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Notstand in der Kinder- und Jugendmedizin: Unterfinanzierung gefährdet die Kindergesundheit

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Medizin für Kinder ist seit Jahren unterfinanziert. Das hat dramatische Konsequenzen: Drei Ärzte aus der Region schildern die Auswirkungen des Notstandes beim Stimme-Forum.

Gute Stimmung trotz des ernsten Themas: Die Ärzte Dr. Boris Brand, Dr. Hans Ulrich Stechele und Professor Peter Ruef (von links) diskutierten mit Stimme-Gesundheitsexpertin Valerie Blass über den „Notstand in der Kinder- und Jugendmedizin“. Foto: Lina Bihr (klein) dpa (groß)
Gute Stimmung trotz des ernsten Themas: Die Ärzte Dr. Boris Brand, Dr. Hans Ulrich Stechele und Professor Peter Ruef (von links) diskutierten mit Stimme-Gesundheitsexpertin Valerie Blass über den „Notstand in der Kinder- und Jugendmedizin“. Foto: Lina Bihr (klein) dpa (groß)  Foto: Lina Bihr (klein) dpa (groß)

Kindern in Deutschland werden durch die massive Unterfinanzierung der Kinder- und Jugendmedizin Zukunftschancen verbaut. Das belegen die eindrücklichen Schilderungen der drei hochkarätigen regionalen Experten beim Stimme-Forum zum "Notstand in der Kinder- und Jugendmedizin".

Beispiel Entfernung der Nasenpolypen. Dieser relativ kleine Eingriff im Kindesalter wird so schlecht vergütet, dass HNO-Ärzte ihn kaum noch durchführen.

Notstand in der Kinder-und Jugendmedizin führt zu verpassten "Lebenschancen"

Wenn betroffene Kinder jedoch monatelang auf einen Termin warten müssen, kann das zu schwerwiegenden Hörproblemen und in der Folge dazu führen, dass Kinder nicht altersgerecht sprechen lernen, erklärte der Heilbronner Kinderarzt Hans Ulrich Stechele: "So was ist ein sozialpädiatrischer Notfall. Aber Kinder warten aktuell eineinhalb Jahre auf einen Termin. Das ist eine unglaubliche Frechheit. Diese Zeit holen viele nie wieder auf." Das wirke sich auf Bildungs- und Berufschancen und das spätere Einkommen aus. "Da geht es wirklich um Lebenschancen", so Stechele.

Die Versorgungslage könnte sich weiter verschlechtern, so die Sorge

Peter Ruef, Chefarzt der Heilbronner SLK-Kinderklinik, äußerte Sorge vor einer weiteren Verknappung der Versorgung. Er rechne wegen der allgemein angespannten Finanzlage vieler Kliniken mit dem "ungesteuerten Ausscheiden von pädiatrischen Einrichtungen". Vor allem Standorte an kleinen Kliniken seien gefährdet. Denn Kinderkliniken sind "ein Minusgeschäft".

Die Soforthilfen, die der Bundestag während der Erkältungswelle im vergangenen Herbst auf den Weg gebracht hat, hätten die Lage "überhaupt nicht verbessert". Ruefs Prognose für den Herbst und Winter ist düster: "Die Situation kann jederzeit wieder explodieren." Schon jetzt würden Kinder aus anderen Landkreisen an die Heilbronner Kinderklinik verlegt, weil dort Kapazitäten fehlten.

 


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Wenn Wachstumsdefizite nicht rechtzeitig erkannt werden, wirkt sich das auf das weitere Leben aus

Der Neckarsulmer Orthopäde und Ärztefunktionär Boris Brand sagte, die seit Jahren währende Unterfinanzierung der Kinderorthopädie habe dazu geführt, dass viele Kliniken ihre Abteilungen geschlossen hätten. "Jahr für Jahr defizitär operieren, das macht keine Verwaltung lange mit." Aus denselben Gründen böten viele niedergelassene Ärzte kinderorthopädische Leistungen nicht mehr an. Die Konsequenz, wenn Wachstumsdefizite nicht rechtzeitig erkannt und in richtige Bahnen gelenkt werden können, sind auch hier Folgekosten - etwa für aufwendige Operationen im Erwachsenenalter.

Fast alle fachärztlichen Bereiche, die Kinder versorgen, haben ähnliche Probleme

Die Versorgungsengpässe betreffen eine ganze Reihe weiterer fachärztlicher Bereiche, die sich mit der Gesundheit von Kindern beschäftigen. Am schlimmsten sei die Lage in Disziplinen, die das psychische Wohlbefinden von Kindern betreffen. Stechele: "Die Kinder- und Jugendpsychotherapie ist der absolute Brennpunkt." Und: Die Vergütung präventiver Angebote, wie Gespräche beim Kinderarzt, sei generell im Abrechnungskatalog kaum vorgesehen. Dabei mache die Kommunikation mit den Eltern - das Aufklären, Beruhigen, Vertrauenschaffen - einen Großteil der kinderärztlichen Tätigkeit aus. Aufklärungsgespräche müsse der Arzt immer selbst führen, ein geschulter Angestellter dürfe das nicht. "Das System ist komplett realitätsfern", so Stechele.

Die Probleme seien lange bekannt, sagt Peter Ruef. Aber immer noch geschehe wenig bis gar nichts, um das System zu verändern: "Alle wissen seit Jahren, dass die Kindermedizin komplett unterfinanziert ist. Irgendwann steuern wir auf eine Katastrophe zu."

 


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Leistungen für Kinder sind für Kliniken in vielen Fällen ein Verlustgeschäft. Sie werden aus Erlösen anderer Bereiche querfinanziert. Orthopäde Boris Brand sagt, das sei ein Grundsatzproblem, denn es sei nicht weit zum Gedanken: "Warum finanzieren wir überhaupt quer? Warum machen wir nicht das, was mehr bringt?" Er schildert Auswüchse des Systems: So verschwiegen manche Kinderorthopäden die Zusatzqualifikation, um sich keine Karrierechancen zu verbauen. Denn bei Geschäftsführern sei das defizitäre Gebiet unbeliebt, Kinderorthopäden würden ungern eingestellt.

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