Die sicherste Stadt im Land ist nicht Heilbronn
Immer wieder hört man, Heilbronn sei die sicherste Großstadt im Land. Doch an dieser Aussage gibt es Zweifel. Zudem: Zahlen sagen wenig über das subjektive Empfinden aus.

Wie sicher ist Heilbronn? Die Botschaft von Polizei und Rathaus ist stets die gleiche: sehr sicher, wenn nicht sogar die sicherste Stadt im ganzen Land. So sagt Hans Becker, Präsident des Heilbronner Polizeipräsidiums, 2019 bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik: Heilbronn erobere bei der Kriminalitätsbelastung im landesweiten Stadtkreisvergleich wieder Platz eins.
Erst vor wenigen Wochen, Anfang Oktober, gibt das Rathaus Heilbronn eine Pressemitteilung heraus, in der es heißt: „Nach den Auswertungen der Polizei ist Heilbronn weiterhin die sicherste Großstadt in Baden-Württemberg.“
Die sichersten Städte laut LKA
Derartigen Aussagen widersprechen Zahlen des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Wichtig dabei ist die Unterscheidung in Großstädte und Städte mit weniger als 100.000 Einwohnern. Demnach hat Heilbronn auch unter den Großstädten nicht die geringste Kriminalitätsbelastung. Diese bemisst sich nach der Zahl der registrierten Straftaten je 100.000 Einwohner. In Heilbronn liegt sie seit dem Jahr 2015 zwischen 6439 und 7595. Die Städte Esslingen und oft auch Ludwigsburg haben zwar eine geringere Kriminalitätsbelastung. Mit etwas weniger als 100.000 Einwohnern zählen sie per Definition aber nicht zu den Großstädten in Baden-Württemberg. Reutlingen hingegen schon. Auch diese Großstadt weist eine geringere Kriminalitätsbelastung als Heilbronn auf (siehe Grafik oben).
Wie aussagekräftig Zahlen sind
„Statistiken entstehen überall dort, wo aufgrund von Zahlen ein Bild der Wirklichkeit erstellt werden soll“, teilt Martin Ratering, Sprecher des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg, in einer E-Mail mit. Zahlen in allen Bereichen regierten heute die Welt. Bei der Landesbehörde werden derzeit 290 Statistiken erstellt. Die Kriterien dazu werden in einem Gesetz vorgegeben. Es legt fest, wer wie oft, welche Infos ans Landesamt übermitteln muss. „Keine Maschine und damit kein Mensch kann die sogenannte Wirklichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt zu 100 Prozent abbilden“, sagt Ratering. Wichtig sei es, der Wirklichkeit sehr nahe zu kommen.
Schwächen der Kriminalitätsstatistik
Zahlenwerke geben nur eine Teilantwort auf die Frage zur Sicherheitslage. Die Kriminalitätsstatistiken etwa erfassen angezeigte Straftaten. Eine Körperverletzung auf der Straße oder eine sexuelle Belästigung in der S-Bahn taucht nur dann in der Statistik der Polizeipräsidien auf, wenn die Polizei davon erfährt.
Statistische Zahlen hängen außerdem von den Ermittlungen der Polizei ab. Legt sie zum Beispiel einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Drogendelikte, werden dort auch mehr Taten aufgedeckt. Anderes Beispiel: Je häufiger die Polizei den Verkehr kontrolliert, desto mehr Raser wird sie erwischen.
Sicherheitsgefühl hängt auch von einem selbst ab
Wann sich Menschen in einer Stadt wie Heilbronn sicher fühlen, hängt von vielen Faktoren ab, weiß Dr. Holger Floeting vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin. Ihm zufolge gibt es eine systematische Differenz zwischen objektiven Zahlen und subjektivem Empfinden. Das Sicherheitsgefühl werde zum Beispiel durch die mediale Berichterstattung beeinflusst. Diese konzentriere sich eher auf die herausragenden und schwerwiegenden Fälle. Sicherheitsgefühl habe außerdem mit einem selbst zu tun. „Wie gehe ich auf eine Situation zu? Bin ich ein älterer Mensch, der viel draußen unterwegs ist, oder jemand, der selten das Haus verlässt?“
Gegenden, die einem vertraut sind wie das eigene Quartier, flößen Menschen weniger Angst ein als unbekanntes Terrain. Nachts sei die Unsicherheit größer als tagsüber. Und natürlich spiele es eine Rolle, ob man zum Beispiel selbst Opfer einer Straftat geworden ist.
Städte können Imageproblemen entgegenwirken
Forscher Floeting zufolge hat das Sicherheitsgefühl nicht nur mit der Zahl der Kriminalfälle zu tun. Leerstand von Gebäuden beispielsweise oder die Vermüllung öffentlicher Anlagen beeinflussen die Wahrnehmung. Floeting verweist auf die Erfahrungen anderer Städte, die regelmäßige Sicherheitsaudits vornehmen. Bürger werden dabei in zeitlichen Abständen befragt. Wo fühlen sie sich besonders unsicher? Welche Orte meiden Sie? Was genau sind die Probleme? Aufgrund dieser Erkenntnisse ließen sich Maßnahmen ergreifen und im Nachgang überprüfen, ob sie das Sicherheitsgefühl verbesserten.
Floeting weist daraufhin, dass es sich nicht bei jedem Konflikt zwischen Anwohnern und anderen Nutzern eines Platzes zwangsläufig um Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten handele. Bei einem allparteilichen Konfliktmanagement würden alle Beteiligten gehört und Regeln erarbeitet. Die Konfliktmanager seien dann vor Ort und achteten darauf, dass die Beteiligten sich an die Regeln halten. „Ein mühsames Geschäft“, sagt Floeting, „aber ein erfolgreiches.“






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