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Medizinische Versorgung 
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Barmer-Landeschef: "Die goldenen Jahre im Gesundheitssektor sind vorbei"

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Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg, kritisiert das Aus für die Notfallpraxen. Was aus seiner Sicht nötig ist, Gesundheitssystem zu reformieren.


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Die Ausgaben für das ohnehin teure deutsche Gesundheitswesen steigen seit Jahren mit dem Alter der Bevölkerung. Gleichzeitig verschärft sich der Personalmangel. Wie umgehen mit den Herausforderungen? „Wir brauchen neue Ideen und echte Strukturreformen“, sagt Winfried Plötze, der Landesgeschäftsführer der Barmer.

An welchem Punkt befindet sich das deutsche Gesundheitswesen?

Winfried Plötze: Wir brauchen eine Strukturdebatte über grundlegende Veränderungen. Seit mindestens 30 Jahren sprechen wir über dieselben Probleme, die sich immer weiter aufgetürmt haben wie den Fachkräftemangel und die Finanzierung. Nun steigen die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Berufsleben aus. Zehn bis 15 Jahre später muss man damit rechnen, dass die Erkrankungen in dieser Gruppe ansteigen. Sprich, wir haben einerseits den Fachkräftemangel plus die Situation, dass die Finanzen zunehmend prekärer werden. Die goldenen Jahre sind vorbei.

Mit „goldene Jahre“ meinen Sie eine Situation, in der immer viel Geld für Gesundheit da war. Hat das nötige Reformen verhindert?

Plötze: Die vergangenen zehn, zwölf Jahre hatten wir ein enormes Wirtschaftswachstum. Deutschland ging es gut, wir hatten Rekordeinnahmen bei den Steuern und damit auch bei den Beitragsmitteln für die Krankenkassen. Die Zeiten haben sich geändert, der Wirtschaft geht es nicht mehr so gut, also fehlt auch Geld für den Sozialstaat. Gleichzeitig haben wir die zweitälteste Bevölkerung der Welt nach Japan. In der Vergangenheit wurden aber nur Reformgesetze verabschiedet, die teilweise die Ausgaben massiv erhöht haben, die grundsätzlichen Probleme wurden nie angegangen.

Geschieht das mit der großen Krankenhausreform?

Plötze: Das muss geschehen. Wenn man überlegt, wie die Krankenhausreform vor knapp zwei Jahren gestartet ist und was jetzt noch davon übrig ist, dann ist da schon Ernüchterung und teilweise Enttäuschung. Trotzdem sind sich alle Akteure im Gesundheitswesen einig: Sie muss kommen.

Winfried Plötze (57) ist der Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg. Die Kasse ist bundesweit die Zweitgrößte, in Baden-Württemberg ist sie mit rund 742 000 Versicherten die drittgrößte Krankenkasse. 

Was sind die größten Meilensteine der Reform?

Plötze: Das ist die größte Reform in der Geschichte der Gesetzlichen Krankenversicherung, die ich kenne, weil sie erstmalig nach der Einführung der Vergütung nach dem Fallpauschalen-System die Krankenhausstrukturen angeht. Es geht um eine veränderte Versorgungslandschaft, in der Krankenhäuser und die ambulante Versorgung stärker verzahnt sind. Über große regionale Versorger können wir gemeinsame Strukturen schaffen. Was aufhören muss, sind die Verteilungskämpfe innerhalb der Ärzteschaft, zwischen Krankenhausärzten und niedergelassenen Ärzten und zwischen Facharztgruppen und Hausärzten. Den Patienten ist damit nicht geholfen.

Sie meinen das Thema doppelte Facharztschiene. Also die Tatsache, dass Fachärzte wie Orthopäden oder Augenärzte sowohl im Krankenhaus als auch in der Niederlassung tätig sind.

Plötze: Wir haben nicht mehr die Ressourcen für die doppelte Facharztschiene. Das war ein Luxus, den wir uns in den letzten 30 Jahren leisten konnten. Die Doppelstruktur hat aber zu einer deutlichen Über- und Fehlversorgung geführt. Im Krankenhaus wird zum Beispiel seit Jahren zu viel operiert. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) muss sich schon gefallen lassen, dass wir darüber diskutieren, die ambulanten Fachärzte stärker mit den stationären zu vernetzen. Es geht um die Versorgung der Bürger. Wir können nicht auf der einen Seite kritisieren, dass wir keine Zeit haben, die Menschen zu versorgen und auf der anderen Seite die beiden Stränge nebeneinanderher laufen lassen.

Das Gesundheitssystem befindet sich mitten im Umbruch. Es ist der größte seit Jahrzehnten und bitter nötig, sagen Experten.
Das Gesundheitssystem befindet sich mitten im Umbruch. Es ist der größte seit Jahrzehnten und bitter nötig, sagen Experten.  Foto: dpa

Keine Zeit und keine Ressourcen: Diese Gründe nennt die KV auch für die Abschaffung von 17 Notdienstpraxen im Land. Haben Sie dafür Verständnis?

Plötze: Ich hätte mir von der KV eine bessere und frühzeitige Kommunikation gewünscht. Inhaltlich muss ich sagen: Jedem Kassenvertragsarzt steht ins Lastenheft geschrieben, dass er Bereitschaftsdienste übernehmen muss. Ich habe das Gefühl, in den letzten Jahren hat man diese Pflicht zunehmend als lästig empfunden und versucht, über sogenannte Poolärzte Abhilfe zu schaffen. Nach einem Gerichtsurteil hat die KV das gestoppt. Meine Forderung ist, dass die KV mit ihren Ärzten wieder darüber in die Diskussion einsteigt, was deren Pflichten sind. Dazu gehört auch, dass Kassenpatienten nicht länger auf einen Arzttermin warten müssen als Privatpatienten. Dasselbe gilt für die Verfügbarkeit der Notdienstnummer 116 117. Die Erreichbarkeitsquote ist zu schlecht.

Das ist harsche Kritik an der KV. Hat sie sich als Organ der ärztlichen Selbstverwaltung überholt?

Plötze: Nein, die KV hat ihre Existenzberechtigung. Sie wurde in den 1930er-Jahren auch deswegen gegründet, weil einzelne Ärzte nicht die nötige Macht hatten, um zum Beispiel mit Krankenkassen Verträge zu schließen. Aber für manche Probleme wie den Erhalt von Notdienststrukturen müssen neue Ideen generiert werden. Nur zu sagen: „Ich habe keine Ärzte, tut mir leid, geht nicht.“ Das ist zu wenig.

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