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Acht Mythen rund ums Laufen

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Laufen ist nur was für junge, fitte Menschen und schadet den Gelenken, Dehnen macht nur vor dem Training Sinn: Rund ums Thema Laufen ranken sich viele Geschichten. Einige sind wahr, die meisten aber gehören ins Reich der Mythen.

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Laufen schadet den  Gelenken? Stimmt so nicht. Selbst Menschen mit Gelenkproblemen können theoretisch joggen, müssen ihren Laufstil und die Vorbereitung aber anpassen.
Laufen schadet den Gelenken? Stimmt so nicht. Selbst Menschen mit Gelenkproblemen können theoretisch joggen, müssen ihren Laufstil und die Vorbereitung aber anpassen.  Foto: Bodo Marks (dpa-tmn)

Beim Laufen geht es um mehr, als nur darum, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es ist der Schritt hin zu einem gesünderen Leben. Aber stimmt es, dass Laufen den Gelenken schadet? Dass die Fettverbrennung erst nach einer halben Stunde einsetzt und dass Laufen nur was für junge, fitte Menschen ist?

Zusammen mit Dr. Sabine Paul, leitende Oberärztin der Sektion Schmerztherapie mit Palliativschwerpunkt im Klinikum am Plattenwald in Bad Friedrichshall, räumen wir mit einigen der größten Mythen auf. Die Sportmedizinerin ist leidenschaftliche Ausdauersportlerin - Bewegung sowohl beruflich als auch privat ein großes Anliegen.

1. Laufen ist nur was für junge, fitte Menschen

Definitiv: nein! "Jeder kann laufen", sagt Sabine Paul. Für einen jungen, fitten Menschen sei es zwar grundlegend einfacher, mit dem Laufen anzufangen. Aber auch der sollte nicht gleich übertreiben und Umfänge langsam steigern. Ab dem Alter von 35 Jahren empfiehlt sich vorab aber bei jedem Menschen eine ärztliche Voruntersuchung.

Ansonsten gilt: "Man kann auch im hohen Alter noch mit dem Laufen anfangen", sagt die Sportmedizinerin. Sie verweist darauf, dass es das Laufen ja in vielen Facetten gibt: als walken, joggen und rennen. Für den Anfang sei es sinnvoll, sich nicht an Zeiten oder Entfernungen zu orientieren und langsam anzufangen und zu Beginn noch Gehphasen in eine Einheit mit einzubauen. Ein erstes Ziel für Anfänger egal welchen Alters: eine halbe Stunde joggen. "Das kann jeder in vier bis acht Wochen schaffen", sagt Sabine Paul.


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2. Laufen schadet den Gelenken

Grundsätzlich nicht. "Wenn man aber vorgeschädigte Gelenke hat, kann es schaden", sagt die Oberärztin für Schmerztherapie und Sportmedizin. Beim Laufen gibt es eine Flugphase, beim Wiederaufsetzen des Fußes lastet das drei- bis fünffache Körpergewicht auf den Gelenken. Vor allem bei großen Schritten oder beim Bergablaufen ist die Belastung extrem hoch. Bei einer Vorschädigung "tut man seinen Gelenken nichts Gutes", sagt Sabine Paul.

Möglich ist aber, dem Problem entgegenzutreten. Durch Anpassung des Laufstils beispielsweise: "Durch kleinere Schritte ist die Flugphase kürzer", sagt Sabine Paul. Gutes Schuhwerk tut sein übriges. Auch Aufwärmen und Lauf-ABC können helfen: Dadurch werden Koordination und Technik verbessert. Auch ein leichtes Muskeltraining speziell der unteren Extremitäten federt die Belastung ab.  

3. Nur Laufen hilft beim Lauftraining

Stimmt natürlich nicht. Laufen ist das zentrale Element, aber selbst da empfiehlt die Sportmedizinerin ein Spiel mit der Geschwindigkeit - im Rahmen einer Trainingseinheit mal schneller, mal langsamer laufen. Ein Intervalltraining, das sich je nach Fortschritt beliebig variieren lässt. Zum Lauftraining gehört aber deutlich mehr, vor allem, wenn man sich verbessern will.

