Stimme+
Berlin
Lesezeichen setzen Merken

Welche Vorschläge zum Bürokratieabbau sich im Justizministerium stapeln

   | 
Lesezeit  7 Min
Erfolgreich kopiert!

Das Bundesjustizministerium von Minister Marco Buschmann (FDP) hat Verbände gefragt, wo sie unnötige Bürokratie abbauen würden. Dabei sind einige Vorschläge zusammengekommen. Wir haben die wichtigsten zusammengetragen.

Wie lassen sich in Deutschland die Prozesse bei den Behörden vereinfachen? Mittlerweile sind einige Vorschläge dazu im Justizministerium eingelaufen.
Wie lassen sich in Deutschland die Prozesse bei den Behörden vereinfachen? Mittlerweile sind einige Vorschläge dazu im Justizministerium eingelaufen.  Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Die Ampel-Koalition will unnötige Bürokratie abschaffen. Deshalb haben das Justizministerium und der zuständige Staatssekretär Benjamin Strasser (FDP) 97 Verbände zu einer Umfrage eingeladen. Sie sollten Vorschläge machen, welche Gesetze und Vorgaben abgeschafft oder geändert werden sollten, um unnötige Bürokratie zu vermeiden.

Bis zu Fristende Mitte Februar gingen einige Vorschläge ein, über die das Justizministerium zunächst intern beraten möchte. Unsere Redaktion hat deshalb bei ausgewählten Verbänden, Interessengruppen und Organisationen aus verschiedenen Bereichen nachgefragt, welche Ideen und Vorschläge für weniger Bürokratie sie dem Justizministerium genannt haben.


Mehr zum Thema

Grünen-Politiker Cem Özdemir appelliert an seine Partei und fordert Geschlossenheit.
Stimme+
Berlin
Lesezeichen setzen

Cem Özdemir: Ein Minister, der viel versprochen, aber wenig erreicht hat


Das Ergebnis spricht eine klare Sprache: Die meisten Verbände kritisieren komplizierte Anträge, langwierige Verfahren und unnötige Nachweispflichten. Der oft geäußerte Vorwurf ist, dass die Bürokratie immer weiter zunimmt, statt weniger zu werden. Und noch immer funktioniert der Austausch zwischen Bürgern, Firmen und dem Staat meist nur in Papierform statt digital. Wie sich das in Zukunft ändern soll.

Arbeitgeber und Gewerkschaften

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordert, kein Recht auf Homeoffice einzuführen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte genau das versucht, scheiterte aber am Widerstand der FDP. Im Gespräch ist daher ein Kompromiss: Arbeitgeber könnten verpflichtet werden auszuloten, ob Homeoffice möglich ist, wenn Beschäftigte das wollen. Laut BDA ist das jedoch kontraproduktiv. Während der Pandemie seien "vielfältige und passgenaue Modelle" entwickelt worden.


Mehr zum Thema

Menschen gehen bei schönem Wetter über die Wiese vor dem Reichstagsgebäude mit dem Bundestag in Berlin.
Stimme+
Region
Lesezeichen setzen

Kolumne: Was regionale Bundestagsabgeordnete im Februar bewegt hat


Auch beim Hinweisgeberschutzgesetz will der Verband Änderungen. Durch die EU-Vorgabe müssen Unternehmen Systeme schaffen, über die Mitarbeiter Gesetzesverstöße melden können. Die Hinweisgeber sollen dabei anonym bleiben können. Der BDA will diese Vorgabe abschaffen, "da sie insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen zu einem nicht tragbaren finanziellen und personellen Mehraufwand führt". Das Gesetz ist Anfang Februar im Bundesrat vorerst gescheitert.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks legt sich nicht auf konkrete Vorgaben fest, die abgeschafft werden sollen. "Es ist das Zusammenspiel der vielen Einzelregelungen, das zu einem erheblichen Bürokratieaufwand bei den Betrieben führt", sagt eine Sprecherin. Viele bürokratische Vorgaben kämen aus Brüssel. Die Bundesregierung solle sich dafür einsetzen, zusätzliche Belastungen bereits dort zu verhindern und dürfe gleichzeitig bei der Umsetzung in deutsches Recht "nicht über die Mindestanforderungen hinausgehen".

Der Handelsverband Deutschland hat sich an der Umfrage nicht beteiligt und stattdessen ein eigenes Papier verfasst. Die wichtigsten Forderungen: Die sogenannte "Super-Abschreibung", mit der Unternehmen schneller investieren könnten, müsse kommen und die weltweite Mindeststeuer von 15 Prozent soll auf 2025 verschoben werden.


