Schutz vor Überschwemmungen: "Wir wissen nicht, ob nächste Woche ein 500-jährliches Hochwasser kommt"
Warum Landwirte zunächst gegen den Bau des Breitenauer Sees protestierten und warum sich das Beckensystem beim Unwetter 2016 bewährte, auch wenn Teile des Audi-Standorts in Neckarsulm damals unter Wasser standen.

Es ist eine gewaltige Menge: 4,14 Millionen Kubikmeter Wasser können entlang der Sulm und ihrer Nebenbäche zurückgehalten werden. Der Wasserverband Sulm hat in den 50 Jahren seines Bestehens 17 Hochwasserrückhaltebecken für rund 30 Millionen Euro gebaut. Das "prominenteste": der Breitenauer See. Zehn Millionen Euro wurden in Sanierungen und Überprüfungen von Becken gesteckt. "Das Schutzkonzept reicht so lange, wie sich ein Starkregen auf ein 100-jährliches Hochwasser beschränkt", sagt der Weinsberger Bürgermeister Stefan Thoma in seiner Funktion als Verbandsvorsitzender.
"Wir wissen nicht, ob nächste Woche ein 500-jährliches Hochwasser kommt", beschreibt er die Unwägbarkeit. "Einen absoluten Schutz gibt es nicht", macht auch Harry Murso deutlich, der einst als Obersulmer Bürgermeister auf das Fortschreiten des Beckenbaus drängte und in den 1970er Jahren verheerende Überschwemmungen miterlebte. Die Überflutungen von Obersulm und flussabwärts bis hin zur Bedrohung des Audi-Standorts in Neckarsulm waren der Auslöser für die Gründung des Wasserverbands am 13. Juli 1973. Dieser habe das Menschenmögliche getan, bewertet Murso das Handeln. "Die politische Verantwortlichen brauchen sich nie etwas vorwerfen zu lassen."
Landwirte wehrten sich gegen den Breitenauer See
Murso erzählt, dass die Umsetzung des Hochwasserschutzes nicht ohne Widerstand vonstatten ging, was den Breitenauer See betrifft. Landwirte sorgten sich, Anbauflächen zu verlieren und schlossen sich zu einem Verein zusammen. Sie wollten den Rechtsweg beschreiten, verpassten jedoch bei einem entscheidenden Einspruchstermin die Frist, weiß Murso. "Damit waren weitere Rechtsmittel ausgeschlossen." Sogar der damalige Landwirtschaftsminister Gerhard Weiser (CDU) reiste zu einer Protestversammlung nach Obersulm-Weiler, um den Bau des Rückhaltebeckens zu verteidigen.
Das Sulmtal hochwasserfrei zu machen, das hat sich der Wasserverband auf die Fahnen geschrieben - "den Schutz von Leib und Leben und Gewerbestandorten", präzisiert Thoma. Geschäftsführerin Daniela Wenninger macht auf ein anderes Ziel, das nicht so sehr im Fokus stehe, aufmerksam: die Niedrigwasseranreicherung der Sulm, wie es im Fachjargon heißt. Bedeutet: Wenn die Sulm zu wenig Wasser führt, wird sie aus dem Breitenauer See gespeist. Johannes Kübler, der Technische Betriebsleiter, wird in diesem Fall den Schieber betätigen. Das ist das erforderliche Wassermanagement. "Man kann Wasser nicht zurückhalten, und flussabwärts zappeln die Fische", macht Thoma anschaulich deutlich.
Hochwasser im Mai 2016: Beckensystem bewährte sich
Abwegig ist ein 500-jährliches Hochwasser nicht. Denn ein solches gab es in der Nacht zum 30. Mai 2016. Daniela Wenninger hat ihre Pressemitteilung von damals herausgesucht. In sieben Stunden fiel so viel Niederschlag wie sonst in zwei Monaten, mancherorts mehr als 100 Millimeter. Ein Ereignis von solcher Dimension sei trotz der hervorragend ausgebauten Infrastruktur nicht beherrschbar, lautete die Expertenmeinung.
Im Sulmtal war sie es jedoch. Im Verlauf der Sulm gab es keine größeren Ausuferungen, keine Schäden. Das Rückhaltesystem bewährte sich aufs Neue, rund eine Million Kubikmeter Wasser wurden in 14 Becken zurückgehalten. Der Stauraum war nur zur Hälfte ausgeschöpft. Das größte Becken in Neckarsulm blieb sogar trocken, nur das Becken Attisbach lief über. Der Breitenauer See, der 1980 eingestaut wurde, hatte seitdem genügend Puffer. Beim Weihnachtshochwasser 1993 stieg der Dauerstau um 80 Zentimeter, 1,20 Meter waren noch Luft nach oben.
"Über viele Jahre hat man sich in Sicherheit gewogen, dass 15 Becken reichen", berichtet Thoma, machten doch die Standorte Amorbach und Hängelbach nur fünf Prozent des Gesamtstauvolumens aus. Jedoch: Der Klimawandel mit heftigen Starkregenereignissen wurde offenkundig. Deshalb baute der Wasserverband die letzten beiden kleinen Becken. Allerdings auf eigene Kosten. Das Land gab kein Geld für einen Schutz, der mehr als ein 100-jährliches Hochwasser abdeckt. "Das war sehr ärgerlich", kommentiert Thoma diese Verweigerung.
Handeln wegen des Klimawandels?
Er schließt nicht aus, dass der Wasserverband bei fortschreitendem Klimawandel das eine oder andere Becken vergrößern oder weitere bauen muss. Das Starkregenrisikomanagement sei Aufgabe der Kommunen. 446.000 Euro pro Jahr schießt das Land derzeit zur Unterhaltung und Wartung der 17 Becken zu. In regelmäßigem Rhythmus wird der Ernstfall bei jedem einzelnen durchgespielt.
Die Leitwache hat ein eigenes Frühwarnsystem. Das können sich Interessierte unter anderem beim Tag der offenen Tür zum 50. Geburtstag des Wasserverbands im Betriebsgebäude unterhalb des Breitenauer Sees am Sonntag, 16. Juli, von 11 bis 15 Uhr erklären lassen. Ein Hinweis für die Besucher: Es gibt keine Parkplätze vor Ort.