Die Rede ist vom Lauf-ABC, simple Übungen, die die Koordination und damit die Laufökonomie verbessern. Dazu zählen das Anfersen der Beine, das Skipping, also das Hochziehen der Knie, und Sidesteps. "Es ist die Grundlage dafür, dass die Muskulatur gut zusammenarbeiten kann", sagt Sabine Paul. Je besser dieses Zusammenspiel funktioniert, desto effektiver arbeitet die Muskulatur. Und desto besser wird der Läufer.

Zudem bringt das Lauf-ABC Abwechslung ins stupide Laufen. Genau so wie ein leichtes Muskeltraining, das Mediziner und Trainer jedem Läufer ans Herz legen. Kraft- und Kraftausdauer lassen sich beispielsweise mit tiefen Kniebeugen trainieren. "Wenn man gut werden will, muss man ein Rumpf-Krafttraining dazu machen", sagt Sabine Paul.


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Über das Dehnen streiten sich selbst die Gelehrten. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass Dehnen der Verletzungsprophylaxe dient.
Über das Dehnen streiten sich selbst die Gelehrten. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass Dehnen der Verletzungsprophylaxe dient.  Foto: Christin Klose (dpa-tmn)

4. Dehnen ist vor dem Laufen besser

Es gibt keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt, sagt die Sportmedizinerin. Die meisten Dehnen nach dem Laufen. Allerdings streiten die Gelehrten über das Dehnen an sich. "Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass Dehnen zur Verletzungsprophylaxe beiträgt", sagt Sabine Paul. Auch fehlt der Beleg, dass Dehnen für die Ausdauer an sich sinnvoll ist. Und: Dehnen verhindert auch keinen Muskelkater.

"Laufen ist eine natürliche Bewegung, da muss man nicht unbedingt dehnen", sagt die Oberärztin. Aber: Dehnen wirkt muskulären Dysbalancen entgegen, die bei vielen Menschen schon berufsbedingt entstehen. "Allein durch viel Sitzen sind die Hüftbeuger verkürzt, da hilft nur regelmäßiges Dehnen", sagt Sabine Paul. Und es löst Verklebungen der Faszien.

Was die Durchführung angeht gilt: "Man soll nicht nachfedern", sagt Sabine Paul. Dehnen ist statisch: In die Dehnung gehen, 20 Sekunden halten, dann drei Sekunden entspannen und denselben Muskel noch einmal 20 Sekunden nachdehnen.

Dr. Sabine Paul, leitende Oberärztin, Sektion Schmerztherapie mit Palliativschwerpunkt am Klinikum Plattenwald in Bad Friedrichshall.
Dr. Sabine Paul, leitende Oberärztin, Sektion Schmerztherapie mit Palliativschwerpunkt am Klinikum Plattenwald in Bad Friedrichshall.  Foto: SLK-Kliniken Heilbronn GmbH

5. Durch die Nase ein- und durch den Mund ausatmen

Das ist individuell unterschiedlich. Generell empfiehlt die Sportmedizinerin: drei Schritte lang ein- und drei Schritte lang ausatmen. Auf die Atmung zu achten sei aber sehr wichtig: "Wenn ich nicht richtig ausatme, nutze ich mein Lungenvolumen nicht aus", sagt Dr. Sabine Paul. Das lasse sich beim Schwimmen unter Wasser ganz gut testen.

Analog sollen Läufer in den Bauch einatmen, dabei den Bauch rausdrücken. "Dadurch wird das Zwerchfell mit eingesetzt, das macht das Volumen in der Lunge größer", rät die Ärztin.

6. Barfuß ist der neue Wunderschuh

Der Fuß ist ein anatomisch hoch komplexes System: Barfuß zu gehen, ist grundsätzlich etwas sehr Gutes. Es kräftigt Bänder, Muskeln und Gewebe. Vor allem für Kleinkinder ist das sehr wichtig. Sich barfuß zu bewegen, ohne Schuhe und Socken auf weichen Böden wie Rasen, Sand oder Teppich zu laufen, verbessert die Körperhaltung.

