Der Sehnsuchtsort Wald liegt im Sterben
Der Hohenloher Wald sieht nur auf den ersten Blick gesund aus. Die Buchen sind aber ebenso dem Tode geweiht, wie die Fichten im Schwarzwald. Unterwegs mit Forstamtsleiter Roland Hartz und begleitet von der Lyrik über einen mystischen Ort, der trotz allem überleben wird.
Selbst wer in diesen Tagen aufmerksam durch die heimischen Wälder läuft, dem wird der langsame Tod vieler Bäume vermutlich entgehen. Ob im Zabergäu, im Unterland, im Kraichgau oder in Hohenlohe - auf den ersten Blick sind die Wälder immer noch jener mythische Sehnsuchtsort, als den sie Generationen deutscher Dichter beschrieben haben.
O Täler weit, o Höhen,O schöner, grüner Wald,Du meiner Lust und WehenAndächtger Aufenthalt!
Joseph von Eichendorff
Wer rund um Zweiflingen durch den Hohenloher Wald marschiert wird Joseph von Eichendorff zustimmen. Der Blick schweift von einer Anhöhe aus über das Alte Forsthaus Heiligenhaus, hinüber ins grüne Tal, wo sich versteckt unter den Bäumen Sall und Roßbach treffen. "Alles was Sie hier sehen, stirbt einen langsamen, lautlosen Tod." Die dystopischen Worte von Roland Hartz passen nicht zur idyllischen Umgebung.
Hier liegen keine umgestürzten Bäume, hier stehen keine vom Borkenkäfer zerfressenen Fichten, hier sind keine Brachflächen zu sehen, die einmal Wald waren. "Die Schäden im Schwarzwald oder im Harz sind offensichtlicher. Aber hier im Hohenlohekreis ist die Situation nicht weniger dramatisch", sagt der 48-jährige Forstamtsleiter. Herausgerissen aus der Eichendorffschen Andacht, mit geschärftem Blick fällt auf: Viele Baumwipfel sind braun. "Hier stirbt unser Brot- und Butterbaum: die Buche. Im Gegensatz zur Fichte ist sie hier heimisch, die natürliche Baumart dieser Region", sagt Hartz.
Das Bächlein zieht und rieselt, kaum zu hören,Das Tal hinab, und seine Wellen gleiten.
Nikolaus Lenau
Gar nicht zu hören, trifft es eher, lieber Nikolaus Lenau. Im Bachbett der eben erwähnten Sall holt sich niemand nasse Füße. Hier gleiten keine Wellen, hier zieht und rieselt gar nichts.
"Durch das dritte Trockenjahr in Folge ist der Bach - wie schon im Vorjahr - trockengefallen. Die wenigen Niederschläge versickern einfach im Kalkgestein", erklärt Hartz.
O kühler WaldWo rauschest Du?
Clemens Brentano
Das fragte Clemens Brentano. Statt rauschen ist aktuell aber eher brechen angesagt. "Die Äste in den Kronen sind nahezu alle von Fäulnispilzen befallen, die die Cellulose zersetzen. Die ist für die Stabilität und Flexibilität des Holzes verantwortlich. So braucht es nicht mal einen heftigen Sturm, sondern ein leichter Windhauch oder ein Regenguss genügen, damit die Äste abbrechen", sagt Hartz.
Das birgt selbstredend Gefahren für Spaziergänger, Jogger und Radfahrer. "Es ist eine Frage der Zeit, bis etwas passiert", sagt Hartz. Um dem vorzubeugen, werden viele Bäume gefällt, bevor sie zur Gefahr werden. Das Holz ist oft jedoch nur noch "thermisch zu verwerten", wie es Hartz ausdrückt, wird also verbrannt. "Für die CO2-Bilanz ist es unerheblich, ob das Totholz im Wald verbleibt, oder verbrannt wird. Tote Bäume als Refugium für Insekten haben wir zurzeit mehr als ausreichend."
