Deutschland-Tour-Chef Fabian Wegmann: "Weniger Bürokratie wäre schön"
Fabian Wegmann blickt im Stimme-Interview auf die bevorstehende Lidl-Deutschland-Tour, die wachsende Radsportbegeisterung in Deutschland und die manchmal hohen Hürden für die Organisation eines Radrennens.

Fabian Wegmann hat bereits einen intensiven Radsport-Sommer hinter sich. Als TV-Experte der ARD begleitete der 44-Jährige die Tour de France und die olympischen Straßenrennen in Paris. Die Deutschland-Tour wird in diesem Jahr im ARD sein Kollege Michael Antwerpes moderieren. Fabian Wegmann selbst wird ab Mittwoch als Sportlicher Leiter der Lidl-Deutschland-Tour gefordert sein.
Fabian Wegmann im Interview: Deutschland-Tour-Chef nennt Favoriten für Deutschland größtes Etappenrennen
Im Stimme-Gespräch äußert sich der Münsteraner zur steigenden Radsportbegeisterung in Deutschland, behördlichen Hürden für die Organisation von Radrennen und seinem Favoriten für das größte Etappenrennen in Deutschland.
Herr Wegmann, ich erwische Sie gerade im Kurzurlaub in Kärnten. Haben Sie als Sportlicher Leiter kurz vor dem Start der Deutschland Tour überhaupt die Zeit für eine Verschnaufpause?
Fabian Wegmann: Das war das einzig mögliche Zeitfenster in diesem Sommer. Meine Hauptarbeit ist bereits getan, organisatorischen Angelegenheiten und Anfragen der Teams oder der Presse kann ich nebenbei telefonisch nachkommen.
Worin besteht die Hauptarbeit des Sportlichen Leiters?
Wegmann: Gemeinsam mit unserem Streckenverantwortlichen Albrecht Röder die Etappen zu planen. Wenn fix ist, welche Städte Start- und Zielorte sind, geht es darum, die Strecken sportlich interessant, attraktiv und vor allem sicher miteinander zu verbinden. Wir können natürlich nicht immer fahren, wo wir gerne entlangfahren würden. Jede Etappe soll aber so weit wie möglich einem Klassiker* entsprechen. Damit wollen wir die Fahrer ansprechen, die sich jetzt gezielt auf die Weltmeisterschaft Ende September in Zürich vorbereiten.
Wie sieht das konkret aus? Fahren Sie die Strecken ab, nutzen Sie Online-Kartenanbieter oder kennen Sie einfach jede Straße in Deutschland?
Wegmann: Ja, beinahe (lacht). Wenn ich Gebiete nicht kenne, dann kenne ich bestimmt jemanden, der in der Ecke wohnt und Rad fährt. Da arbeiten wir tatsächlich mit Vereinen oder Ex-Profis vor Ort zusammen. Natürlich nutzen wir Online-Tools, wir fahren aber auch tatsächlich an Ort und Stelle, um uns die Strecken anzuschauen. Das geschieht meist bereits im Winter, daher machen wir das in der Regel mit dem Auto.
Was ist Ihnen von der Streckenbesichtigung rund um Heilbronn im Gedächtnis geblieben?
Wegmann: Der Anstieg zum Jägerhaus. Das wird ein kleiner Scharfrichter kurz vorm Ziel sein. Vielleicht kann sich da ein Fahrer oder eine Ausreißergruppe absetzen. Zudem ist die Stelle prädestiniert für viele Zuschauer.
Apropos Zuschauer. Die Radsportbegeisterung in Deutschland scheint wieder zu wachsen, gute TV-Quoten und viele deutsche Fans etwa bei der Tour de France sprechen dafür.
Wegmann: Absolut. Dabei haben wir in Deutschland aktuell gar keine Fahrer, die etwa um den Tour-Sieg mitfahren können.
BDR-Sportdirektor Patrick Moster hat nach Olympia mehr Großereignisse in Deutschland gefordert, wie etwa eine Weltmeisterschaft.
Wegmann: Natürlich würde eine WM in Deutschland das Interesse schüren. Doch entscheidend ist eine nachhaltige Förderung, wie sie die Briten beispielhaft im Vorfeld der Olympischen Spiele 2012 in London betrieben haben. Dadurch haben sie eine ganze Reihe Spitzenfahrer entwickelt.
Wo hakt es im deutschen Fördersystem?
Wegmann: Die starken Sportarten werden gestärkt, die anderen finanziell kaum unterstützt. Es ist bitter, dass etwa der Radsport mehr Förderung erhalten hätte, wenn Maximilian Schachmann beim olympischen Zeitfahren unter die Top acht gefahren wäre. Er ist allerdings Neunter geworden. Das handhaben andere Länder nicht so willkürlich.
Neben dem fehlenden Großereignis sind auch viele kleinere Rennen in Deutschland eingestellt worden.
Wegmann: Die behördlichen Auflagen sind oft sehr unterschiedlich. Wir haben für die Deutschland-Tour mit der A.S.O. (Amaury Sport Organisation, die unter anderem die Tour de France veranstaltet, Anm. d. Red.) echte Profis auf diesem Gebiet hinter uns. Der Aufwand für ein Amateur- oder Nachwuchsrennen ist aber nicht geringer. Es wäre schon schön, wenn es unbürokratischer und einfacher ginge, ein Radrennen zu organisieren. Oft müssen Straßen ja nur für eine halbe Stunde gesperrt werden. In Frankreich übernimmt das komplett die Polizei, während in Deutschland Streckenposten gefunden werden müssen. Ich habe aber den Eindruck, dass auch behördlicherseits die Akzeptanz wieder wächst.
Wie wichtig war der Einstieg eines Unternehmens wie Lidl für die Deutschland Tour?
Wegmann: Das ist großartig für den Radsport. Wir waren schon länger auf der Suche nach einem Hauptsponsor. Das ist ähnlich wie der Einstieg von Red Bull beim deutschen Team Bora-hansgrohe ein wichtiges Zeichen, auch an weitere Unternehmen.
Gerade läuft ja die Tour de France der Frauen. Wird es auch mal eine Deutschland Tour der Frauen geben?
Wegmann: Das ist Zukunftsmusik. Mit unserer Newcomer-Tour für U17-Juniorinnen haben wir einen Anfang gemacht. Entscheidend ist, dass auch hierfür Geldgeber gefunden werden und eine Frauen-Tour nicht im Rahmenprogramm des Männerrennens stattfindet.
Wer ist Ihr Favorit auf den Tour-Sieg?
Wegmann: Filippo Ganna ist sehr motiviert, wie ich weiß. Da ist nur die Frage, ob er über die Berge kommt. Das Aufgebot von Lidl-Trek ist sehr stark. Die sind für mich der absolute Favorit.
Abschließend: Werden Sie auch als Sportlicher Leiter für die ARD aus dem Auto heraus kommentieren?
Wegmann (lacht): Nein, das auf keinen Fall. Florian Naß muss das wohl mal alleine hinbekommen.
Zur Person: Der 44-jährige Münsteraner Fabian Wegmann begann seine Profikarriere 2002 beim Team Gerolsteiner. 2004 gewann er als erster Deutscher die Bergwertung des Giro d'Italia, wurde zudem dreimal deutscher Meister auf der Straße. 2016 beendete Wegmann seine aktive Karriere und wurde unter anderem Radsport-Experte bei der ARD. Seit 2018 ist er Sportlicher Leiter der Deutschland Tour und weiterer Rennen wie etwa Eschborn-Frankfurt. Wegmann ist verheiratet mit Johanna und hat zwei Kinder.



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