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Noch fehlen der Sport-Union Neckarsulm die Nachwuchs-Satelliten

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Mit klarem Fokus auf den weiblichen Leistungssport stellt die Sport-Union Neckarsulm ihre Handball-Abteilung neu auf. Gernot Drossel ist der neue starke Mann hinter dem Projekt.

Mit Eigengewächsen wie Rebecca Schäfer (rechts) soll die zweite Mannschaft der Neckarsulmer Frauen in naher Zukunft in der 3. Liga spielen.
Mit Eigengewächsen wie Rebecca Schäfer (rechts) soll die zweite Mannschaft der Neckarsulmer Frauen in naher Zukunft in der 3. Liga spielen.  Foto: Berger, Mario

Zuallererst hatte Gernot Drossel im vergangenen Sommer einen Blick in die Bücher geworfen und schnell festgestellt: Bevor die Arbeit in der Praxis richtig beginnen kann, müssen erst einmal im Hintergrund die Vorarbeiten geleistet werden. Die sind inzwischen soweit abgeschlossen, dass er für die Abteilung nun erste Einblicke geben kann, in das was ist und was perspektivisch werden soll im Neckarsulmer Handball.

Rolf Härdtner, Vorstandsvorsitzender der Sport-Union Neckarsulm, und deren Bundesliga-Trainer Thomas Zeitz haben Drossel mit an Bord geholt, um eine komplette Neustrukturierung der gesamten Handball-Abteilung zu koordinieren und den Prozess mit seiner Expertise zu begleiten. Um nichts weniger als das geht es. Einen Neustart.

Sport-Union will seine künftigen Bundesliga-Spielerinnen selbst ausbilden 

Das Fernziel ist klar umrissen: in fünf bis zehn Jahren will die Sport-Union selbst Bundesliga-Spielerinnen ausbilden. Qualität und Quantität lassen sich dabei freilich nicht exakt bestimmen, doch die bis dahin geschaffenen Voraussetzungen sollen die Chancen erhöhen, wieder Eigengewächse auf Erstliga-Niveau auszubilden. Das sorgt für Identifikation - und spart Geld, weil nicht extern zugekauft werden muss. Bei GC Amicitia Zürich in der Schweiz hat sich Drossel über zehn Jahre mit seiner Jugendarbeit und als (Nachwuchs-)Trainer einen exzellenten Ruf erarbeitet. Einen ähnlichen Erfolg erhoffen sich die Macher in Neckarsulm ebenfalls.

Der Weg dahin ist und wird allerdings steinig. Das hat Gernot Drossel in seinen ersten Monaten in Neckarsulm bereits festgestellt. Seit Spätsommer 2024 sitzt er als „Koordinator Handball“ mit im Neckarsulmer Boot. Weil dieses (Handball-)Boot nicht nur vom Kurs abzukommen drohte, sondern in den vergangenen Jahren auch regelmäßig Leck schlug, so dass Privatpersonen es von außen flicken mussten, um es über Wasser zu halten, hat Drossel seit seinem Amtsantritt in viele Ecken geschaut und an noch mehr Türen geklopft. Viele, das gibt er zu, sind bislang noch verschlossen geblieben. Auch abteilungsintern ist er angeeckt und hat sich mit seinen Vorschlägen und Umstrukturierungsmaßnahmen nicht überall Freunde gemacht. Doch, so die Überzeugung im Vorstand, anders geht es nicht mehr.

Der Raumstation Sport-Union fehlen bislang noch die Satelliten-Vereine 

Gernot Drossels Idee ist grundsätzlich simpel: Man stelle sich die Sport-Union Neckarsulm als Raumstation im Orbit vor. Diese ist, mit einem entsprechenden Budget ausgestattet, Anlaufpunkt für an Leistungssport interessierte Nachwuchs-Spielerinnen aus der Region. Es gibt qualifizierte Trainer, mindestens drei bis vier Übungseinheiten pro Woche, Individualförderung, Mitspielerinnen auf ähnlich hohem Niveau und die Perspektive auf hochklassigen Sport im Aktiven-Bereich.

