Die Eigenverantwortung sei auch in seinem Bereich ein riesiger Faktor, sagt Boris Brand. Grundsätzlich gelte: Bewegung sei gut für die Gelenke, deutlich zu viel Gewicht schlecht. Gerade wenn man frisch mit dem Training beginnt, sei es völlig normal, dass auch mal moderate Schmerzen am Bewegungsapparat entstehen. „Schmerzen gehören zum Leben dazu.“ Im Zweifel solle man dann eben die Belastung reduzieren oder auf andere Sportarten ausweichen. Erst wenn der Schmerz intensiv ist und über drei bis sechs Wochen andauert, sei es womöglich an der Zeit für einen Arztbesuch.
Knieschmerzen bei Läufern: Ursachen, Therapien und Tipps für Sportler
Läuferknie, Meniskusprobleme, Reizung der Patellasehne: Wer viel joggt, kennt diese Begriffe. Der Neckarsulmer Orthopäde Boris Brand und Sporttherapeut Volker Sutor mit Tipps zum besseren Laufen.

Es klingt zunächst wie ein Widerspruch: Bewegung ist gut für die allgemeine Fitness und die Gelenke, etwa das Knie. „Die Leute, die mehr laufen haben zum Beispiel weniger Arthrose“, das würden Studien belegen, sagt Sport- und Physiotherapeut Volker Sutor. Doch gleichzeitig leiden ambitonierte Läufer häufig unter anhaltenden oder wiederkehrenden Knieschmerzen. Wie passt das zusammen? Was können Sportler selbst tun, um klassischen mit dem Laufen assoziierten Beschwerden vorzubeugen? Und was kann der Grund dafür sein, wenn es in der Kniekehle oder am Oberschenkel immer wieder schmerzt?
Volker Sutor und der Neckarsulmer Orthopäde Dr. Boris Brand haben Empfehlungen für drei Läufer aus der Trainingsgruppe aus Erlenbach. Sie sind in der Vorbereitung für den Berlin-Marathon im September und haben es mit unterschiedlichen Laufbeschwerden zu tun.

Beschwerden wie Läuferknie und Co.: Therapie zunächst konservativ
Grundsätzlich gilt, so Brand: Die Therapie typischer Kniebeschwerden bei Läufern ist zunächst immer konservativ. Das heißt: Als erste Hilfe gegen Schmerzen Eis draufpacken und die Belastung reduzieren, auch schmerzlindernde und entzündungshemmende Medikamente wie Ibuprofen können sinnvoll sein. Wer über Wochen anhaltende oder wiederkehrende Schmerzen hat, sollte zum Facharzt. Der schaut sich dann zunächst die Beinachsen, die Füße, die Stellung der Hüfte und des Beckens an. Einlagen zur Achsenkorrektur von O- oder X-Beinen können Entlastung bringen. Auch gute, angepasste Schuhe sind wichtig – ein Fachgeschäft, das Laufanalysen anbietet, kann dazu beraten.
Außerdem empfiehlt Volker Sutor gezieltes Training, nicht nur für die Beine, sondern auch für das Fußgewölbe, die Oberschenkelkraft, die Mobilität der Hüfte und die sogenannte Core-Stabilität – das ist der Bereich um Rumpf, Bauch und Rücken. Gerade bei funktionellen Fehlstellungen, die also nicht von den Knochen kommen, bringe ein konsequentes Training Effekte. Allerdings braucht man Geduld. „Ein Rezept allein hilft nicht, man muss die Übungen schon selbst weitermachen. Passive Strukturen wie Sehnen oder Bänder brauchen Wochen und Monate, um sich anzupassen“, sagt er.

Knieschmerzen lassen sich oft schon durch Abnehmen reduzieren
Sinnvoll außerdem: Abnehmen. Vor allem das Fett muss weg, denn es begünstigt entzündliche Prozesse im Körper. Volker Sutor sagt: „Ich hatte schon einige Patienten, die ihre Beschwerden allein durch Gewichtsreduktion in den Griff bekommen haben. Auf das Kniegelenk wirken beim Joggen Kräfte, die dem acht- bis zehnfachen des Körpergewichts entsprechen. Eine Reduktion des Körpergewichts um zwei bis drei Prozent zeigt bei Arthrosen schon positive Effekte.“

Brand meint: „Schon der Name Bewegungsapparat sagt ja, dass unser Körper geschaffen ist für Bewegung.“ Allerdings sei die empfehlenswerte Dosis individuell – und für sportliche Herausforderungen wie einen Marathon in Form zu kommen, dauere lange. „Manche brauchen ein bis zwei Jahre.“ Doch viele Sportler seien ungeduldig und würden sich zu schnell zu viel zumuten. Während sich das Herz-Kreislaufsystem bei gesunden Menschen relativ rasch auf die Belastung einstellten könne, brauche das bei Bändern, Muskeln und Sehnen oft sehr lange. Die zusätzliche Herausforderung beim Marathon-Training: Es werden die immer gleichen Bewegungen ausgeführt. Das führt unter Umständen zu Überlastungsschäden.
Klassische Kniebeschwerden bei Läufern – Fahrradfahren als Alternative
Wer an der Außenseite des Oberschenkels, knapp oberhalb des Knies, Schmerzen hat, die sich meist nach längerem Laufen (zehn Minuten plus) einstellen, leidet womöglich an einem sogenannten Läuferknie. „Das ist eine klassische Reizung, das Bindegewebe reibt am Knochen“, sagt Brand, beim Gehen oder in Ruhe sei der Schmerz meist schnell verschwunden und trete dann beim nächsten Lauf wieder auf. Ein Schmerzpunkt an der Innenseite des Knies kann auf eine Meniskopathie, landläufig Meniskusprobleme, hindeuten – der Meniskus verliert im Laufe des Lebens an Elastizität, die Schmerzen markieren womöglich eine beginnende Knorpelveränderung. Der Schmerz bleibt auch in Ruhe, „das kann sich lange ziehen“, so Brand.

Schmerzen an der Vorderseite des Knies können eine Reihe von Ursachen haben: Die Patellasehne oder die Patellaspitze können gereizt sein – oder der Knorpel hinter der Kniescheibe ist die Ursache für die Beschwerden. „Der Arzt stellt das in der Regel mit einer klinischen Untersuchung fest.“ Sebastian Hammer hat seit dem Trollinger Marathon Schmerzen an der Innenseite des Knies, wahrscheinlich der Meniskus. Brand hat ihm Einlagen gegen seine leichten O-Beine verschrieben und dazu geraten, seine Laufbelastung temporär zu reduzieren. Der 43-Jährige fährt jetzt viel Fahrrad. „Danach ist mein Knie wie neu.“
Die Sportart sei optimal, wenn das Laufen gerade zu viele Beschwerden macht – oder als Ausgleichstraining, sagt Sutor. Herbert Bolch (63) hat seit vielen Jahren Knieschmerzen und trägt Einlagen beim Laufen, die Schmerzen in der Kniekehle gehen trotzdem nicht weg. Die Fehlstellung sei schon ausgeprägt, sagt Brand. Volker Sutor empfiehlt ihm eine App mit Übungen, die auf seine Bedürfnisse angepasst sind, die Krankenkasse übernimmt die Kosten dafür. Melanie Vogler hat keine Knie- dafür Hüftschmerzen. Brand spricht sie auf ihre leichte Fußfehlstellung an und empfiehlt Übungen zum Aufdehnen der Hüfte. Allen Dreien zeigt Sutor Übungen für das Fußgewölbe, dieses werde häufig vernachlässigt, sowie für die Core-Stabilität.

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