Neue Regeln zum Schutz von Radlern polarisieren
Autofahrer, die Radler überholen, müssen jetzt einen Abstand von mindestens 1,5 Metern einhalten, außerorts sind es zwei Meter. Fahrradfahrer aus Heilbronn und der Region begrüßen die Regeln, ebenso wie Fahrrad- und Automobilverbände. In sozialen Netzwerken wird hingegen kontrovers diskutiert.

Im Ort 1,50 Meter, außerhalb zwei Meter: Diesen Abstand müssen Autofahrer seit vergangener Woche verpflichtend einhalten, wenn sie Radler überholen. Auf den Straßen der Region kommen sich beide oft bedrohlich nahe. Bei der Frage, wer sich häufiger daneben benimmt, gehen die Meinungen weit auseinander.
Heikle Situationen gehören zum Alltag
"Jede Woche", sagt Raimund Köhler. "Jede Woche erlebe ich eine heikle Situation." Er spult jährlich 12.000 Kilometer auf dem Rad ab, den Arbeitsweg zwischen Heilbronn und Neuenstadt bewältigt er grundsätzlich im Sattel. Gefahr beim Überholen sei für ihn Alltag, sagt Köhler. Einmal touchierte ihn ein eiliges Auto mit dem Außenspiegel am Lenker, der Radler stürzte, landete auf der Straße, kam aber glimpflich davon.
Radler Maximilian Walter sieht ebenfalls ein Problem. "In Heilbronn gibt es wenige Kraftfahrer, die wirklich auf Abstand beim Überholen bedacht sind", ist sein Eindruck. Walter regt Pflicht-Training mit Fahrrädern in der Fahrschule an. Raimund Köhler macht sich keine Illusionen: "Der Radfahrer ist selbst seines Glückes Schmied." Auf sein Recht zu pochen, helfe wenig, wenn man im Straßengraben liege.
Bislang galt nur ein "ausreichender Seitenabstand"
Die Rechte der Radler zumindest sind gestärkt worden. Die Novelle der Straßenverkehrsordnung schreibt den fixen Abstand beim Überholen fest. Die Marke von 1,5 und zwei Metern war zuvor schon Maßstab für die Rechtsprechung, im Gesetzt war aber bis dato nur von "ausreichendem Seitenabstand" die Rede. Weitere Verschärfungen gibt es, etwa ein generelles Halteverbot auf Radler-Schutzstreifen.

In den sozialen Netzwerken gab es dazu kontroverse Diskussionen. Grundmuster: Radfahrer bezichtigen Autofahrer, ihre Sicherheit zu gefährden. Autofahrer werfen Radfahrern vor, sich die Regeln nach Bedarf zurechtzubiegen, etwa auf der Straße zu fahren, wenn es parallel einen Radweg gibt. Eine Benutzungspflicht, das wird häufig vergessen, gibt es indes nur für "richtige" Radwege - solche die mit einem entsprechendem Schild gekennzeichnet sind, einem weißen Fahrrad auf blauem Grund.
Letztlich muss man sich den Verkehrsraum teilen
"Das war schon immer hoch emotional", weiß Peter Wieser, der als Eppinger Vielradler im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) engagiert ist. Für ihn ist die Unversöhnlichkeit umso verblüffender, als viele sowohl mit dem Auto als auch mit dem Rad unterwegs sein dürften. "Alles ausbauen kann man nicht", sieht Wieser Grenzen bei der Infrastruktur. Letztlich müsse man sich den Verkehrsraum teilen. "Das ist eine Frage der Vernunft."
Aber auch eine Frage der Verkehrsplanung, meint die ADFC-Landesvorsitzende Gudrun Zühlke: "Wir brauchen eine Neuverteilung der Flächen", fordert sie. Allzu oft seien die Städte vor allem auf die Belange des Autoverkehrs ausgelegt. Die klare Abstandsregel beim Überholen hält Zühlke für "total wichtig". Jetzt gehe es darum, die Bestimmungen ins Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer zu bringen - und wenn nötig nachzuhelfen. Dazu bringt der Gesetzgeber ein neues Verkehrszeichen ins Spiel. An Engstellen kann damit verfügt werden, dass Autos Fahrräder nicht überholen dürfen.
Manfred Körner geht freilich davon aus, dass dieses Schild ein Exot bleiben wird. "Wir rechnen nicht damit, dass es da viele Fälle geben wird", sagt der Sprecher des Landratsamts Heilbronn. Die 1,5- oder Zwei-Meter-Regel wird seiner Ansicht nach aber "viel Sicherheit" bringen.
Polizei betritt Neuland und muss sich rantasten
"Sie sorgt für Klarheit bei den Kraftfahrern, ob in der konkreten Verkehrssituation überhaupt überholt werden darf", begrüßt Holger Bach, Abteilungsleiter Verkehr und Umwelt beim ADAC Württemberg, die Novelle. In der Praxis gebe es allerdings häufig Situationen, in denen die Straßenbreite nicht ausreicht. "Die exakte Einhaltung dieser Regelung im Straßenverkehr könnte daher schwierig werden", erwartet Bach.
Das sehen auch jene so, die neue Regeln überwachen sollen. Wie Autofahrer die Abstandsvorgabe exakt einhalten sollen? "Es ist schwierig, das kann man nur nach Gefühl machen", sagt Harry Gilde, Referent für Verkehr im Polizeipräsidium Heilbronn. Man müsse einen großen Abstand einhalten und im Zweifel hinter dem Radfahrer bleiben. Der Verkehrsexperte findet die Neuregelungen positiv, weil der Radfahrer deutlich gestärkt werde. Auch das Halteverbot auf Radschutzstreifen und den Grünpfeil nur für Radler begrüßt er, ebenso das Parkverbot im Bereich von bis zu acht Metern an Einmündungen und Kreuzungen.
Wie die Polizei in der Praxis aber gerade den Abstand kontrollieren und im Zweifelsfall gerichtsfest dokumentieren will? "Da betreten wir Neuland", sagt Gilde offen. Dies gehe wohl nur mit Videokameras. Auf der Autobahn seien die Abstandsmessverfahren geeicht. In dem neuen Fall "müssen wir uns rantasten". Insgesamt aber gelte für die Region: "Die Kontrollen laufen an."