Nun, so ist es Drossels Ziel, möchte er die Sport-Union mit einem halben Dutzend „Satelliten-Vereinen“ aus der Region vernetzen. Diese sollen ihre talentiertesten Spielerinnen ab der C-Jugend nach Neckarsulm schicken, damit sie dort unter Leistungssport-Bedingungen optimal gefördert werden können. Wer es leistungsmäßig nicht schafft oder lieber breitensportlich aktiv sein möchte, könne wiederum den umgekehrten Weg gehen. So bekämen die kleineren Vereine gut ausgebildete Breitensportler, während die Top-Talente auf angemessenem Niveau gefördert werden könnten.


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Zweiteilung nach Geschlechtern in Leistungs- und Breitensport-Teams 

Das neue Neckarsulmer Handball-Konzept sieht bis zur C-Jugend eine Zweiteilung zwischen Leistungs- und Breitensport-Teams vor. In B- und A-Jugend soll es bei der Sport-Union dann nur noch leistungsorientierten Handball geben. „Anders wird es finanziell und wegen der Hallenkapazitäten nicht möglich sein“, sagt Drossel. Aus denselben Gründen ist das Konzept auch nur auf den weiblichen Bereich begrenzt. Bei den Teams der Jungen und Männer wird der Breitensport dominieren. „Wir werden aber auch da keine Mannschaft bremsen, wenn sie aufsteigt oder sich für eine höhere Liga qualifiziert“, sagt Drossel. Nur eine spezielle Extra-Förderung gebe es dafür oder danach nicht.

In Zürich hat Drossels „Schweizer Modell“ zu landesweit beachtetem Erfolg geführt. Mehr als ein halbes Dutzend der aktuellen Schweizer Nationalspielerinnen hat die Talentschule der Grashoppers durchlaufen, in der der 53-jährige gelernte Industriekaufmann Strukturen aufgebaut, Trainer eingestellt und Konzepte entwickelt hat. 

Voller Fokus auf den Leistungssport ab der C-Jugend

In Neckarsulm hat er als Trainer der C-Juniorinnen das Pensum von zwei auf vier Einheiten in der Woche erhöht, die jetzige D-Jugend sei dann der erste Jahrgang, der von Anfang an unter Leistungssport-Bedingungen trainiert, sagt Drossel. Dass die ersten Mannschaften der jeweiligen Altersstufen überregional spielen, sei das Ziel. Ob das bei der A- oder B-Jugend auch die Bundesliga sein muss, darauf will sich der „Koordinator Handball“ noch nicht festlegen. Es gelte auch hier abzuwägen, ob die dafür entstehenden Kosten von 50.000 bis 75.000 Euro pro Saison einen entsprechenden Mehrwert gegenüber der Regionalliga als zweithöchster Spielklasse bieten würden.

Um den Spielerinnen eine Perspektive bieten zu können, sollte der zweiten Mannschaft außerdem mittelfristig der Sprung in die 3. Liga gelingen. „Denn direkt aus der A-Jugend in die Bundesliga schaffen es 98 Prozent der Spielerinnen nicht“, weiß Drossel. Dieses Drittliga-Team soll sich dann idealerweise zu einem großen Teil aus selbst ausgebildeten Spielerinnen zusammensetzen. Die Neustrukturierung ist hier bereits in vollem Gange.

Drossel bemängelt fehlende Zusammenarbeit der Vereine in der Region 

Von „feindlichen Übernahmen“ fremder Spielerinnen hält Drossel allerdings gar nichts. Im Gegenteil. Auf den Kontakt über die Eltern oder mit der Spielerin folge stets ein fairer, offener Austausch mit dem Heimatverein, um die beste Lösung für alle Beteiligten zu finden. Bislang hat sich allerdings noch kein „Satelliten-Verein“ an die große Raumstation Sport-Union angedockt. „Eine Zusammenarbeit von Vereinen in der Region findet in der Region nicht statt“, hat Drossel festgestellt. „Jeder guckt stattdessen in seinen Garten und nimmt dem anderen noch die größten Mohrrüben weg.“

Einige gute Kontakte seien zwar schon geknüpft worden, doch andere Anfragen ebenso unbeantwortet geblieben. „Ich weiß, dass es Vereinen und Trainern nicht leichtfällt, ihre besten Spielerinnen abzugeben“, doch nur wenn die Besten mit den Besten zusammen unter besten Bedingungen und der Anleitung von Top-Trainern trainieren könnten, könne sich Talent entfalten und gefördert werden. Ist das Projekt mit geförderten Spielerinnen und hinzugeholten Trainern aber erst einmal richtig angelaufen und sind dann erste Erfolge sichtbar, werde sich auch eine Art Schneeball-Effekt einstellen, ist Drossel überzeugt.


