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Hochwasserkatastrophen in der Region: Als aus der zahmem Sulm ein reißender Strom wurde

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Die Sulm-Hochwasser in den 1970er Jahren führten beinahe zum Aus von Audi NSU in Neckarsulm. Das Land Baden-Württemberg reagierte und versprach Geld in Millionenhöhe für den Hochwasserschutz.

Hochwasser im Mai 1978 in Obersulm-Affaltrach.
Hochwasser im Mai 1978 in Obersulm-Affaltrach.  Foto: Eisenmenger, Hermann

"Neckarsulm über Nacht von der Sulm überrollt". So titelte die Heilbronner Stimme am 13. Mai 1970. Es war das vierte Hochwasser innerhalb von viereinhalb Monaten in diesem verheerenden Jahr. Die Folgen des Unwetters im Mai trafen Audi NSU schwer. Arbeiterschaft und Kommunalpolitiker fürchteten sogar um das Werk und die 12.000 Arbeitsplätze.

Telegramme und Briefe von Kommunalpolitikern und Gewerkschaftern wurden gen Stuttgart geschickt mit der dringlichen Bitte um "volle und rasche Unterstützung der staatlichen Behörden", wie es Neckarsulms Oberbürgermeister Dr. Erhard Klotz formulierte. Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) machte sich auf dem Werksgelände ein Bild von den Schäden in Millionenhöhe und versprach zehn Millionen Mark für den Bau von Rückhaltebecken und die Verdolung der Sulm.


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Konsequenzen aus der Hochwasserkatastrophe

"Unser landespolitisches Interesse geht dahin, Audi NSU in Neckarsulm zu halten", betonte der Landesvater damals. Am 26. Mai 1970 beschloss die Landesregierung: "Das Sulmtal muss hochwasserfrei werden."

Aus der Katastrophe zogen die Anrainer der Sulm Konsequenzen: 1973 wurde der Wasserverband Sulm gegründet. Bei der Jahrhundertflut fünf Jahre später war der neu gebaute, bis dahin noch nicht gestaute Breitenauer See die Rettung, fing er doch zumindest die Wassermassen aus den Löwensteiner Bergen auf. Das Unwetter tobte jedoch bachabwärts deutlich stärker. "Wir saufen ab", lautete der letzte Funkspruch, den der damalige Kämmerer und spätere Bürgermeister von Obersulm, Harry Murso, aus dem Feuerwehrhaus in Affaltrach absetzte.

Lehmig-braune Massen wälzten sich ins Tal

Es liest sich wie ein Drehbuch zu einem Katastrophenfilm, wie die Redakteure Ekkehard Würstle und Otto Lesinger die dramatische Lage vom 12. Mai 1970 beschrieben. "Ab 3 Uhr brach die Flut plötzlich über die Stadt (Neckarsulm) herein. Als wäre ein Damm gebrochen, wälzten sich die lehmig-braunen Massen talabwärts." Die Sulm wurde zum "reißenden Gebirgsstrom". Dieser ergoss sich über die Talauen von Erlenbach und Binswangen, flutete auch die Turnhalle und das Hallenbad in Neckarsulm - und das Audi-Werksgelände. Neckarrückstau und Sulmflut trafen aufeinander.


Noch nie seit Menschengedenken sei das Wasser der Sulm so schnell und in solchen Massen gekommen, konstatierte der Vize-Vorstandsvorsitzende der AG, Viktor Frankenberger. Zwischen 5 und 6 Uhr erzielte der Wasserpegel bei Audi NSU einen Höchststand von 3,50 Metern. Im Morgengrauen war die Firma vom Wasser eingeschlossen. "Land unter", meldete ein Feuerwehrmann.

Zwangsurlaub für die Audi-Beschäftigten

Per Rundfunk schickte der Vorstand die 12.000 Audi-Beschäftigten in den Zwangsurlaub. Der wurde auch rund 2000 Mitarbeitern der Firmen KS und Gebrüder Spohn zuteil. Frankenberger bezifferte allein die Produktionsausfälle beim Motorenwerk auf mehrere Millionen Mark. Er, sein Vorstandskollege Hans Kialka sowie der Betriebsratsvorsitzende Karl Walz forderten schnelle Hilfe vom Land. "Am Ende könnten bei einer Wiederholung dieser Katastrophe die Arbeitsplätze gefährdet sein," hieß es in der Stimme. Großaktionär VW müsse sich überlegen, "ob er nur eine Mark mehr in diesen wasserbedrohten Betrieb stecken sollte".

