Die Spur des Geldes im Viston-Petroteq-Deal führt in die Türkei
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat die Ermittlungen gegen einen Oedheimer Unternehmer übernommen. Geschäftspartner im gescheiterten Übernahmedeal sind möglicherweise in Betrugsdelikte in der Türkei verwickelt. Dort hat es Festnahmen gegeben.

Um den Oedheimer Geschäftsmann Zbigniew Roch ist es ruhig geworden. Seitdem das angebliche Übernahmeangebot der von ihm kontrollierten Schweizer Viston United Swiss AG für die kanadische Ölfirma Petroteq Energy Inc. zurückgezogen wurde, gibt es keine weiteren Veröffentlichungen des Unternehmens. Dafür tauchten Hinweise auf die Machenschaften der mitbeteiligten Uniexpress-Bank und weiterer mit ihr verbundenen Firmen auf. Die Puzzlestücke ergeben noch kein vollständiges Bild. Doch es verdichten sich die Hinweise, dass das Geld für den aufwendigen Deal aus der Türkei gekommen sein könnte.
Staatsanwaltschaft ermittelt wegen der Ergo-Police
In Deutschland hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Ermittlungen übernommen, wie Sprecher Aniello Ambrosio auf Anfrage der Heilbronner Stimme mitteilt. Stuttgart ist die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen in Baden-Württemberg. In dem Verfahren geht es um die Versicherungspolice über 450 Millionen Euro, welche die Viston United Swiss AG und ihr alleiniger Verwaltungsratschef Zbigniew Roch aus Oedheim zusammen mit der Uniexpress-Bank im Juni bei der amerikanischen Börsenaufsicht SEC eingereicht hatten.
Mit der Police sollten die finanziellen Mittel nachgewiesen werden, die für eine Übernahme von Petroteq notwendig waren. Die Ergo-Versicherung in Düsseldorf, von der die Police angeblich stammte, hatte auf Anfrage unserer Redaktion mitgeteilt, dass dieses Dokument gefälscht ist.
Viston zog das Angebot später zurück. Zahlreiche Anleger hofften trotzdem darauf, dass Roch und Viston noch einmal nachlegen. Doch die Beratungsfirma Kingsdale Advisors, die das Geschäft begleitete, teilte unserer Zeitung mit, dass die Rolle von Kingsdale als Treuhänder beendet sei. Viele Aktionäre gehen inzwischen davon aus, dass das Übernahmeangebot nie ernst gemeint war. Ohne Partner trauen sie Petroteq auch nicht mehr viel zu. Der Kurs der Aktie fiel seit August von rund 26 US-Cent auf nunmehr unter zwei.
Gefälschte Dokumente kamen auch in der Türkei zum Einsatz
In der Zwischenzeit erfolgten in der Türkei mindestens zehn Festnahmen. Auf Fotos, die unter anderem von der türkischen Zeitung Haber48 verbreitet wurden, sind mehrere Personen zu sehen, die in Handschellen abgeführt werden. Der Vorgang sorgte für ein größeres Medienecho in der Türkei.
Den Angaben zufolge hatten die Verdächtigen mithilfe von Scheinfirmen bei Immobiliengeschäften betrogen. Dabei kamen - ähnlich wie dann auch bei der angeblich geplanten Petroteq-Übernahme - gefälschte Versicherungsdokumente und gefälschte Bankgarantien zum Einsatz.
Unbestätigten Angaben zufolge waren Verantwortliche der Uniexpress-Bank Teil dieser mutmaßlich kriminellen Organisation. Staatsanwaltschaft und Gericht reagierten auf eine Anfrage unserer Redaktion allerdings nicht.
Mit ihrer Masche soll die Betrügerbande in der Türkei viel Geld gemacht haben. Von 50 Millionen Dollar spricht die Zeitung Haber48. Ferner soll es einen Zeugen der Staatsanwaltschaft geben, der detailliert Auskunft über die Organisation gab und dessen Aussage angeblich zu den Verhaftungen führte. Der Aktionsradius des Netzwerks spannte sich diesem Zeugen zufolge von der Türkei über England bis nach Deutschland.
Für einen möglichen Betrug brauchte es Millionen
Die Vorstellung, dass den Verantwortlichen bei Uniexpress Millionen Dollar zur Verfügung standen, könnte die Antwort auf die zentrale Frage sein, die sich bisher gestellt hat: Woher kam das Geld? Denn selbst wenn das Übernahmeangebot, das Viston und Roch den Petroteq-Aktionären gemacht hatten, nicht ernst gemeint war, so wäre für die Aktion doch ein hoher Kapitaleinsatz notwendig gewesen. Eine sechs- bis siebenstellige Summe muss für Anwälte, Agenturen und die Einreichungen bei den Börsenaufsichten in den USA und Kanada bereitgestellt worden sein.