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Das zweite Standbein zur Nachwuchsgewinnung sind Arbeitsgemeinschaften an Neckarsulmer (Grund-)Schulen, mit dem die jüngsten Altersklassen an den Handball und die Sport-Union herangeführt werden sollen. Diese sollen in nächster Zeit noch ausgebaut werden. Hier sei die Resonanz, etwa beim Pilot-Projekt in Amorbach, hervorragend, sagt Drossel. Auch ein leistungssportorientierteres Angebot für Achtklässler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums soll ausgebaut werden.

Budget der Neckarsulmer Handball-Abteilung ist umverteilt worden 

Das Stellen unbequemer Fragen und der neutrale Blick auf den Ist-Zustand haben der Sport-Union in der Vergangenheit gefehlt. Drossel tut genau das. Es gelte, Gelder zu akquirieren, das bestehende Abteilungs-Budget von rund 200.000 Euro sinnvoller einzusetzen und Haupt- und Ehrenamt ebenso wie Abteilung und Bundesliga-Team besser miteinander zu vernetzen. „Denn am Ende finanziert das Bundesliga-Team die Jugend und Abteilung quer“, wie Drossel sagt. Auch die Männer- und Frauen-Mannschaften bei den Aktiven mussten jeweils 20 Prozent ihrer Personalkosten einsparen, um die Gelder dem Nachwuchs zukommen lassen zu können.

Die Aufkündigung der JSG Neckar-Kocher, der Jugendkooperation von Sport-Union, TSV Degmarn und SpVgg Oedheim, war eine weitere von Drossels Amtshandlungen: zu viel Breite, zu wenig Spitze und vor allem zu ungleiche Aufgaben- und Kostenverteilungen. Die Maßnahme sorgte freilich nicht überall für Begeisterung. „Aber was ist die Alternative?“, fragt Drossel und verweist auf den überschaubaren Erfolg, den die Kooperation in den vergangen Jahren gebracht hat: Die Zahl der von der JSG ausgebildeten Erst- und Zweitliga-Spielerinnen ist gering, für das neue Projekt sei ein „Weiter so“ daher nicht sinnvoll gewesen. Denn wer Top-Spieler wolle, brauche auch Top-Bedingungen: „Du musst die besten Trainer in der Halle haben, nur dann funktioniert es. Wenn du Trainer-Qualität in die Halle stellst, macht sich das immer bemerkbar.“

Große Sprünge sind bei den Sport-Union-Handballern derzeit nicht möglich 

Weil die aber gefunden und bezahlt werden muss, haben Drossel und Abteilungsleiter Christian Saup den Rotstift angesetzt, Gelder umgeschichtet und nicht zuletzt - Ende des vergangenen Jahres von den insgesamt rund 400 Aktiven und Inaktiven Mitgliedern kontrovers diskutiert - den Abteilungsbeitrag um 100 Prozent angehoben. „Das klingt erst einmal viel, aber der Betrag war vorher mehr als sieben Jahre lang gleich geblieben, während die Preise seitdem überall gestiegen sind. Wir brauchen ein nachhaltiges Finanzsystem und können uns nicht darauf verlassen, dass Privatiers immer wieder eventuelle Lücken stopfen“, sagt Drossel.

Spieler-Patronate und ein jährliches Vereins-Event mit Sponsorenlauf am Pichterich sollen weitere Finanzmittel generieren und die Abteilung zusammenwachsen lassen. Saup und Drossel stehen der Handball-Abteilung nun gleichberechtigt vor, wobei Saup vor allem organisatorische und planerische Aspekte und Drossel sportliche Belange abdeckt.


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Inzwischen sei man mit einem ausgeglichenen und sinnvoll verteilten Budget so weit, dass die nächsten Schritte angegangen werden könnten - „ohne dabei aber gleich große Sprünge machen zu können“, wie Gernot Drossel betont. Der 53-Jährige ist ein Pragmatiker. Was dem (neuen) großen Ziel nicht dienlich ist, muss überdacht und gegebenenfalls geändert, gekürzt oder gestrichen werden. Der Verein und die Abteilung können es sich anders schlicht nicht mehr leisten. Zu lange, so wirkt es von außen, sind auf vielen Ebenen viele Suppen gekocht worden. Genießbar waren alle, doch für ein Sternegericht braucht es nun einmal mehr.

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