Endstation Tirol in Thüringen: Sport-Union Neckarsulm im Wechselbad der Gefühle
Die Sport-Union Neckarsulm bringt den Thüringer HC am vierten Bundesliga-Spieltag an seine Grenzen, bis dessen Tiroler Innenblock zum unüberwindbaren Hindernis wird.

Bei Spielen gegen den Thüringer HC ist dessen Abwehrchefin Anika Niederwieser häufig der beste Indikator der eigenen Leistung. So auch am Samstagabend im Bundesliga-Duell der Thüringerinnen gegen die Sport-Union Neckarsulm. Als Faustregel lässt sich festhalten: Du weißt, du steckst in ernsthaften Schwierigkeiten, wenn selbst die Italienerin Tore erzielt.
Nicht etwa, weil Niederwieser zwei linke Hände hätte, sondern weil sie als ausgesprochene Abwehr-Expertin nur selten in die Angriffsbemühungen des THC involviert ist. Falls sie dennoch vor dem gegnerischen Tor auftaucht, dann ist das meist einem schnellen Umschaltspiel geschuldet oder der Tatsache, dass sie am eigenen Kreis nicht gebraucht wird. Und sowohl das eine wie auch das andere verspricht meist nichts Gutes für die gegnerische Mannschaft. Das bekam bei ihrer 24:27 (14:15)-Niederlage in der Salza-Halle auch die Sport-Union Neckarsulm zu spüren.
Gäste taumeln lange durch die zweite Hälfte
Als Niederwieser nach 43 Minuten zum 24:16 traf, war der THC-Zug gerade in voller Fahrt. Hinten hatte Dinah Eckerle das Tor verbarrikadiert und vorne wechselte die Harzkugel so schnell durch die Hände der Gastgeberinnen, dass die Sport-Union sogar Mühe hatte, dem Spielgerät überhaupt hinterherzuschauen, geschweige denn, es zu erobern. „Der THC hat es in der zweiten Halbzeit einfach toll gemacht“, musste Neckarsulms Geburtstagskind Sinah Hagen (28) im Nachgang neidlos anerkennen.
Es war zwischen 31. und 49. Minute eine Phase, in der man sich sorgen musste. Um die taumelnde Sport-Union-Mannschaft, um ihren verzweifelnden Trainer Thomas Zeitz und um all das, was beide seit dem Vorbereitungsbeginn gemeinsam aufgebaut haben. Mickrige drei Törchen hatten die Gäste nach der Halbzeit bis zur 49. Minute erzielt, bevor ein Treffer Rabea Pollakowskis doch noch ein spätes Aufbäumen einleitete.
Sport-Union verdient sich Vier-Tore-Führung
So blamabel ein 3:11-Lauf nach Wiederbeginn gewesen war, so anständig war eine 8:1-Serie in den finalen zwölf Spielminuten. „Die Mädels“, sagte Sinah Hagen und schloss sich damit indirekt ein, „haben das gut gemacht mit der Ergebniskosmetik am Schluss“.
Dem katastrophalen Wiederbeginn nach der Halbzeit war eine Neckarsulmer Darbietung nahe der Perfektion vorausgegangen. Hälfte eins dominierte über weite Phasen nicht das international spielende Top-Team aus Bad Langensalza, sondern die Mannschaft von Thomas Zeitz. Mehrfach führte die Sport-Union mit drei Toren, Angunn Gudmestad hatte sogar zum 12:8 getroffen (22.).
„Du kommst raus, bist motiviert – und fragst dich irgendwann: Was machen wir hier?!“
Thomas Zeitz
Taktisch agierte sie häufig in einer 5:1- oder sogar 3:2:1-Deckung. Dabei stießen die wiedergenesene Hagen und Lilli Holste ebenso konzentriert wie konsequent auf Spielgestalterin Natsuki Aizawa und Torjägerin Johanna Reichert heraus, was das Tempo im Spiel des THC merklich bremste. Und genau hierin lag der Schlüssel für die starken Neckarsulmer Minuten: Immer wenn der THC-Angriffszug (aus-)gebremst wurde, stiegen die Erfolgschancen der aufmerksamen Sport-Union-Deckung exorbitant. Kam er hingegen ins Rollen, gab es nur selten ein Gegenmittel.
Kleine Spielerinnen trumpfen groß auf
Im Angriff wussten die Gäste mit reichlich Variabilität und einer guten Trefferquote zu gefallen. Durchbrüche, Schlagwürfe, abgeräumte Angriffe über Außen – die Sport-Union zeigte die gesamte Angriffspalette und machte sich so kaum ausrechenbar.
