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Weltfahrradtag
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Der Fahrradclub fordert eine Neuverteilung der Verkehrsfläche

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Zum Weltfahrradtag fordert ADFC-Landeschefin Gudrun Zühlke "mehr Mut und mehr Visionen" von den Kommunen beim Radwegebau. Deutschland sieht sie bei der Radweginfrastruktur europaweit im unteren Mittelfeld.

"Es gibt viel zu tun": ADFC-Landesvorsitzende Gudrun Zühlke.
Foto: privat
"Es gibt viel zu tun": ADFC-Landesvorsitzende Gudrun Zühlke. Foto: privat  Foto: privat

Zum Welttag des Fahrrads fordert Gudrun Zühlke ein Umdenken in der Infrastrukturpolitik. Die Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) sieht dabei vor allem die Städte und Gemeinden am Zug.

Volle Fahrradläden, volle Radwege: Haben sie einen solchen Boom schon einmal erlebt?

Gudrun Zühlke: Nein, aber das ist einfach zu erklären. Als das öffentliche Leben heruntergefahren wurde, konnten die Leute keinen Sport mehr machen und sind mal wieder aufs Rad gestiegen. Weil der Autoverkehr so drastisch reduziert war, hat es viel Spaß gemacht. So hat jeder die Zukunft erlebt, wie wir sie uns erträumen.

Sie meinen: Weniger Autos, mehr Radfahrer. Das könnte ein Strohfeuer sein. Auf den Straßen herrscht fast wieder Normalzustand.

Zühlke: Die Menschen haben erlebt, wie man diesen Zustand in wenigen Tagen herbeiführen kann. Wenn die Bevölkerung der Politik Druck macht und ihren Wunsch zum Ausdruck bringt, den motorisierten Verkehr zu reduzieren, dann kann es dauerhaft funktionieren.

Den Trend zum Rad gibt es nicht erst seit Corona. Hält die Infrastruktur mit der Entwicklung Schritt?

Zühlke: Als weniger Autos da waren, war es prima. Jetzt wo sich das wieder ändert, merkt man, dass die Infrastruktur auf eine andere Verkehrsverteilung nicht ausgelegt ist. Wir müssen weiter daran arbeiten, die Verkehrsfläche neu verteilen, und das muss zügig passieren.

Neu verteilen heißt, dem Auto Fläche wegzunehmen.

Zühlke: Ja. Es ist nicht einzusehen, dass wir so viel Platz für parkende Autos reservieren, die dann am Tag 23 Stunden stehen und eine Stunde unterwegs sind, besetzt mit durchschnittlich 1,2 Personen. Das ist ein völlig unsinniges Vorhalten von gemeinschaftlicher Fläche. Nicht nur Radfahrer brauchen mehr Platz, auch Fußgänger.

Wo steht Deutschland als Fahrradland im internationalen Vergleich?

Zühlke: Unteres Mittelfeld. Das Bewusstsein für die Bedeutung des Radfahrens ist da. Wenn Sie aber in die Gemeinderäte schauen, wo entschieden wird, ob Verkehrsfläche umverteilt wird, sind sie viel zu mutlos. Die Entscheider können sich nicht vorstellen, wie Verkehr ablaufen könnte, wenn der Raum anders verteilt wird. Dann bleiben sie zögerlich und bauen das alte System aus.

Was fordern Sie?

Zühlke: Mehr Mut und mehr Visionen. Oft klappt es ja, wenn ich eine Spur dem Auto abtrotze, gibt es nachher trotzdem nicht den immer vorhergesagten Megastau.

Und der Ball liegt im Feld der Kommunen?

Zühlke: Absolut. Sie tragen bei 80 Prozent der Radwegprojekte die Baulast und müssen jetzt liefern.

Das Land Baden-Württemberg hat aus Ihrer Sicht schon geliefert?

Zühlke: Das hat es. Es gibt die Ziele vor und stellt viel Geld zur Verfügung. Wir sind jetzt aber an einem ganz entscheidenden Punkt, an dem die Kommunen an der Reihe sind. Die müssen jetzt die günstigen Rahmenbedingungen mit den hohen Förderungen ausnutzen, Planungen vorantreiben und zügig umsetzen. In der momentanen Stimmung wäre es gut, auch mit provisorischen Mitteln zu arbeiten, etwa mit Baken den neuen Radweg auszuweisen, und die großen baulichen Lösungen später nachzuholen.

Die Straßenverkehrsordnung wurde kürzlich geändert. Es gilt jetzt etwa ein Mindestabstand beim Überholen von Radfahrern. Zufrieden?

Zühlke: Es gibt noch viel zu tun. Das Straßenverkehrsgesetz denkt den rechtlichen Rahmen nicht vom Menschen, sondern vom Auto her. Deswegen brauchen wir ein neues Gesetz und davon abgeleitet eine Straßenverkehrsordnung. Dazu hat der ADFC einen Vorschlag erarbeiten lassen.

Viele Autofahrer sehen Fahrräder vor allem als Hindernisse. In sozialen Netzwerken hagelt es gegenseitige Vorwürfe.

Zühlke: Dafür habe ich wenig Verständnis. Es war noch nie erlaubt, einen Radfahrer eng zu überholen, es war immer gefährlich. Früher konnte der Autofahrer nur bestraft werden, wenn es zu einem Unfall kam und man das nachweisen konnte. Jetzt könnte es auch bei entsprechenden Messungen eine Strafe geben. Ein Autofahrer sagte mir neulich: Wenn ich einen solchen Abstand halten muss, kann ich ja gar nicht überholen. Genau so ist es. Oder die Klagen, dass zwei Radler nebeneinander fahren. Kein Autofahrer würde es akzeptieren, dass der Beifahrer immer auf dem Rücksitz Platz nehmen muss. Und Autos fahren den Beifahrersitz meist leer spazieren und sind deswegen unnötig breit.

Was wünschen Sie sich zum Weltfahrradtag?

Zühlke: Dass Verkehrsteilnehmer mehr Rücksicht aufeinander nehmen.

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