Bis Juli könnten alle Erwachsenen im Land geimpft sein
Das Land Baden-Württemberg erweitert den Kreis der Impfberechtigten. Nun drängen auch Unternehmen auf eine Freigabe, damit ihre Betriebsärzte anfangen können zu impfen.

Die Kassenärzte im Land gehen davon aus, dass im Laufe des Juni nahezu alle Erwachsenen in Baden-Württemberg, die das wollen, eine Erstimpfung erhalten könnten. "Es wird sehr schnell gehen, wenn die zugesagten eine Million Impfdosen pro Woche ab Juni tatsächlich kommen", sagt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung in Stuttgart (KV). "Wenn wir alle Ressourcen, also Impfzentren, Praxen und Betriebsärzte zusammennehmen, ist das zu schaffen."
Bislang sind laut KV etwa 4800 Praxen im Land an der Impfkampagne beteiligt. Seit nach Ostern die niedergelassenen Ärzte eingestiegen sind, wurden demnach rund 400.000 Impfungen in Praxen verabreicht. Neben Hausärzten beteiligen sich auch Fachärzte an der Kampagne - mit steigender Tendenz. Eine Übersicht gibt es laut KV bislang jedoch nicht. Nach Auskunft des Heilbronner Dermatologen Bernd Salzer, Vorsitzender des Spitzenverbandes der Fachärztlichen Berufsverbände im Land, könnte die Quote aktuell bei etwa 50 Prozent liegen. Manche Fachärzte informieren darüber auf ihren Webseiten.
Kreis der Impfberechtigten wird am Montag größer
Ab kommenden Montag vergibt das Land auch Impftermine an alle Menschen mit Vorerkrankungen aus der dritten Priorität. Dazu gehören Personen etwa mit behandlungsfreien Krebserkrankungen, HIV, Rheuma-, Autoimmun- und Herzerkrankungen sowie Asthma oder Adipositas. Impfberechtigt sind auch jeweils bis zu zwei Kontaktpersonen von Menschen, die aufgrund einer dieser Erkrankungen oder aufgrund des Alters über 60 pflegebedürftig sind. Damit sind in Baden-Württemberg rund 1,5 Millionen weitere Menschen impfberechtigt.
Pilotprojekte mit Betriebsärzten laufen an - EBM-Papst ist nicht dabei und wundert sich
Unterdessen hat Sozialminister Manne Lucha (Grüne) den Unternehmen im Land Hoffnung gemacht, dass sie sich schon bald in der Breite an den Corona-Impfungen beteiligen können. Die Betriebsärzte seien die dritte Säule bei den Impfungen neben den Impfzentren und Hausärzten, sagte der Minister beim Besuch des Pilotprojekts für Impfungen von Betriebsärzten beim Kranhersteller Liebherr in Ehingen (Alb-Donau-Kreis) am Dienstag. Mit dem Modellversuch bei Liebherr sollen Abläufe und Lieferketten für die Impfungen von Betriebsärzten geprobt und offene Fragen geklärt werden. Sei ausreichend Impfstoff vorhanden, könnten die Betriebsärzte in Baden-Württemberg pro Woche bis zu 100.000 Beschäftigte impfen, sagte Michael Sehling, Vorsitzender des Landesverbands Baden der Deutschen Betriebs- und Werksärzte, gegenüber unserer Zeitung. Minister Lucha geht sogar von bis zu 200.000 wöchentlichen Impfungen aus.
Überrascht nahm EBM-Papst das Pilotprojekt bei Liebherr zur Kenntnis. Vor mehr als einem Monat hatte der Mulfinger Ventilatorenbauer der Landesregierung signalisiert, für ein Pilotprojekt zur Verfügung zu stehen. In der Absage aus dem Staatsministerium hieß es dann kategorisch, man sehe keine Notwendigkeit, das betriebliche Impfen zu erproben. Nun erfuhr das Unternehmen aus den Medien von laufenden Pilotprojekten. "Wir haben keine Rückmeldung erhalten", sagt EBM-Papst-Sprecher Hauke Hannig. Auch Audi hatte sich schon vor vielen Wochen sowohl am Sitz in Ingolstadt als auch am Standort Neckarsulm für einen Testlauf bereit erklärt. Eine Rückmeldung gab es bislang noch nicht.
Arbeitgeber stehen in den Startlöchern und drücken aufs Tempo
Die Arbeitgeber in Baden-Württemberg drücken derweil aufs Tempo. Der Verband Südwestmetall schlägt vor, parallel zur steigenden Zahl an verfügbaren Impfdosen das betriebliche Impfen zügig freizugeben und gleichzeitig auch die Priorisierung aufzuheben. Für kleine Betriebe sei es sinnvoll, sich einem größeren Unternehmen in der Region bei den Impfungen anzuschließen, erklärte ein Südwestmetall-Sprecher. Auch der Anlagenbauer Heidelberger Druckmaschinen hat an die Landesregierung appelliert, dass Betriebe sofort mit Impfungen gefährdeter Personen starten dürfen. Das Unternehmen hat in Wiesloch sein Impfzentrum bereits fertig eingerichtet und wartet nur noch auf die entsprechende Erlaubnis.
Nach den Beratungen von Bund und Ländern beim Impfgipfel soll nun das Bundeskabinett in der kommenden Woche Regeln zu möglichen Erleichterungen für Corona-Geimpfte auf den Weg bringen. Justiz- und Innenministerium wollen dafür eine Verordnung vorlegen, die Bundestag und Bundesrat billigen müssen, wie Regierungssprecher Steffen Seibert gestern ankündigte.
War eine Impfung die Ursache für eine Herzmuskelentzündung?
Ein 18-jähriger Schüler aus Güglingen hat nach seiner zweiten Biontech-Impfung - er ist Pflegeperson seiner Großmutter - eine Herzmuskelentzündung erlitten. Das Klinikum Ludwigsburg meldete den Fall an das Paul-Ehrlich-Institut. Nach Angaben einer Sprecherin könne zu einem solch frühen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden, ob eine Impfung ursächlich für die Erkrankung sein könnte. Zuletzt waren ähnliche Fälle aus Israel bekannt geworden; offenbar sind vor allem jüngere Männer betroffen. Wie das israelische Gesundheitsministerium mitteilte, sei ein kausaler Zusammenhang zwischen den Fällen und den zweiten Biontech-Impfungen nicht erwiesen.