Gut gedacht, gut gemacht: Sport-Union Neckarsulm gelingt historischer Sieg gegen Thüringer HC
Allen Widrigkeiten zum Trotz sorgt die Sport-Union gegen den Thüringer HC für die größte Überraschung der laufenden Bundesliga-Saison.

Rational zu erklären war das alles, das große Ganze am Samstagabend, irgendwie nicht. Manches irgendwie schon, anderes aber dann doch wieder nicht. Auf dem Papier und der Anzeigetafel in der Ballei stand jedenfalls ein 29:26 (12:11)-Erfolg der Sport-Union Neckarsulm. Eingefahren am 15. Bundesliga-Spieltag gegen den hochfavorisierten Thüringer HC.
Das Zustandekommen des Neckarsulmer Sieges gegen den Tabellenzweiten und Europapokal-Teilnehmer war noch am einfachsten zu erklären. Gäste-Trainer Herbert Müller tat es nach dem Spiel recht treffend: „Es war eine herausragende kämpferische Leistung von Neckarsulm. Sie waren über die gesamten 60 Minuten das dominierende, aggressivere Team, das intensiv und mit Herz gespielt hat.“
Angunn Gudmestad belohnt sich für ihren Arbeitsaufwand
Wer jedoch die gespenstische Darbietung der Mannschaft von Trainer Thomas Zeitz eine Woche zuvor bei der 23:36-Niederlage in Buxtehude gesehen hatte, der konnte sich einfach nicht erklären, wie am Samstag dieselben Spielerinnen in beinahe derselben Konstellation mit dem gleichen Trainer(-Team) einer Spitzenmannschaft wie dem THC das eigene Spiel aufzwingen und bei zu erwartender Gegenwehr gedankenschnell reagieren konnten.
„Wir haben diese Punkte so sehr gebraucht.“
Angunn Gudmestad
„Es ist schwierig zu beschreiben, aber wir haben diese Punkte so sehr gebraucht“, stellte hinterher auch Angunn Gudmestad fest. „Es ist fantastisch, dass wir es geschafft und dabei als Team so gut zusammengespielt haben.“ Der Norwegerin mit dem harten Wurf und der unerschrockenen Zweikampfführung hatte man als neutraler Zuschauer ein solches Spiel seit Wochen gewünscht: Endlich zahlte sich das kräftezehrende Spiel der 23-Jährigen aus, endlich wurde aus gut gedacht auch gut gemacht.
Dass Gudmestad mit ihren sechs Toren, der Großteil davon in der spielentscheidenden Schlussphase, noch nicht einmal die beste Neckarsulmer Torschützen war, belegte den mannschaftlich geschlossen guten Auftritt der Gastgeberinnen.
Improvisierte Abwehr macht einen blitzsauberen Job
„Ich hoffe so sehr, dass sich das in den Köpfen festsetzt“, sagte Thomas Zeitz in einer Melange aus Freude, Stolz, Erleichterung und Genugtuung. Der 51-Jährige hatte trotz einer dünn besetzten Bank wenig gewechselt, aber die richtigen taktischen Entscheidungen getroffen.

Dem Abwehrzentrum, in dem ohne die verletzten Kim Hinkelmann, Stefanie Kaiser und Veronika Andrysková andere Spielerinnen in wechselnden Zusammensetzungen einspringen mussten, attestierte Zeitz eine „bockstarke Leistung. Das war brutal.“ Gudmestad, Sinah Hagen, Munia Smits, Lilli Holste und Annefleur Bruggeman machten dort einen blitzsauberen Job, rückten aggressiv heraus und verschoben im Kollektiv umsichtig. Allein fünf abgefangene Bälle waren der Lohn dafür.
Das blieb mit kühlem Kopf auch so, als nach der Vier-Tore-Führung (11:7, 22. Minute) in Hälfte eins, zu der Torhüterin Lena Ivancok zwei Treffer ins verwaiste Thüringer Tor beigesteuert hatte, in Minute 40 ein 16:18-Rückstand zu verdauen war. Thomas Zeitz erkannte die Situation jedoch, mahnte in einer Auszeit zu mehr Ruhe und stellte die Abwehr noch einmal um.
Munia Smits gibt in der Schlussphase die Richtung vor
Die Sport-Union übernahm anschließend wieder Ruder und Führung, lag in den zehn Schlussminuten zeitweise mit drei Toren vorne, bevor Natsuki Aizawa für den THC drei Minuten vor Schluss doch noch auf 26:27 verkürzte. Doch anders als in so vielen vorangegangenen Partien hatten die Gastgeberinnen am Samstag keine Angst vor ihrer eigenen Courage.
„Wir haben die Zeit. Spielt es schön runter, und dann sind das unsere zwei Punkte“, trichterte Munia Smits ihren Teamkolleginnen in der Schlussminute energisch ein. Gesagt, getan: Sinah Hagen traf freistehend vom Kreis, Angunn Gudmestad setzte wuchtig den Schlusspunkt und Johanna Fossum parierte einen Siebenmeter von Johanna Reichert, so dass die größte Überraschung der bisherigen Bundesliga-Saison zur Gewissheit wurde. Doch warum so unterirdisch in Buxtehude und so selbstbewusst gegen den Thüringer HC? „Das lässt sich nicht erklären“, sagte Thomas Zeitz.
Sport-Union Neckarsulm: Ivancok (2 Tore/12 Paraden); Fossum (2 Paraden), Orowicz – Gkatziou (7/3), Gudmestad (6), Holste, Bruggeman (2), Smits (7), Riner (1); Hagen (4), Holtman, van der Linden, Pollakowski.
Erfolgreichste Werferinnen Thüringer HC: Johanna Reichert (8/3), Natsuki Aizawa (5/1).
Schiedsrichter: Julian Köppl/Denis Regner.
Siebenmeter: Sport-Union Neckarsulm: 3/3; Thüringer HC: 4/7.
Zeitstrafen: 2/7.
Disqualifikation: Josefine Hanfland (Thüringer HC/59.).
Zuschauer: 921.
Eine Seltenheit und eine Premiere
Ein Blick in die Neckarsulmer Vereinschronik unterstreicht, wie außergewöhnlich der Erfolg am Samstagabend gegen den Thüringer HC gewesen ist. Für die Sport-Union war es in ihrer neunten Bundesliga-Saison erst der zweite Sieg überhaupt gegen das Team aus Erfurt und Bad Langensalza. Zuvor stand einzig ein 38:32-Heimsieg aus dem Januar 2021 zu Buche.
Zudem gewannen die Neckarsulmerinnen zum ersten Mal in ihrer Bundesliga-Geschichte (in der Rückrunde) gegen einen Tabellenzweiten. Bislang war ein 26:23 am letzten Spieltag der Debüt-Saison 2016/2017 gegen den Tabellendritten TuS Metzingen das höchste der Gefühle gewesen.
„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, aber wenn der Glaube da ist und der Wille aufgrund von Unsicherheit nicht verloren geht, dann kann es so aussehen“, sagte Thomas Zeitz, im Nebenjob Ornithologe.