Mangel an Medikamenten: Jetzt werden auch Antibiotika knapp
Der Mangel bei Präparaten für Kinder sei besonders groß, sagt der Heilbronner Apotheker Dirk Homann von der Harfensteller-Apotheke. Noch ernstere Schwierigkeiten drohen, weil Indien und China den Export von Ibuprofen und Paracetamol beschränkt haben.

Apotheker und Ärzteverbände schlagen Alarm. Inzwischen sei "eine neue Qualität von Lieferengpässen" bei gängigen Arzneimitteln erreicht, sagt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Stuttgart. Gerade bei häufig verordneten klassischen Breitband-Antibiotika "haben wir ein Problem", so Sonntag.
Lieferprobleme "noch nie so heftig wie derzeit"
Vor Weihnachten stand die Knappheit bei fiebersenkenden Säften für Kinder im medialen Fokus. Inzwischen seien die Schwierigkeiten beim Breitband-Antibiotikum Amoxicillin angekommen, bestätigt Frank Eickmann, Sprecher des Landesapothekerverbands (LAV). "Wir sind nicht bei Null, aber wir haben deutliche Lieferprobleme. Das war noch nie so heftig wie derzeit."
Befristete Engpässe bei einzelnen Arzneimitteln seien ein Phänomen, das seit Jahren bekannt sei, sagt Sonntag. Neu sei, dass mit Antibiotika nun eine Medikamentengruppe betroffen ist, die für die breite Versorgung der Bevölkerung relevant ist, "das ist was anderes, wie wenn ein einzelnes Medikament für die Behandlung einer bestimmten Erkrankungen von einem Hersteller ausfällt".
Ein Grund für die angespannte Lage sei auch die aktuell grassierende Infektwelle mit vielen unspezifischen Entzündungen, für die Ärzte klassischerweise Antibiotika verordneten, sagt Eickmann. So treffe die Knappheit mit "massiven Lieferausfällen verschiedener Hersteller" auf einen großen Bedarf. Doch gerade beim Einsatz von Antibiotika ist Zeit ein wichtiger Faktor: "Das braucht man als Patient schnell", so Eickmann. Als Ausweichlösung werde inzwischen häufig auf klassisches Penicillin zurückgegriffen, "aber auch da gibt es mittlerweile Engpässe, wir sehen einen Dominoeffekt".
Lage dürfte sich im Frühjahr nur zeitweilig entspannen
Dirk Homann von der Harfensteller-Apotheke in Heilbronn treibt besonders die Knappheit bei Antibiotika-Präparaten für Kinder um. "Da ist fast durchweg nichts zu bekommen." Im Erwachsenen-Bereich könne man wenigstens in vielen Fällen auf andere Dosierungen oder Packungsgrößen ausweichen, auch kämen immer mal wieder Präparate einzelner Hersteller rein. "Wir bekommen vereinzelt Lieferungen, die sind dann aber auch schnell wieder weg, weil immer noch viele Menschen krank sind."
Für das Frühjahr rechnet Homann mit einer Entspannung der Lage, wenn auch nur temporär. "Ich fürchte, wenn die Produktionsorte nicht wieder stärker nach Europa verlagert werden, bekommen wir solche Probleme immer wieder."
Bei der Produktion von Wirkstoffen sei Deutschland zu 100 Prozent von China und Indien abhängig, sagt Kai Sonntag. Es würde Jahre dauern, in Europa wieder entsprechende Chemie-Produktionen aufzubauen, meint Frank Eickmann. "Wir sehen jetzt die Effekte von 20 Jahren ökonomischer Fehlsteuerung."
Weltweite Probleme drohen
Und es drohen neue, womöglich noch ernstere Schwierigkeiten. Nach Berichten französischer Medien hat nach Indien auch China die Ausfuhr von Paracetamol und Ibuprofen beschränkt. Grund sind die hohen Corona-Fallzahlen in dem Land. "Wenn die das durchziehen, gibt es in der ganzen Welt Probleme", meint Eickmann. Die Wirkstoffe sind in zahlreichen Medikamenten enthalten, zum Beispiel in Fiebersäften für Kinder. Diese seien derzeit im europäischen Ausland, zum Beispiel Österreich, teils noch gut zu bekommen, so der LAV-Sprecher, denn dort seien die Preise höher.