Hotspot-Rätsel: So stichhaltig ist das Test-Argument
Musterknaben und Kellerkinder: In Baden-Württemberg unterscheiden sich die Corona-Inzidenzen regional stark. In Kreisen, die wie Heilbronn sehr hohe Werte verzeichnen, ähneln sich die Erklärungen. Aber sind sie auch nachvollziehbar?
Wie sich die Aussagen gleichen. Der Ortenaukreis hatte dieser Tage mehr als 120 Neuinfektionen binnen sieben Tagen, gerechnet auf 100.000 Einwohner, registriert. Im benachbarten Kreis Emmendingen waren es unter 30. Woher die Unterschiede? "Wir erklären das auch mit einer intensiven Teststrategie", teilt eine Sprecherin des Ortenaukreises auf Stimme.de-Nachfrage mit. Doch was heißt das überhaupt, eine intensive Teststrategie?
Mehr als das Robert-Koch-Institut verlangt
Alle identifizierten, engen Kontaktpersonen eines Corona-Infizierten würden zum PCR-Test aufgefordert, auch jene, die keine Symptome haben, sagt der Ortenaukreis. Das sagt auch Heilbronn. Wie das Robert-Koch-Institut in Berlin unserer Zeitung bestätigte, ist es den Gesundheitsämtern überlassen, ob sie symptomlose Kontakte testen lassen.
Heilbronn betont, das Gesundheitsamt nutze diesen Spielraum nicht, sondern verfahre so mit jeder Kontaktperson der Kategorie eins, von der es Kenntnis erlangt. Heilbronn wäre in diesem Punkt also eifriger, als das RKI fordert - was die Stadt stets als eine Erklärung für die hohen Werte anführt. Lokale Häufungen, besondere Ereignisse wie illegale Partys, Hotspots - all das ist laut Rathaus nicht zu erkennen.
Heilbronn vereinbart proaktiv Termine
Allerdings: Dringende Empfehlungen für Tests aller engen Kontaktpersonen - ob symptomatisch oder nicht - spricht auch das Gesundheitsamt des Landkreises Heilbronn aus. Der Hohenlohekreis verfährt genauso. Im Unterschied zur Stadt liefern jedoch beide Landkreise keine Termine frei Haus, hier muss sich jeder selbst um den Test kümmern. Ein wirklicher Hinweis auf einen Sonderweg Heilbronns ergibt sich hier nicht - wenn man davon absieht, dass sich Menschen vielleicht etwas eher testen lassen, wenn sie einen Termin frei Haus serviert bekommen.
Gesamtzahl der Tests wird nicht erfasst
Weiteren Aufschluss könnte die Gesamtzahl aller Tests liefern, die in jedem Stadt- und Landkreis durchgeführt werden. Die Gesundheitsämter haben diese Zahl aber nicht. Sie weisen darauf hin, dass Arztpraxen, Schwerpunktpraxen, Kliniken, Fieberambulanzen und Abstrichstellen Tests durchführen und nicht alle auf Veranlassung des Amtes erfolgen. Wer sich krank fühlt, zum Arzt geht und dort negativ getestet wird, von dem weiß das Gesundheitsamt nichts.
Wie aber kann dann das Robert Koch Institut ausweisen, wie viele der gemeldeten Tests in Deutschland positiv sind? Dazu muss es ja auch die Zahl der Negativen kennen. Die Antwort: Das RKI bezieht seine Daten nicht von den Behörden, sondern von rund 200 Labors, die freiwillig liefern. Wo diese Labors sind, spielt für das RKI laut Aussage einer Sprecherin keine Rolle und wird auch nicht ausgewiesen. Ein Rückschluss, ob regional mehr oder weniger getestet wird, ist auf dieser Basis nicht möglich.
Registrierte Kontaktpersonen: Begrenzt hilfreich
Andere Fährte: Die Gesundheitsämter müssten doch wissen, wie vielen Menschen sie - etwa binnen einer Woche - infolge der Kontaktnachverfolgung einen Test nahelegen. Auch das würde zeigen, ob ein Gesundheitsamt eine intensivere Strategie fährt als andere. Aber auch diese Zahlen werden nicht systematisch erfasst. Der Landkreis Heilbronn führt keine solche Statistik, heißt es auf Nachfrage. Bekannt ist, wie viele Kontaktpersonen der Kategorie eins in Quarantäne sind und aktuell im System des Amts gespeichert sind. In Heilbronn sind es derzeit 457, im Landkreis sogar 535. Gerechnet auf 100.000 Einwohner hat die Stadt 361 enge Kontaktpersonen in der Kartei, der Landkreis 155. Vorteil Heilbronn - aber es bleibt eine Momentaufnahme.
