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Kollaps des Gesundheitssystems droht auch in Deutschland

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Angesichts der hohen Corona-Neuinfektionen haben Mediziner vor einer Überlastung von Intensivstationen gewarnt und konsequente Auffrischungsimpfungen sowie eine erneute Intensivierung der Impfkampagne gefordert.

Impfen und boostern − der Weg aus der Pandemie. Allerdings ist es inzwischen häufig schwierig, überhaupt einen Termin zu bekommen
Foto: dpa
Impfen und boostern − der Weg aus der Pandemie. Allerdings ist es inzwischen häufig schwierig, überhaupt einen Termin zu bekommen Foto: dpa  Foto: Arne Dedert

Die Gesundheitsversorgung in Teilen Österreichs steht vor dem Kollaps. Auch im Süden und Südosten Deutschlands ist diese Situation nicht fern, fürchten Intensivmediziner. "Eine latente Triage findet dort schon jetzt statt", sagte Stefan Kluge vom Divi-Intensivregister bei einer Online-Konferenz des Science Media Centers.

Latente oder weiche Triage findet im Süden und Südosten schon jetzt statt

Eine "latente" oder "weiche Triage" bedeutet zum Beispiel: Es gibt Verzögerungen und Verschlechterungen bei der Versorgung von Herzinfarkt- oder Schlaganfallpatienten aufgrund der hohen Belastung mit Covid-Patienten. Kliniken melden sich von der Notfall-Versorgung ab, der Notarzt muss ein freies Bett andernorts suchen, was wertvolle Zeit kostet. Selbst in München mit seinen sehr guten medizinischen Kapazitäten ist dieser Fall in den vergangenen Tagen eingetreten.

 


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Auch wichtige Tumor-Operationen müssten vielerorts verschoben werden, Operationssäle seien geschlossen, weil das Personal in der Covid-Versorgung gebraucht werde, sagte Michael Hallek von der Uniklinik Köln. "Wenn die Fallzahlen weiter so steigen, werden wir in ganz Deutschland in diese Situation kommen." Hallek fand deutliche Worte: Es sei im Sommer ein "wesentlicher Fehler im Diskurs" gemacht worden, indem der Eindruck vermittelt wurde, "alles ist okay, wenn die Intensivstationen gerade so klarkommen". Dabei sei "überhaupt nichts in Ordnung, wenn wir Tausende Corona-Patienten pro Monat behandeln, die ganze Debatte führt in die Irre". Eine Behandlung auf der Intensivstation sei "Folter, die Menschen ringen um Luft oder mit dem Tod".

Ärzte müssen entscheiden, welche anderen wichtigen OPs sie verschieben

Ärzte ihrerseits kämen in ein "ethisches Dilemma" entscheiden zu müssen, welche anderen Operationen zurückgestellt werden. Nicht selten verschlechtere sich durch dieses Warten der Zustand des Patienten. Hallek: "Dass wir diese Entscheidungen überhaupt treffen müssen, müsste nicht sein, wenn die Pandemie unter Kontrolle wäre."

Etwas zurückhaltender äußerte sich Stefan Kluge: "Mich wundert, dass die Politik so zögerlich reagiert", sagte er. Nur durch die extrem gute Ausstattung der Intensivmedizin in Deutschland seien während der ersten Wellen humanitäre Katastrophen wie in Bergamo oder im Elsass verhindert worden. Hallek bezeichnete es als "erschütternd", dass immer noch so viele junge Menschen glaubten, sie seien durch Corona nicht gefährdet. "Auch mit 20 oder 30 Jahren kann man auf der Intensivstation landen und dann hat jeder das gleiche Sterberisiko." Seine Forderung: "Die Politik muss aufhören mit den Dissonanzen zu Marginalien und alles geben, um die Impfkampagne zu professionalisieren." Dazu gehörten der schnelle Aufbau einer guten Impf-Infrastruktur und mehr Anstrengungen, um zum Beispiel Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen zu erreichen.

 


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Die Covid-Patientenzahlen steigen weiter

Christian Karagiannidis, Chef des Divi-Intensivregisters, meldete gestern einen Anstieg auf 3376 Covid-Patienten auf deutschen Intensivstationen. "Eine Trendumkehr ist in keinster Weise in Sicht", schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter. Bayern stehe kurz vor einem "Allzeithoch". Bereits am Dienstag hatten sich Intensivmediziner des Versorgungsclusters in Baden-Württemberg, zu dem auch Heilbronn gehört, mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt. Alle, die medizinische Behandlung brauchten, seien von einem weiteren Anstieg der Covid-Patientenzahlen betroffen, die Versorgung insgesamt leide. Nur durch eine gemeinsame Anstrengung - impfen, boostern, testen, Abstands- und Hygienemaßnahmen - lasse sich das abwenden.

Die Anästhesisten-Verbände schlossen sich dieser Warnung an. "Das deutsche Gesundheitssystem steuert auf eine Katastrophe zu", schreiben der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) und die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) in einem am Mittwoch veröffentlichten Brief.

 


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Die Impfkampagne muss professionalisiert werden, fordern Mediziner

"Wir müssen jetzt alle Weichen stellen, um die Inzidenzen runterzukriegen", appellierte Michael Hallek. Dazu brauche es eine einheitliche, klare Kommunikation und eine Professionalisierung der Impfkampagne, "es braucht Leadership". Die Intensivmedizin, so Hallek weiter, "ist keine Reparaturwerkstatt für fehlgeleitete Politik".


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