Im Hochwald sonngesegnethat's lange nicht geregnet. Doch schaffen sich die Bäumedort ihre Regenträume.
Christian Morgenstern
Doch weder die Regenträume von Christian Morgenstern noch echte Regengüsse werden die Buchen, Fichten und Eschen mehr retten. "Die aktuellen Trockenjahre sind wie ein Flaschenhals, durch den nicht alle Arten hindurchkommen. Um die Folgen der vergangenen drei Jahre auszugleichen, bräuchte es 30 Jahre", sagt Hartz.
Künftig werden Baumhasel, Esskastanie, Hybridnuss oder gar die Zeder zu finden sein. Bäume, die bisher eher im mediterranen Klima gediehen. Bäume, die mit deutlich weniger Wasser auskommen.
Der Buchenwald ist herbstlich schon gerötet,So wie ein Kranker, der sich neigt zum Sterben.
Nikolaus Lenau
Krank ja, Sterben ja, aber gerötet nein, Herr Nikolaus Lenau schon wieder. Denn die anhaltende Wärme verhindert derzeit noch die typisch herbstliche Färbung des Waldes.
Da ruf' ich's den Wipfeln entgegen:Hab Dank, du jung grünender Wald!
Heinrich Hoffmann
Das Sterben betrifft nicht nur die Alten, sondern auch die von Heinrich Hoffmann beschriebenen jungen Bäume. "Zum Teil sind uns die jungen Bäume auf den Aufforstflächen der vergangenen Jahre schon wieder abgestorben", sagt Hartz. Und dem Wald, in den der Mensch nicht eingreift, geht es mitnichten besser. In einen Bannwald, einem Naturschutzgebiet bei Niedernhall, hat der Mensch seit 40 Jahren nicht mehr eingegriffen, trotzdem sterben die Bäume auch hier.
"Durch die anhaltende Trockenheit haben sich im Boden breite Risse gebildet, wodurch auch die Feinwurzeln der Bäume abreißen", erklärt Hartz und versenkt sein Handy in einer der Spalten.
Zu pflanzen einen schönen Baum,braucht´s eine halbe Stunde kaum.Zu wachsen, bis man ihn bewundert,braucht er - bedenk es - ein Jahrhundert.
Eugen Roth
Eugen Roths Worte beschreiben treffend die schier unmögliche Aufgabe der Förster. "Wir müssen den Wald jetzt für eine Zukunft wappnen, von der wir nicht genau wissen, wie sie aussieht. Ich gebe zu, dass auch ich ein Stück weit ratlos bin, denn der Wandel vollzieht sich viel dramatischer als gedacht und ein Patentrezept gibt es nicht", sagt Hartz. Heute muss aber entschieden werden, welche Baumarten in 40, 50 Jahren überleben können.
Das Problem: "Außer der aus Nordamerika stammenden Roteiche fällt mir aktuell keine Baumart ein, die keine Probleme hat", sagt Hartz. Sicher ist aus seiner Sicht nur: "Der Wald, wie wir ihn kennen, wird verschwinden. Es wird aber weiter einen Wald geben, mit niedrigeren Bäumen, lichter, so artenreich wie möglich", ist Hartz überzeugt.
Es stimmt also, was Heinrich Heine einst schrieb:
Ich mußte von dir scheiden,Und wußte, du stürbest bald;Ich war der scheidende Sommer,Du warst der sterbende Wald.
Heinrich Heine
Doch die Hoffnung besteht, dass auch Erich Kästner Recht behält:
Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm.Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.
Erich Kästner
Zur Person
Seit Anfang 2019 ist Roland Hartz Forstamtsleiter im Hohenlohekreis. Der 48-jährige Vater von vier Kindern ist im Weserbergland aufgewachsen und bereits vor 20 Jahren ins Hohenlohische gekommen. Er wohnt mit seiner Familie in Zweiflingen.


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