Lidl und die Kritik an der "100-Prozent-Kreislaufflasche"
Mehrweg oder Einweg, das sollte keine Glaubensfrage sein, sondern eine Frage von Ökobilanzen, fordert der Discounter. Doch es spielt bei dieser Frage noch einiges mehr mit hinein.

Die Diskussion um Mehrweg- und Einwegsysteme bei Getränkeflaschen hat weiter an Fahrt aufgenommen. Nachdem Lidl mit Unterstützung des TV-Moderators Günther Jauch für seine Kreislaufflasche geworben hatte und damit auf heftige Kritik von Umweltverbänden gestoßen war, legte die Mehrweg-Allianz mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) an der Spitze mit einer eigenen Kampagne nach: "Mehrweg ist Klimaschutz". Zudem gibt es eine weitere Studie zur Einwegflasche - beauftragt von Coca-Cola. Eine Bestandsaufnahme.
Warum kritisieren Umweltverbände die Lidl-Kampagne?
Ein wichtiger Punkt ist, dass die EU bereits mit dem Green Deal signalisiert hat, die Abfallwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft umzubauen. Bis 2030 sollen beispielsweise Verpackungen vollständig recycelbar sein. Diese Vorgabe erfüllen PET-Einwegflaschen schon heute. Ab 2030 sollen dann zusätzlich mindestens zehn Prozent der Getränke in Mehrwegsystemen verkauft werden. In Deutschland werden derzeit mehr als 40 Prozent Mehrwegflaschen verkauft. Vor 30 Jahren lag die Quote allerdings bei über 73 Prozent. Umweltschützer fürchten, dass eine erfolgreiche Kampagne von Lidl dazu führt, dass der Einweganteil weiter steigt.
Ist Mehrweg besser als Einweg?
In der Regel ist Mehrweg besser. Aber es kommt eben drauf an. Mehrweg ist nicht absolut CO2-neutral. Die Produktion von Mehrweg-Glas- und -PET-Flaschen, die Reinigung vor der Befüllung und vor allem der Transport verbrauchen Ressourcen und Energie. In der Ifeu-Studie, die von Lidl in Auftrag gegeben wurde, ist die Ökobilanz der Mehrwegsysteme schlechter als die der 1,5-Liter-Lidl-Fasche. Ein allgemeiner Vergleich mit anderen Einwegflaschen fand nicht statt.
Wie schneidet die Lidl-Flasche im Detail ab?
Die Ökobilanzen laut Ifeu-Studie: Die Glas-Mehrwegflasche (0,7 Liter) liegt bei 61 Kilogramm CO2 pro 1000 Liter Getränk, die PET-Mehrweg (1 Liter) bei 41 Kilogramm, die Lidl-Flasche (1,5 Liter) bei 33 Kilogramm. Die 0,5-Liter-Lidl-Flasche ist nicht besser als Mehrweg.
Was unterscheidet das Lidl-System von anderen Einwegsystemen?
Für PET-Einwegflaschen wird in der Regel viel Neuplastik verwendet. Eine Ifeu-Studie im Auftrag von Coca-Cola zeigt: 97 Prozent der Einwegflaschen in Deutschland werden zurückgegeben, nur 45 Prozent werden dann zu einer neuen Flasche. Das liegt daran, dass Einzelhändler die eingesammelten Flaschen an Recycler verkaufen, die dann höchstbietend weiterverkaufen. So werden aus sortenreinem Flaschen-Granulat beispielsweise Fleecejacken - ein sogenanntes "Downcycling". Lidl verkauft seine Flaschen dagegen nicht, sondern verwertet sie im eigenen System. Flaschen im Lidl-System werden ausschließlich mit dem Recycling-Granulat produziert. So komme Lidl auf einen Recycling-Anteil von 100 Prozent. Das erkennen auch die Umweltverbände an.
Hat Lidl sein System aufgebaut, um die Mehrweg-Pläne der EU zu durchkreuzen?
Lidl hat zwei Recycling-Standorte in Deutschland. Den ersten hat das Unternehmen 2010 übernommen, seinen zweiten 2015 gebaut - bevor die EU ihre Pläne erarbeitet hat.
Welche Kritikpunkte an der Lidl-Kampagne sind bedenkenswert?
Die Daten zu den Mehrwegsystemen, die das Ifeu-Institut verwendet hat, sind teils mehr als zehn Jahre alt. DUH-Experte Thomas Fischer ist überzeugt, dass ein Mehrwegsystem auf modernen Maschinen besser abgeschnitten hätte. Lidl räumt auf Nachfrage gegenüber unserer Zeitung auch ein, dass sich die Ökobilanzen der Mehrwegsysteme tendenziell verbessern - dem habe die Ifeu-Studie in Teilen Rechnung getragen. Zusätzlich kritisiert die DUH, dass ein 100-Prozent-Kreislauf bei Einwegflaschen nicht möglich sei, dieser Eindruck aber bei der Kampagne entstehe. "95-Prozent-Kreislauf" wäre aufrichtig.
Taugt das Lidl-System als Vorbild für andere?
Die DUH sagt: "Nein." Lidl hat fünf Mineralbrunnen in Deutschland gekauft, hat Recycling-Anlagen wie auch die Produktion von PET-Rohlingen in eigener Hand. Damit überspringe Lidl alle Wertschöpfungsstufen, so DUH-Experte Fischer. Es sei ein geschlossenes System, das auch nur so funktioniere.
Was steht für Lidl auf dem Spiel?
Seit 1991 gilt, dass maximal 28 Prozent der Getränke in Einwegverpackungen verkauft werden sollen. Weil diese Schwelle überschritten wurde, gibt es seit 2003 ein Einwegpfand auf bestimmte Dosen und PET-Getränkeverpackungen. Sollte eine Mehrweg-Angebotspflicht kommen, müsste Lidl parallel zwei Systeme bedienen. Zudem fordert die DUH eine Abgabe von 20 Cent auf jede Einwegflasche. Die Investitionen in das eigene System wären dann teilweise obsolet.