Mehr zum Thema

CDU-Politiker Alexander Throm fordert eine Begrenzung für die Zahl der Asylanträge in Deutschland.
Stimme+
Interview
Lesezeichen setzen

CDU-Politiker Alexander Throm: "Qualifikation von Zuwanderern ist entscheidend"


Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert, dass Finanzämter und Rentenversicherung besser zusammenarbeiten. Wenn ein Teil der Rente steuerpflichtig ist, soll er automatisch abgezogen werden, wie es bei Angestellten mit der Lohnsteuer passiert. Bisher teilt die Rentenversicherung erst am Jahresende mit, wie viel Rente ausgezahlt wurde. Mehr und mehr Rentner müssten eine Steuererklärung machen und sich mit möglichen Nachzahlungen an das Finanzamt befassen, zum Teil erst Jahre später. "Viele Steuerpflichtige sind darauf nicht vorbereitet und verunsichert", sagt eine DGB-Sprecherin, und guter Rat sei dann teuer.

Wirtschaft, Städte und Gastronomie

Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) fordert, dass die Höchstarbeitszeit nicht mehr pro Tag, sondern pro Woche gilt. "Eine große bürokratische Belastung ist die starre Arbeitszeitverteilung im Betrieb", heißt es zur Begründung. Bei der Befristung von Arbeitsverträgen und Vorschriften zur Schwarzarbeit gilt vielfach nur die Schriftform, also Papier. "Zeitgemäße digitale Kommunikation wird ausgeschlossen", erklärt ein Sprecher. Der Verband fordert, dass etwa eine E-Mail genügen soll.

Auch bei der Nachverfolgung von Lebensmitteln fordert der Verband Änderungen. Seit Jahresbeginn müssen Informationen über die Herkunft von Lebensmitteln innerhalb eines Tages in einem "strukturierten, gängigen und maschinenlesbaren Format" an die Behörden verschickt werden. "Es verursacht Aufwand und Kosten, diese Formate in den Betrieben einzurichten", so der Sprecher. Die Idee: Die nötigen Infos sollen so verschickt werden dürfen, wie sie vorhanden sind. "Der Fokus sollte nicht auf einem bestimmten Format liegen."


Mehr zum Thema

Viele Deutsche wünschen sich, weniger zu arbeiten.
Foto: NanSan/stock.adobe.com
Stimme+
Meinung
Lesezeichen setzen

Pro & Contra: Ist die Vier-Tage-Woche massentauglich?


Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht in der zunehmenden Bürokratie eine Gefahr. "Unternehmen müssen in Deutschland so viele Ressourcen aufwenden, um Berichte zu verfassen, Nachweispflichten zu erfüllen, statistische Daten zu melden oder Genehmigungen zu beantragen, dass diese Belastungen zu einem zentralen Standortfaktor werden", sagt Rainer Kambeck, Leiter des DIHK-Bereichs Wirtschafts- und Finanzpolitik, Mittelstand. Die Ampel-Koalition müsse ein Bürokratieentlastungsgesetz vorlegen, das zu "spürbaren Entlastungen in den Betrieben führt und bei den Verwaltungsabläufen in Deutschland für deutlich mehr Tempo sorgt".

Eine Forderung des Verbands ist, Behörden eine gesetzliche Frist zu setzen, innerhalb derer sie sich in Planungs- und Bauverfahren zurückmelden müssen. "Verstreicht diese Frist, sollte der Antrag als genehmigt gelten", sagt Kambeck. Im Bereich der Ausbildung müsse es möglich sein, rein digital mit Azubis zu kommunizieren und mit ihnen Dokumente auszutauschen. Das Gesetz verbiete das bisher.

Aus Sicht des Deutschen Städtetags würde es helfen, wenn sich die Regierung mehr Zeit für Gesetze nehmen würde. "Im Eilverfahren durchgepeitschte Gesetze sind oft fehlerbehaftet und manchmal administrative Monster", sagt Städtetags-Geschäftsführer Helmut Dedy.

Es sei wichtig, die Städte von Anfang an einzubeziehen. In der Praxis passiere aber das Gegenteil, sagt Dedy: Fristen für Stellungnahmen werden kürzer, manchmal seien es nur wenige Stunden. "Das ist schlechter Stil und entspricht nicht unserem Verständnis von demokratisch legitimierter Beteiligung der Städte."