Heilbronn ist Spitze bei personellen Ressourcen
So bleibt als harte Währung die Zahl der Mitarbeiter, die in einem Gesundheitsamt mit der Kontaktnachverfolgung betraut sind. Der Ortenaukreis hat diese Zahl in die Debatte geworfen und spricht von fünf Mitarbeitern je 10.713 Einwohnern. Im Landkreis Heilbronn, wo die Kreisbehörde 90 Personen mit dieser Aufgabe betraut, darunter Bundeswehrsoldaten und ein externes Callcenter, ergäbe sich zum Vergleich folgendes Verhältnis: Fünf Kontaktnachverfolger sind rechnerisch für 19.128 Einwohner verantwortlich - eine deutlich schlechtere Quote als in der Ortenau. Im Hohenlohekreis sind es an die 14.000 pro Mitarbeiterquintett. Heilbronn wiederum gibt an, dass im Stadtkreis fünf Mitarbeiter, die in der Kontaktverfolgung tätig sind, rechnerisch auf nur 9752 Einwohner kommen.
Wenn man einmal unterstellt, dass alle Personalstellen so eindeutig zugerechnet werden können, dann gilt: Heilbronn hat mehr personelle Ressourcen als andere Kreise, um Kontakte nachzuverfolgen. Das resultiert daraus, dass der Stadtkreis ein eigenes Gesundheitsamt hat und die Behörde nicht - wie etwa in Ulm oder Pforzheim - gleichzeitig für die Stadt und den umgebenden Landkreis zuständig ist. Bezogen auf den gewählten Stichtag, relativ zur Einwohnerzahl und verglichen mit dem Landkreis hat Heilbronn tatsächlich mehr enge Kontaktpersonen Infizierter ermittelt. Dass hieraus mehr Tests resultieren, kann vermutet, aber nicht belegt werden. Die Tests werden meist nur empfohlen und nur in Ausnahmefällen angeordnet.
Zusammenhänge bleiben schleierhaft
Mehr Personal, mehr Tests, höhere Inzidenz - dieser Zusammenhang ist damit aber nicht belegt, weil es an weiteren Daten fehlt. Ob die Teststrategie in Heilbronn oder im Ortenaukreis also tatsächlich zu den hohen Inzidenzzahlen beiträgt und in welchem Umfang, bleibt unklar. Gänzlich unbeantwortet bleibt eine andere Frage: Wenn denn die Kreise mit hohen Inzidenzen so intensiv testen, müssten sie doch irgendwann die Kontaktketten unter- und die Inzidenzen einbrechen lassen. Davon ist nichts zu sehen. Heilbronn verzeichnet Stand Mittwoch mit 155,6 zwar eine rückläufige Inzidenz, steht aber immer noch landesweit mit Abstand an der Spitze.
Musterkreis Baden-Baden: Einfach Glück gehabt?
Weitgehend im Nebel stochern nicht nur die besonders hart betroffenen Kreise. Auch die Musterknaben haben keine echte Erklärung. "Da ist wohl auch Glück dabei", sagt Roland Seiter, Sprecher der Stadt Baden-Baden, die mit die niedrigste Inzidenz im Land aufweist. Er könne nicht sagen, ob die Menschen in Baden-Baden disziplinierter seien als anderswo. "Auch hier hält sich nicht jeder an die Maskenpflicht." In Heilbronn ist häufig zu hören, dass viele Verstöße gegen die Maskenpflicht offensichtlich seien. Weder Polizei noch Ordnungsamt können das bestätigen.
Die positive Entwicklung hat nun eine konkrete Auswirkung für Baden-Baden: Dort wird die generelle Maskenpflicht in der Fußgängerzone aufgehoben. In Heilbronn wurde sie gerade wieder eingeführt.