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Von Klimawandel war damals noch keine Rede. Die Ursachen des Hochwassers lagen woanders, wie Heilbronns Landrat Otto Widmaier in seinem Hilferuf per Telegramm an Ministerpräsident und Innenminister formulierte: Die fortschreitende Besiedlung und die Autobahnbauten mit dem Weinsberger Kreuz hätten die Abflussverhältnisse grundlegend verändert.

Menschen wurden fast aus ihren Betten geschwemmt

"Die Glocken und Sirenen vieler Gemeinden läuteten das Inferno ein", schrieb die Stimme. Erdrutsche verschütteten die Straße zwischen Vorhof und Löwenstein. In Erlenbach erlitten fast 50 Häuser entlang der Sulm größten Schäden. "Die Leute wurden beinahe aus den Betten geschwemmt", beschrieb Bürgermeister Alfons Biermann die Flut. Auch Brettach und Schozach verließen ihr Bett. Der Sportplatz des VfB Sontheim verwandelte sich in einen tiefen See.


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Acht Jahre später am 22. Mai 1978 kam es noch schlimmer. Das Ausmaß der sintflutartigen Regenfälle, die eine Unwetterfront über dem östlichen Baden-Württemberg ablud, waren fast schon apokalyptisch, um die Steigerung gegenüber 1970 deutlich zu machen. In Eichelberg, so vermeldete zwei Tage später die Heilbronner Stimme, waren an der Niederschlagsmessstelle in 17 Stunden 108 Liter Regen pro Quadratmeter niedergegangen - ein Wert, den es damals seit 1946 nur dreimal gegeben hatte.

Sintflutartige Regenfälle im Mai 1978

Reißende Fluten und tonnenschwere Schlammmassen, die Kulturen niederwalzten, machten eine Notstandsalarmierung an Sulm, Kocher und Jagst notwendig. 250 Häuser standen völlig unter Wasser, 9000 waren beschädigt, ebenso Infrastruktur wie Kläranlagen oder Freibäder. In den Straßen stand das Wasser zwei Meter hoch, Fahrbahnen wurden weggerissen oder unterspült, Keller überflutet, Erdrutsche blockierten Rettungswege. Mit am schlimmsten betroffen war Obersulm, das am 17. Juni erneut von einem Hochwasser gleichen Ausmaßes heimgesucht wurde.

Am 22. Mai 1978 wurden allein 140 Kinder aus Schulbussen, Kindergärten oder Turnhallen gerettet. Einsatzkräfte holten vom Ertrinken bedrohtes Vieh aus dem Wasser. Vom Unwetterzentrum im oberen Sulmtal verlagerte sich das Hochwassergebiet an Neckar, Kocher, Jagst und Brettach. Zwei Tage nach der Katastrophe wurden die Schäden auf 50 Millionen Euro geschätzt. Ein Landwirt in Scheppach starb an einem Stromschlag. Unter Lebensgefahr sicherten 200 Feuerwehrleute in einer Tag- und Nacht-Aktion in Neckarsulm mit 40.000 Sandsäcken, tonnenweise Sand und Beton den Damm, der zu bersten drohte. Die 20 Millionen Mark teuren Investitionen der Stadt machten sich bezahlt. "Ohne Dole und Damm wären wir wieder abgesoffen", stellte Oberbürgermeister Erhard Klotz damals fest.

Heute gibt es ein umfangreiches Schutzkonzept

Die Horrorszenarien der 1970er Jahre sind heute so nicht mehr denkbar. Denn der Wasserverband Sulm, der 1973 gegründet wurde, hat ein umfangreiches Schutzkonzept für ein 100-jährliches Hochwasser in den vergangenen Jahrzehnten verwirklicht. Welche Maßnahmen waren das? Was haben diese gekostet? Wie viel Geld hat das Land beigesteuert? Was ist in Zukunft zu tun? Darauf gibt Verbandsvorsitzender Stefan Thoma aus Weinsberg auf einer zweiten Blickpunktseite Auskunft. Zum 50. Geburtstag des Wasserverbands ist am 16. Juli von 11 bis 15 Uhr Tag der offenen Tür im Betriebsgebäude.

 

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