Verein mit 700 Medizinern in Deutschland, bei denen sich Fernfahrer bei gesundheitlichen Problemen behandeln lassen können.


Zur Person

Dr. Roland Pfennig (59) lehrt seit 2005 an der Hochschule Heilbronn (HHN)) im Studiengang Verkehrsbetriebswirtschaft und Logistik. Der gebürtige Heilbronner hat 2003 im Bereich Umweltinformatik an der Universität Freiburg promoviert. Er ist Gründungsmitglied und geschäftsführender Direktor des Instituts für Nachhaltigkeit in Verkehr und Logistik und seit 2017 Ethikbeauftragter an der HHN.

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