Impfstoffmangel: Der Ton in den Praxen wird rauer
Beschimpfungen und Bestechungsversuche: Der Frust über Impfstoffmangel entlädt sich an Ärzten und Mitarbeitern in der Region. Ein Hausarzt aus Heilbronn berichtet darüber, dass er gerne mehr impfen würde, aber jede Woche nur ein Teil der bestellten Impfdosen geliefert werde.

Das Bundesministerium für Gesundheit verspricht für Juni erheblich mehr Impfstoff. Rund 2,7 Millionen Impfdosen erwarten die Arztpraxen in der letzten Maiwoche. Angekündigt ist auch der Impfstoff von Johnson & Johnson. Fünf Millionen Dosen sollen durch die Haus- und Fachärzte sowie voraussichtlich ab 7. Juni durch Betriebs- und Privatärzte verimpft werden.
Praxen in der Region erhoffen sich dadurch eine Entspannung der aktuellen Lage. Denn vielen Menschen ist die Wartezeit für eine Impfung zu lang, und sie sind deshalb verärgert. Die Folge: Der Frust entlädt sich an den Ärzten und Mitarbeitern. Denen sind jedoch die Hände gebunden, denn Hausarztpraxen sind abhängig von den Impfstofflieferungen des Bundes. Und die fallen derzeit mager aus.
500 Euro für Corona-Impfung angeboten
Auch in der Hausarztpraxis von Dr. Wolfgang Weil in Heilbronn ist die Stimmung inzwischen umgeschlagen. "Der Ton wird deutlich rauer", berichtet der Allgemeinmediziner. Das geringe wöchentliche Impfstoffkontingent wird aktuell fast nur für Zweitimpfungen verwendet. "Wir könnten täglich 20 Menschen impfen, doch ich bekomme nicht so viele Impfdosen", berichtet der Arzt. Eine Woche im Voraus ordere er bereits die doppelte Menge. "Von 50 angeforderten Impfdosen bekomme ich dann nur 25 für die Woche." Mit dem Ergebnis, dass derzeit rund 600 Personen auf der Warteliste stehen.
Doch viele haben für die lange Wartezeit kein Verständnis. "Wir werden täglich angegangen und beschimpft - am Telefon oder in der Praxis. Die Leute wollen nicht mehr warten, sondern ihre Impfung haben. Am besten sofort", berichtet Weil, eine Mitarbeiterin nickt. "Viele wollen auch nur den Impfstoff von Biontech/Pfizer und keine Astrazeneca-Impfung. Und schon ist man wieder der Mops." Manch einer fährt angesichts der Situation auch härtere Geschütze auf: Manche versuchten sogar, ihn zu bestechen. "Ein Mann hat mir 500 Euro für eine Impfung geboten und noch einmal 500, damit ich seinen Freund impfe", erzählt der Doktor und schüttelt dabei fassungslos den Kopf.
Zwei Fläschchen Biontech-Impfstoff für eine Woche
In Eppingen hat das Gesundheitszentrum diese Woche gerade einmal zwei Fläschchen Biontech erhalten. "Ja, wir haben einen Impfstoffmangel", bestätigt Dr. Stefan Linke ohne Umschweife. "Wir hätten mehr Kapazitäten, aber keinen Impfstoff. Bei 20 000 Patienten sind wir gerade sechzigfach überbucht. Deshalb haben wir beschlossen, in unserer Praxis die Impfpriorisierung nicht aufzuheben", so Linke. Aktuell seien noch die über 60-Jährigen an der Reihe. "Bei zwölf Impfungen die Woche sitzen wir noch Ende 2030 da."
Dr. Linke: "Ich vertraue darauf, dass sie uns diesmal nicht im Stich lassen."
Die Ankündigung des Johnson & Johnson-Impfstoffs kreise schon seit Wochen über ihnen wie ein Jumbo-Jet, so Linke. "Ich vertraue darauf, dass sie uns diesmal nicht im Stich lassen." Mit vier Ärzten stehe man Gewehr bei Fuß und wolle, sobald genug Impfstoff da ist, eine Kampagne starten.
Doch noch sei die Situation eine andere. Dass die Leute langsam die Geduld verlieren, bestätigt Linke. "Wir erleben hier das ganze Spektrum menschlicher Kuriositäten", fasst er zusammen und fügt hinzu: "Mit einem Schlag ist halb Deutschland ein Pflegefall. 40 Millionen Menschen pflegen die anderen 40 Millionen", erklärt er mit Ironie in der Stimme. Linke betont eindringlich: "Wir bitten alle Patienten, von telefonischen Anfragen zum Impfstoff abzusehen." Die Leitungen seien dadurch überlastet, Patienten mit dringenden Angelegenheiten hätten keine Chance durchzukommen.
Aufhebung der Impfpriorisierung wird online diskutiert
Auf der Stimme-Facebook-Seite wird über die Aufhebung der Priorisierung diskutiert. Eine Userin findet: "Die Aufhebung der Priorisierung ist für alle Ungeimpften mit Priorisierung ein glatter Hohn." Seit Monaten versuche sie einen Termin zu bekommen. "Unsere Regierung hat in Bezug auf das Impfen und die Sicherung von genügend Impfstoff völlig versagt." Auch Gesundheitsminister Jens Spahn muss Kritik einstecken. "Schön, dass Sie auf der Sonnenseite sind. Verdient haben Sie es nicht", kommentiert Uwe Adler. Was mit der Aufhebung der Priorisierung kaputt gehe, grenze an Skrupellosigkeit.
Lage in den Kreisimpfzentren
Im Kreisimpfzentrum Ilsfeld-Auenstein kann aufgrund der vom Land bereitgestellten Impfmenge aktuell nicht täglich geimpft werden. "In der Regel wird im KIZ Ilsfeld von Donnerstag bis Sonntag geimpft. An einem Impftag werden zwischen 800 und maximal 1000 Impfdosen verabreicht", erklärt Lea Mosthaf vom Landratsamt Heilbronn. Die Priorität liege dabei auf den Zweit-impfungen. "Nur wenn die Impfdosen für die Zweitimpfungen sichergestellt sind, können neue Termine für Erstimpfungen bereitgestellt werden." In Heilbronn-Horkheim wird diese Woche täglich geimpft, die Zahl der Impfungen variiert zwischen 200 und 932, so die Pressesprecherin der Stadt, Suse Bucher-Pinell. Auch im KIZ der Stadt werde der Impfstoff derzeit hauptsächlich für die terminierten Zweitimpfungen eingesetzt. Mittlerweile wurden insgesamt 50.000 Impfungen verabreicht.
Je nach Verfügbarkeit von Impfstoff sind zwischen 200 und 950 Termine pro Tag vergeben. "Wir sind jederzeit bereit, die Auslastung zu erhöhen, sobald genügend Impfstoff zur Verfügung steht", sagt Bürgermeisterin Agnes Christner. "Der nicht ausreichend zur Verfügung stehende Impfstoff ist der limitierende Faktor."





Stimme.de