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Kinderversorgung gefährdet: Der Kinderorthopädie fehlt das Geld

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Ärzte im Land wie der Neckarsulmer Orthopäde Boris Brand warnen vor einer weiteren Verknappung der Versorgung für Kinder und Jugendliche. SLK-Unfallchirurg Wolfgang Linhart sagt, wenige, dafür kompetente Zentren seien sinnvoll.

Gute Versorgung von Kindern mit orthopädischen Problemen sei nicht mehr gewährleistet.
Gute Versorgung von Kindern mit orthopädischen Problemen sei nicht mehr gewährleistet.  Foto: Britta Pedersen/zb/dpa

Schon seit langem ächzt die Kindermedizin in Deutschland unter einer dramatischen Unterfinanzierung. Jetzt schlägt ein weiteres Fachgebiet Alarm und sieht die Versorgung der Jüngsten in der Gesellschaft in Gefahr. "Eltern von Kindern mit Problemen am Rücken, jugendlichem Rheuma, Knochentumoren oder Mehrfachbehinderungen müssen sicher sein können, dass ihr Kind in der Kinderorthopädie nach bestem Standard medizinisch versorgt wird", heißt es von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Doch das sei nicht mehr gewährleistet.

Lukrativere Eingriffe werden oft vorgezogen

Viele Krankenhäuser hätten in den vergangenen Jahren ihre kinderorthopädischen Abteilungen geschlossen oder verkleinert, weil sie sich nicht mehr rechneten. Auch in großen Kliniken würden Notfälle und andere finanziell attraktivere Operationen oft vorgezogen, heißt es.


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"Die Kinderorthopädie ist das am schlechtesten vergütete Teilgebiet des Fachs, das aber am meisten Zeit braucht", sagt Professor Thomas Wirth, Ärztlicher Direktor der Orthopädie am Klinikum Stuttgart. Die Situation sei ernst: "Wir laufen in der Kinderorthopädie in einen Versorgungsengpass, genauso wie in der gesamten Kindermedizin." Grund sei die zu geringe Bezahlung in einem Bereich, der sehr viel Zeit in Anspruch nehme. "Wir müssen das ganze Kind anschauen und zusätzlich mit Eltern und häufig auch Großeltern umgehen."

Die Untersuchungen kosten viel Zeit, bringen aber wenig Geld

Für den niedergelassenen Bereich bestätigt das Dr. Boris Brand, Orthopäde aus Neckarsulm und Vize-Landesvorsitzender des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie. Die Sonografie einer Säuglingshüfte sei ein gutes Beispiel für die Misere, sagt Brand. Für eine Untersuchung, die viel Zeit in Anspruch nehme, weil der Säugling unruhig und die Eltern verunsichert sind, gebe es knapp 20 Euro für den Arzt. Deshalb biete das Screening in Heilbronn auch keiner der niedergelassenen Orthopäden mehr als Standard an. Lediglich Kinder mit Verdachtsdiagnose vom Kinderarzt würden untersucht, sagt Brand. "Man kann diese Leistung wirtschaftlich einfach nicht darstellen."

Wirth sieht in dem Thema einen weiteren Ausdruck eines generellen gesellschaftlichen Problems: "Kinder haben in Deutschland einfach keine Lobby."


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Es stehe außer Frage, dass der Bereich nicht gut vergütet sei, sagt Professor Wolfgang Linhart, Direktor der Unfallchirurgie am SLK-Klinikum in Heilbronn. Allerdings warnt er auch vor der Erwartung, es müsse an jeder Klinik eine Kinderorthopädie geben. "Sie war noch nie Schwerpunkt in der deutschen Orthopädie. Ein paar große, gute Zentren sind sinnvoll." Das Klinikum Stuttgart etwa habe in dem Bereich "riesige Expertise und ein sensationell kompetentes Team". Bei der Versorgung von akuten Unfällen im Kinder- und Jugendalter, zum Beispiel Knochenbrüchen, sei man dagegen auch in der Region breit und gut aufgestellt.

Forderungen nach mehr Geld und Ressourcen für den Fachbereich

Die DGOU fordert im Zuge der Krankenhausreformen "eine adäquate finanzielle und ressourcenmäßige Ausstattung der Orthopädie, die Behandlungen von Kindern und Jugendlichen in Spezialabteilungen ermöglicht". Der kindliche Bewegungsapparat müsse in der Diskussion um Neustrukturierung und wirtschaftliche Ausstattung der Kindermedizin stärker berücksichtigt werden, sagt Thomas Wirth. Die Prävention von Fehlstellungen und das Wiederherstellen eines gesunden Bewegungsapparates im Kindes- und Jugendalter seien "unerlässlich für ein erfülltes und produktives Erwachsenenleben".


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Fehlstellungen

Die Kassenärztliche Vereinigung im Land (KVBW) hat ein wissenschaftliches Projekt mit dem Namen Ortho-Kids aufgesetzt. Ziel des auf vier Jahre angelegten Projekts ist es herauszufinden, welchen Nutzen eine zusätzliche orthopädische Vorsorgeuntersuchung von Kindern im Alter zwischen zehn und 14 Jahren bringt und ob dadurch zum Beispiel mehr Fehlstellungen entdeckt werden. Werden Skoliose oder Probleme an Füßen oder Hüfte frühzeitig entdeckt, kann man das Wachstum häufig noch gut mit einfachen Maßnahmen lenken.

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