"Aber barfuß zu joggen, ist sehr anstregend", sagt Sabine Paul. Hinzu kommt, dass keine Dämpfung vorhanden ist, das Laufen somit voll auf die Gelenke geht. "Da hilft nur, auf dem Vorfuß zu laufen." Eine nicht ganz einfache Lauftechnik, die viel Übung bedarf. Barfußschuhe hält die Sportmedizinerin für eine Spielerei. "Aber wer es ausprobieren will: okay."


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7. Nüchtern laufen hilft beim Abnehmen

Vo dem Frühstück zu laufen, sei in erster Linie Geschmackssache - mehr nicht, sagt Sabine Paul. "Wenn ich danach einen Bärenhunger habe und mir den Bauch vollschlage, dann habe ich in Sachen Abnehmen nichts erreicht."  Sport sei kein Freifahrtschein, durch den man alles essen kann. "Ich muss ganz generell meine Kalorienbilanz im Auge behalten, also weniger zu mir nehmen, als ich brauche, um abnehmen zu können", sagt die Sportmedizinerin.

Anfänger weist sie aber darauf hin, dass sie am Anfang eher leicht an Gewicht zunehmen. Aber keine Sorge: Es liegt am Muskelaufbau. "Im Körper findet eine Umverteilung statt. Das merkt man daran, dass trotz des höheren Gewichts der Hosenbund nicht mehr spannt", sagt Paul.

8. Die Fettverbrennung setzt erst nach einer halben Stunde ein

Stimmt so nicht. "Fettverbrennung braucht zwar eine längere Zeit, bis sie anspringt, aber sicher nich erst nach einer halben Stunde", sagt Sabine Paul. Um eine effektive Fettverbrennung zu erreichen, taugen aber längere Laufeinheiten mit einer niedrigen Intensität besser. Fett wird am besten bei einer Herzfrequenz von 60 bis 70 Prozent der maximalen Herzfrequenz verbrannt.

Die ist individuell zwar unterschiedlich, lässt sich aber nach einer einfachen Faustformel berechnen: 220 minus Lebensalter ergibt die maximale Herzfrequenz. Beispiel: Für einen 40-jährigen Menschen ergibt das eine Maximalfrequenz von 180. Das bedeutet: Um Fett zu verbrennen, sollte die Herzfrequenz beim Lauf im Bereich zwischen 108 und 126 Schlägen liegen. 

10.000 Schritte pro Tag - nur ein Werbegag?

Es ist das Bewegungsmantra der Moderne für ein gesundes Leben schlechthin: 10.000 Schritte soll der Mensch gehen. Pro Tag. Was in jeder Fitness-Uhr hinterlegt ist, hat seinen Ursprung allerdings nicht in der Forschung, wie viele glauben. Hinter dem Mantra steckt vielmehr eine bald 60 Jahre alte Werbung. Ein Unternehmen nutzte den Hype um die Olympischen Spiele 1964 in Japan, um einen seinen transportablen Schrittzähler zu bewerben - den "Manpo-kei", was übersetzt 10.000-Schrittzähler bedeutet.

Inzwischen hat auch die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, die willkürliche Empfehlung übernommen. Dr. Sabine Paul sieht darin eine Art Orientierungsgröße. "10.000 hört sich einfach gut an", sagt die Medizinerin. Im Schnitt macht ein Mensch im Alltag aber nur 1200 Schritte, was rund 700 Metern entspricht. "Das ist unfassbar wenig, alles darüber hinaus ist gut", sagt die Medizinerin.

Der Effekt von viel Bewegung an der frischen Luft liegt auf der Hand: eine höhere Fitness und Ausdauer, bessere medizinische Werte, ein verbesserter Schlaf, mehr Muskulatur, niedrigere Blutdruck- und Blutzuckerwerte und eine bessere Stimmung. Klar ist aber auch: 10.000 Schritte zu gehen, ersetzt keinen gezielten Sport. "Aber sie sind in jedem Fall besser, als gar nichts zu tun", sagt Sabine Paul.

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