"Schimpfen über den Schiri gehört dazu"
Die Schiedsrichter-Obmänner Marco Gegner und Sascha Wirth berichten nach Streik-Aktion gegen drei Clubs über Lob für ihren klaren Schritt und die harte Kante. Enttäuscht sind sie allerdings vom Verband.

Nach drei extremen Vorfällen in den zurückliegenden Wochen, in denen Schiedsrichter beleidigt, als Nazi beschimpft oder körperlich angegangen wurden, war für die Schiedsrichter-Obmänner der Unterland-Gruppen Kocher/Jagst und Heilbronn, Sascha Wirth und Marco Gegner, eine rote Linie überschritten. Die aktiven Mannschaften der Vereine TGV Eintracht Beilstein, Blau-Weiß Heilbronn und 1. FC Lauffen, aus deren Kreis Spieler für die Eskalationen verantwortlich waren, die zu zwei Spielabbrüchen und einem Polizeieinsatz geführt hatten, werden von den Schiedsrichtern bestreikt. Deren Spiele werden bis Jahresende nicht mehr mit Unparteiischen besetzt, müssen abgesagt und 2022 nachgeholt werden. Die Sportredaktion hat bei den Schiedsrichter-Obmännern nachgefragt.
Wie haben die drei Vereine auf den Bann reagiert?
Marco Gegner: Seitens des 1. FC Lauffen II ist mir bis heute nur das Statement aus der Presse bekannt. Hier werden die Vorfälle bagatellisiert und behauptet, der Spielabbruch sei überzogen gewesen. Auch wird das Jagen des Schiedsrichters in die Kabine als leichte Rangelei abgetan. Die Verantwortlichen von Blau-Weiß Heilbronn haben sich auch in der Presse geäußert und finden die Aktion überzogen. Weiter kann man sagen, dass die Vereine grundsätzlich gegen Gewalt und Diskriminierung stehen, jedoch überrascht über die Konsequenzen sind.
Gab es weitere Reaktionen?

Sascha Wirth: Uns erreichte eine Welle positiver Rückmeldungen. Viele Funktionäre aber auch passive Mitglieder aus Fußballvereinen meldeten sich bei uns und lobten uns für den klaren Schritt und die harte Kante. Über die Social-Media-Kanäle wird insbesondere die von den Heilbronner Kollegen gestartete "Respekt-Kampagne" bundesweit geteilt und findet enorme Aufmerksamkeit und Beteiligung. Es haben sich Bundesliga-Schiedsrichter wie auch ehemalige ranghohe Politiker des Landes Baden-Württemberg solidarisch gezeigt und Unterstützung zugesagt.
Gibt es Rückmeldungen von den Schiedsrichtern, die am Wochenende im Einsatz waren?
Gegner: So gut wie alle Schiedsrichter ziehen ein positives Fazit. Aus deren Sicht war es längst Zeit, ein klares Zeichen zu setzen. Sie sehen jedes Wochenende, wie es auf den Sportplätzen zugeht. Bei den Spielen war das natürlich das Gesprächsthema. Die Mehrzahl der Vereine findet die Aktion nachvollziehbar und auch gerechtfertigt.
Ist ein Schiedsrichterstreik sportrechtlich abgesichert? Ein Verein wird in der Regel bestraft, wenn zu einem Spiel nicht angetreten wird.
Wirth: Grundsätzlich ist es so, dass kein Schiedsrichter und keine Schiedsrichterin verpflichtet ist, einen Spielauftrag anzunehmen. Es ist also eine andere Situation, als bei einem Verein, der sich vor der Saison zum Spielbetrieb anmeldet und sich einem Spielplan unterwirft. Damit ist auch klar: Hält ein Team sich nicht daran, dass es notfalls mit Bußgeld und dem Verlust der Punkte wegen Nichtantritts bestraft wird. Wenn mir aber ein Schiri sagt, er gehe zu einem Spiel nicht hin - aus welchen Gründen auch immer - dann muss er das nicht. Das basiert auf Freiwilligkeit. Wenn also, wie im jetzt konkreten Fall, die Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen sich dagegen entscheidet, die Spiele der beteiligten Mannschaften zu leiten, ist das zu respektieren und eine freie Entscheidung jedes Einzelnen.
Gab es trotzdem Schiedsrichter, die eine Begegnung dieser drei bestreikten Vereine geleitet hätten?
Wirth: Ich will gar nicht verhehlen, dass der eine oder andere mit dem dazugehörigen Unterton sofort gesagt hat, dass er selbstverständlich eine solche Spielleitung übernommen hätte. Getreu dem Motto: Dann schicken wir da schon mal den Richtigen hin. Die Frage ist jedoch, ob den Vereinen mit diesen Ansetzungen gedient gewesen wäre.
Vom Württembergischen Fußballverband gab es keine Stellungnahme, lediglich der Verbands-Schiedsrichter-Obmann wandte sich mit einem offenen Brief an die Vereine. Eine klare Rückendeckung ist das nicht.
Gegner: Hier zeigen sich viele meiner Schiedsrichter enttäuscht. Außer der Duldung unserer Aktion und einem kleinen Instagram-Post kam keine offizielle Aussage des WFV. Bei solch einer Häufung von Gewaltvorfällen in Verbindung mit unserer, in dieser Form noch nie dagewesenen Maßnahme, haben sich viele meiner Schiedsrichter den Rückhalt vom WFV-Präsidium erhofft. Dieser ist bis heute leider ausgeblieben.
Wie groß ist die Befürchtung, dass nach den zurückliegenden Vorfällen der eine oder andere Schiedsrichter jetzt die Pfeife an den Nagel hängt?
Wirth: Die Befürchtung ist natürlich da. Insbesondere im Hinblick auf die betroffenen Kollegen, die teilweise noch immer unter den traumatischen Folgen leiden und das Erlebte nicht verarbeitet haben. Man muss auch festhalten, dass derlei Vorfälle nicht förderlich für die Nachwuchsgewinnung sind. Welcher normal und vernünftig denkende Elternteil würde angesichts der aktuellen Situation seinem Kind ernsthaft empfehlen, sich zum Schiedsrichter oder zur Schiedsrichterin ausbilden zu lassen, wenn er Angst haben muss, dass der Sohn oder die Tochter nachher körperlich angegangen wird?