Gesundheit und Soziales

Der Sozialverband VdK kritisiert, dass die Familienkasse jedes Jahr nachfragt, ob ein erwachsenes Kind mit Behinderung noch die Voraussetzungen erfüllt, um Kindergeld zu bekommen. Das ist in der Regel der Fall, solange der- oder diejenige nicht arbeitet. "Falls das erwachsene Kind doch eine Tätigkeit aufnimmt, wird diese sowieso bei der Krankenkasse angemeldet, weil ja Beiträge zu bezahlen sind", erklärt ein Sprecher.


Mehr zum Thema

Über ein mögliches Tempolimit wird hierzulande immer wieder debattiert.
Stimme+
Region/Stuttgart
Lesezeichen setzen

Wie das Tempolimit auf Autobahnen die Region spaltet


Der Verband fordert stattdessen, dass sich die Betroffenen melden, wenn sich etwas an ihrer Situation ändert. Das müsse ebenfalls für Studierende, die Grundsicherung im Alter oder bei der Erwerbsminderung gelten.

Auch bei der Zuzahlung zu Medikamenten fordert der VdK Änderungen. Bisher müssen gesetzlich Versicherte viele Belege sammeln, ihre Belastungsgrenze ausrechnen und Freibeträge für den gesamten Haushalt abziehen, um dann einen Antrag bei der Krankenkasse zu stellen - jedes Jahr. "Viele Menschen sind damit überfordert und zahlen die Zuzahlungen, obwohl sie es nicht müssten", erklärt der Sprecher. Die Lösung: Die Krankenkassen könnten die geleistete Zuzahlung ausrechnen, da sie die restlichen zehn Prozent bezahlen.

Das Deutsche Rote Kreuz findet, dass bei neuen Dokumentationspflichten alte Vorgaben gestrichen werden müssen. Außerdem müsse es möglich sein, Belege digital abzuspeichern. "Wenn Belege rechts- und revisionssicher vorgehalten werden, müssen Papierbelege vernichtet werden können." Zudem müsse der Umgang mit Spenden vereinfacht werden.

Für die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist das wichtigste Anliegen, dass Pflegekräfte weniger Zeit mit dem Dokumentieren ihrer Arbeit verbringen. "Derzeit sind etwa drei Stunden pro Tag für medizinisch und pflegerisch oft nicht notwendige Dokumentationsarbeit nötig", sagt der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß. "Wir fordern, diese Pflichten um 50 Prozent zu verringern und den Zeitaufwand für Pflegekräfte und Ärzte auf höchstens 20 Prozent der Arbeitszeit zu begrenzen."

Dafür sollen Qualitätsberichte schlanker werden und es sollen öfter bereits vorhandene Daten verwendet werden. Bei unterschiedlichen Qualitätskontrollen müsse hinterfragt werden, ob sie zusammengelegt werden können.

Die Diakonie fordert, Anträge für die häusliche Krankenpflege zu digitalisieren, Fristen für das Einreichen von Dokumenten und die Dauer der bewilligten Pflege zu verlängern. Dadurch würden absehbare Folgeverordnungen vermieden.

Digitales und Start-ups

"Der Hang zum Perfektionismus und überbordende Bürokratie hemmen uns", erklärt Christoph Stresing, Geschäftsführer des Startup-Verbands. "Anträge dauern zu lange, Prozesse sind nicht digital genug." Dadurch würden mutige Start-ups ausgebremst.

Als Beispiel nennt Stresing die Arbeitsbedingungenrichtlinie, eine EU-Vorgabe, die im August 2022 in deutsches Recht umgesetzt wurde. Sie schreibt vor, dass Arbeitgeber neue Mitarbeiter über die wesentlichen Bedingungen ihres Vertrags informieren müssen. Das war zwar bereits zuvor Pflicht, geschah aber oft elektronisch. Mit dem neuen Gesetz ist jedoch die Papierform vorgeschrieben.

"Das grenzt an Zukunftsverweigerung und steht im scharfen Widerspruch zu den Digitalisierungsambitionen der Ampel-Koalition." Dabei hatte die EU lediglich vorgeschrieben, dass die Informationen "als Dokument" vorliegen müssen. Weigern sich Unternehmen, drohen 2000 Euro Bußgeld pro Verstoß. Der Verband fordert, den "Papierzwang" wieder abzuschaffen - eine Forderung, die fast alle Verbände auf Anfrage unserer Redaktion erheben.

Der Digitalverband Bitkom wünscht sich, dass IT-Fachkräfte einfacher einwandern können. 137 000 Stellen seien in diesem Bereich offen. Das Problem: Behörden müssen prüfen, ob Zuwanderer für ihren Job qualifiziert sind. "Es sollte genügen, wenn künftige Arbeitgeber die Befähigung zur Ausübung des angebotenen Jobs bescheinigen", erklärt ein Bitkom-Sprecher. So seien Deutschkenntnisse in der IT-Branche nicht zwingend nötig.