Damit allein wäre es noch nicht möglich gewesen, mit einer Aktienmanipulation Geld zu verdienen. Sollte beispielsweise ein sogenanntes Pump-and-Dump-Geschäft vollzogen werden, bräuchte es viele Millionen Dollar, um vorab in die günstigen Aktien zu investieren, die dann bei hohen Kursen mit Gewinn wieder verkauft werden. Ob es so einen Plan gab und ob er aufging, lässt sich bisher nicht mit Sicherheit sagen.
Anwalt schätzt möglichen Schaden auf eine zweistellige Millionen-Summe
Zur Einschätzung der Vorgänge sagt Rechtsanwalt Marc Schiefer, Partner der auf Kapitalmarktrecht spezialisierten Kanzlei TILP in Kirchentellinsfurt: "Das alles sieht auf den ersten Blick sehr fragwürdig aus." Um den möglichen Schaden zu berechnen, müsse man wissen, wie viele Aktien nach der Übernahmeofferte gehandelt wurden und wie viele später nach dem Platzen des Angebots.
Viele Anleger kauften bei 25 bis 30 US-Cent in der Hoffnung, von Viston rund 55 Cent pro Aktie zu bekommen. Stattdessen verkauften sie dann für sechs, fünf oder drei Cent. "Da kommt man schnell auf eine potenzielle Schadenssumme im zweistelligen Millionen-Bereich", schätzt Schiefer.
Hoffen auf die amerikanische Börsenaufsicht
Es bleibt die Frage, wohin das Geld geflossen ist. "Man muss die tiefen Taschen finden. Nur dann ist es möglich, wieder etwas abzuschöpfen", sagt Schiefer. Sogar in Zeiten von Kryptowährungen sei es oft möglich, den Geldfluss nachzuverfolgen. "Aber es kommt darauf an, ob jemand Lust hat, diesen Fall aufzurollen." Die besten Chancen bestünden, wenn die US-Börsenaufsicht SEC ermittle. "Die wollen ihren Kapitalmarkt sauber halten."
Keinen Kommentar zu dem Fall möchte die Ölfirma Petroteq Energy selbst abgeben. Auf eine Anfrage der Heilbronner Stimme reagiert sie nicht. Sie und ihr ehemaliger Chef Alexander Blyumkin waren in der Vergangenheit mit dubiosen Geschäften aufgefallen, einigten sich nach den Vorwürfen mit der SEC auf Zahlungen in Millionenhöhe. Nach der gescheiterten Übernahme wurde zuletzt ein neues Management eingesetzt.
Kontakt zwischen Petroteq und Viston kam früher als gedacht zustande
Petroteqs Rolle im gescheiterten Übernahmedeal ist deshalb weiterhin unklar. Unbekannt waren sich die Akteure keineswegs. Der Kontakt zwischen Petroteq und Viston kam jedenfalls vor Oktober 2021 zustande. Damals veröffentlichte Viston das Übernahmeangebot, das Petroteq anfangs als feindlich einstufte und erst nach und nach unterstützte.
Zuvor, seit dem Frühjahr 2021, hatte es im deutschen Bundesanzeiger bereits mehrere ähnliche Angebote an die Petroteq-Aktionäre gegeben. Hinter dem ersten, das angeblich von einer schwedischen Firma namens Uppgard Konsult kam, steckte ebenfalls die Viston United Swiss AG. Petroteq hatte schon vor dem Angebot im Oktober bekannt gegeben, dass es in Kontakt mit dem "Uppgard-Klienten" stehe - sprich also mit Viston.
Und dann gibt es da noch Spuren, die einige der Anleger aufgedeckt haben und immer noch aufdecken. Sie sehen Verbindungen in die Ukraine, spekulieren über die Motivation eines Großaktionärs von Petroteq, sehen inzwischen auch die Gefahr, dass ein Betrug mit weiteren Penny Stocks fortgeführt werden könnte. Denn Bots und mutmaßlich bezahlte Agenten in den Diskussionsforen sind weiterhin aktiv. Die große Frage bleibt, ob jemals aufgedeckt wird, was wirklich hinter der Sache steckt und wer welche Rolle in diesem Stück gespielt hat.