Schwarze Schafe gibt es auch unter den Schiedsrichtern. Wie können Vereine gegen Unparteiische vorgehen, die auffällig werden, von denen sie sich klar benachteiligt fühlen?
Gegner: Man muss hier differenzieren. Ich erlebe es fast in jedem Spiel, dass sich eines der beiden Teams benachteiligt fühlt. Nicht automatisch hat das einen Machtmissbrauch des Schiedsrichters zur Folge. Sollte jedoch beiden Teams ein offensichtlicher Machtmissbrauch auffallen, haben sie jederzeit die Möglichkeit, dies an den entsprechenden Obmann oder auch an das Sportgericht zu melden.
Oftmals werden Schiedsrichter für scheinbar arrogantes und überhebliches Auftreten gerügt.
Gegner: Aus meiner Sicht ist das auch eine Folge der Umstände, in denen sich die Schiedsrichter bewegen. Wir benötigen ein dickes Fell. Leider muss der Ton auch immer wieder streng sein, sonst beachten uns die Spieler nicht. Gegen Unsportlichkeiten gehen wir streng vor. Bei dem einen oder anderen kann dies dann als arrogant oder überheblich ankommen. Wer aber mit uns nach dem Spiel in ein normales Gespräch geht, merkt schnell, dass wir sehr angenehme Zeitgenossen sind.
Haben Vereine die Möglichkeit, einen Schiedsrichter abzulehnen?
Wirth: Die Möglichkeit, eine Ansetzung abzulehnen, besteht für Vereine grundsätzlich nicht. Allerdings ist es auch so, dass wir vermeiden einen Schiedsrichter zu einem Spiel einzuteilen, mit dem es in der Vergangenheit zu negativen Vorkommnissen mit oder bei einem der beteiligten Vereine gekommen ist. Voraussetzung ist, dass wir davon Kenntnis haben. Deshalb hier mein klarer Appell, dass von Vereinsseite der Dialog gesucht wird und wir informiert werden, hat es problematische Situationen gegeben. Wenn ein Verein ein ungutes Gefühl hat, kann und soll er sogar auf uns zukommen, dann schauen wir uns das an und prüfen, ob eine Umbesetzung notwendig ist.
Es gibt auch Zuschauer, die durch verbale Entgleisungen auffallen. Hat der Schiedsrichter das Recht, diese Personen vom Sportgelände zu verweisen?
Wirth: Im Innenraum des Sportgeländes - Spielfeld bis Barriere - werden Zuschauer grundsätzlich nicht geduldet. Der Schiri hat diesen Innenraum freizuräumen und insoweit auch ein Weisungsrecht. Außerhalb dieses Innenraums dürfen Zuschauer aber schon auffallen. Gerne auch lautstark. Denn, auch das Schimpfen über den Schiri gehört dazu. Wenn keiner mehr schimpft, ist das auch nix. Emotionen gehören zu diesem Sport und machen den Reiz auch für uns Schiedsrichter aus. Nicht dazu gehören allerdings Hass-Eskapaden oder ein Dauergrölen mit eingeflochtenen Beleidigungen. Es gibt Grenzen und wenn jemand diese überschreitet, der sich von der Masse klar trennen und identifizieren lässt, kann durchaus der Heimverein über die Platzordner dazu veranlasst werden, den betreffenden Zuschauer zu entfernen.
Zu den Personen
Sascha Wirth: Der verheiratete Rechtsanwalt und Obmann der Schiedsrichtergruppe Kocher/Jagst wohnt in Möckmühl und ist seit 1994 Schiedsrichter. Der 41-Jährige ist Mitglied des TSV Viktoria Stein.
Marco Gegner: Der 27-jährige Bankbetriebswirt aus Weinsberg leitet seit 2009 Spiele, ist verheiratet und Mitglied des TSV Weinsberg. Gegner ist Obmann der Gruppe Heilbronn und Bezirksschiedsrichterobmann im Fußballbezirk Unterland.