"Zudem müssen Prozesse bei der Visaerteilung erheblich vereinfacht und beschleunigt werden", erklärt der Sprecher. Die entsprechenden Behörden, Botschaft, Ausländerbehörde und Arbeitsagentur müssten dazu besser vernetzt werden. Ebenso will der Verband den Mobilfunkausbau beschleunigen: Firmen, die Funktürme bauen wollen, sollen das Recht bekommen, ins Grundbuch zu schauen, Prüfungen beim Naturschutz schneller ablaufen und Mobilfunkmasten außerhalb von Gemeinden privilegiert werden.

Eco, der Verband der Internetwirtschaft, fordert einen Digitalcheck für Vorhaben der Bundesregierung. Gesetze müssten dahingehend überprüft werden, ob sie digital funktionieren. Die Schriftform soll auch bei bereits vorhandenen Prozessen hinterfragt werden.

Zudem hofft der Verband, dass die Fachkundeprüfung für Taxifahrer nicht eingeführt wird. Bisher mussten Fahrer Ortskenntnisse nachweisen. Die Regelung ist seit Mitte 2021 ausgesetzt, ohne dass das Folgen gehabt hätte, sagt eine Sprecherin. Inzwischen seien Navigationsgeräte weit verbreitet und Fahrgäste könnten Fahrer bewerten. "Insofern stellt sich die Frage der Notwendigkeit dieser nun bereits seit über einem Jahr ausgesetzten Regel." Taxifahrer seien mit den übrigen Nachweisen "vollumfänglich" geeignet.

Umweltschutz, Landwirtschaft, Tourismus

Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) hat sich nicht an der Umfrage beteiligt. Stattdessen verweist ein Sprecher auf ein Paket mit Vorschlägen, das der Verband bereits im vergangenen November verfasst hat. Darin fordert der BEE, dass Behörden nicht mehr unbegrenzt Zeit bekommen, um bei der Genehmigung Unterlagen anzufordern.

Ohnehin ist eigentlich vorgeschrieben, dass Behörden nur einen Monat Zeit haben, um die Unterlagen zu prüfen und einmalig um zwei Wochen verlängern können. In der Praxis werde der Prozess aber durch stückweise Nachforderungen in die Länge gezogen.

Ergänzend brauche es einen einheitlichen und für Anlagenbauer wie Behörden verpflichtenden Katalog, welche Unterlagen und Gutachten vorgelegt werden müssen, etwa beim Bau von Windrädern. Bisher würden sich diese Vorgaben selbst innerhalb eines Bundeslandes "erheblich" unterscheiden, erklärt der Verband. Der gesamte Prozess müsse digitalisiert werden.

Der Deutsche Tourismusverband hat sich ebenfalls nicht an der Umfrage beteiligt. Der Verband will seine Vorschläge stattdessen in die nationale Tourismusstrategie einbringen, an der momentan gearbeitet wird. Ein Thema dabei ist der digitale Meldeschein in Hotels. Zwar können Hotels die Daten ihrer Gäste seit Anfang 2020 digital erfassen, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Die Branche fordert seit Jahren, den digitalen Check-in zu vereinfachen und zu erleichtern, damit der Papier-Meldeschein komplett wegfallen kann.

Der Deutsche Bauernverband befürchtet, dass das neue staatliche Tierhaltungskennzeichen für mehr Bürokratie sorgt. Das Siegel gilt ab Sommer zunächst für frisches Schweinefleisch von Tieren, die in Deutschland gemästet wurden. Landwirte müssen den Behörden melden, in welcher der fünf Stufen ihre Tiere gehalten werden und wenn sich daran etwas ändert. Außerdem müssen sie selbst Buch darüber führen.

Der Bauernverband kritisiert, dass die mit dem Siegel verbundenen Prozesse nicht an die bereits vorhandenen Meldesysteme oder an private Qualitätssicherungssysteme angeschlossen sind. Dadurch drohe den Betrieben "noch mehr unnütze" Bürokratie. Außerdem fordert der Verband seit längerem, dass das Beantragen der EU-Agrarfördermittel mithilfe moderner Satellitentechnik und einem bundesweit einheitlichen IT-System funktionieren soll.

Greenpeace, der Nabu und der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer waren zu der Umfrage des Justizministeriums eingeladen, äußerten sich auf Anfrage jedoch nicht.

  Nach oben