Am erfolgversprechendsten waren häufig die Tiefenläufe der 1,68 Meter großen Sinah Hagen, die Aizawa (1,60 Meter) an der Spitze der 5:1-Deckung des THC oft mühelos hinterlief und anschließend ein halbes Dutzend Mal passgenau von Spielführerin Munia Smits bedient wurde. „Die Kleinsten waren für mich heute die Größten“, sagte THC-Trainer Herbert Müller später mit Blick auf Hagen und die achtfache Torschützin Aizawa.
Thomas Zeitz wird deutlich: Weckruf vor dem Aufbäumen
Doch weil unmittelbar vor der Pause in der Neckarsulmer Deckung der Zugriff abhanden gekommen war, verspielte das Zeitz-Team seinen Vorsprung noch bis zur Pausensirene und bekam nach Wiederbeginn rund 15 Minuten lang überhaupt kein Bein mehr auf den Boden. „Du kommst raus, bist motiviert – und fragst dich irgendwann: Was machen wir hier?!“, beschrieb Zeitz seine Gefühlslage. „Wir waren viel zu hektisch; aber auch ich habe es heute nicht geschafft, da eine Bremse reinzuhauen“, sagte er selbstkritisch.
Dennoch waren seine Worte in einer Auszeit in der 48. Minute beim Stand von 16:26 der Weckruf, der das späte Aufbäumen eingeleitet hatte: „Wir müssen keine Hektik mehr machen. Wir haben uns jetzt 15 Minuten lang blamiert bis auf die Knochen, jetzt können wir es zu Ende spielen. Kommt nicht zu mir, und fragt mich, was wir machen müssen. Wir haben eine Halbzeit gemacht, was wir wollten, und eine Halbzeit haben wir gar nichts mehr gemacht. Entweder kommen wir jetzt dahin zurück oder wir kriegen hier mit 15 eine auf den Arsch – macht’s wie ihr’s wollt.“
8:1-Lauf in der Schlussphase rettet die Laune des Trainers
Anschließend wollten sie und machten sie. Es folgte ein halbwegs versöhnlicher 8:1-Lauf der Ehre und Endergebnis rettete und den Trainer halbwegs milde stimmte: „Wir haben eine gute Truppe, um die nötigen Punkte zu holen, um unsere Ziele zu erreichen“, sagte Thomas Zeitz hinterher entschlossen.
Anika Niederwieser feierte da längst ihr erstes Saisontor und die zwei Punkte mit ihren Mannschaftskolleginnen. „Mit ihrer offensiven 5:1-Abwehr hatten wir anfangs unsere Probleme, vor allem mit Sinah Hagen. Aber wir wussten auch, was auf uns zukommt“, sagte die 32-Jährige dabei nüchtern. Der THC-Innenblock mit der Südtirolerin und der 1,80 Meter großen, im österreichischen Teil Tirols beheimateten Josefine Hanfland war für die Sport-Union zu lange unüberwindbar geblieben. Endstation: Tirol.
Sport-Union Neckarsulm: Ivancok (12 Paraden), Fossum, Orowicz – van der Linden, Holste, Hagen (5), Kaiser (5), Smits (7/1), Pollakowski (2); Hinkelmann, Gkatziou (2/1), Bruggeman (1), Holtman, Riner, Andrysková.
Erfolgreichste Werferinnen Thüringer HC: Natsuki Aizawa (8), Josefine Hanfland (4), Johanna Reichert (4/1).
Schiedsrichter: Julian Köppl/Denis Regner.
Siebenmeter: Thüringer HC: 1/2; Sport-Union Neckarsulm: 2/2.
Zeitstrafen: 4/6.
Zuschauer: 1168.
Ticketkontingent für Göppingen und neue Sponsoring-Vereinbarung
Für ihr nächstes Auswärtsspiel am 3. November (16 Uhr) hat die Sport-Union Neckarsulm von Gastgeber Frisch Auf Göppingen ein gesondertes Gästeblock-Kontingent mit vergünstigten Tickets erhalten. Bis zum20. Oktober nimmt Sascha Göttler (sascha.goettler@suneckarsulm.de) von der Geschäftsstelle verbindliche Bestellungen per E-Mail entgegen. Eintrittskarten kosten 11 Euro, 8 Euro (Ermäßigt) und 6,50 Euro (Jugendliche ab sieben Jahren). Die Ticketübergabe erfolgt am Spieltag an der EWS-Arena.
Im Sponsorenbereich hat die Sport-Union inzwischen etwas mehr Planungssicherheit. Audi hat sein Engagement ausgeweitet und gehört neben Lidl und Kaufland, der Kreissparkasse Heilbronn und der Backstube Hermann Härdtner fortan zum Kreis der Hauptsponsoren. Eine bis 2027 gültige Übereinkunft bestätigte der Automobilhersteller am Freitag; seit 2016 unterstützte Audi den Verein bereits als Exklusivsponsor. In dieser Spielzeit zieren die vier Ringe unter anderem auch die Rückseite des Neckarsulmer Trikots.