Natürliches Laufen lernen
Laufen ist gesund - aber nur wenn die Technik stimmt, das Tempo richtig dosiert und die Regeneration nicht vernachlässigt wird. Bewegungstherapeut Matthias Heibel erklärt, wie Laufmuffel beginnen, Rekonvaleszenten wieder einsteigen und regelmäßige Läufer ihre Verletzungsprophylaxe verbessern können.
Lebenslanges schmerzfreies Laufen - das ist die Zielsetzung. Der Weg dahin ist weniger weit, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint.
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Aller Anfang ist leicht und langsam

Das Hauptproblem aller Laufanfänger und Wiedereinsteiger sind übertriebene Erwartungen. "Es wird viel zu schnell begonnen. Nach zwei Wochen treten Verletzungen auf und das Laufen wird wieder eingestellt. Das lässt sich problemlos vermeiden", sagt Matthias Heibel. Dafür braucht es keine Pulsuhr und keinen Trainingsplan. "Wenn ich so schnell laufe, dass ich mich dabei noch problemlos unterhalten kann, dann passt das", sagt Heibel. Da darf und soll sogar zwischendurch auch mal gegangen werden. Selbst ein erfahrener Läufer wie Heibel, der schon Rennen wie den Berliner Mauerweglauf über 161 Kilometer bewältigt hat, trainiert zu 85 Prozent im aeroben Bereich, sprich: er kommt beim Laufen nicht aus der Puste. "Ein langer, langsamer Lauf ist die wichtigste und wirksamste Trainingseinheit", sagt Heibel.
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Wie laufe ich richtig?

Laufen ist ein riesiger Markt. Schuhe sind auf diesem das zentrale und oftmals teure Produkt. Die Hersteller denken sich immer neue, immer noch ausgefeiltere Dämpfungs- und Wohlfühlsysteme aus, die in den vergangenen Jahrzehnten aber zu immer mehr, statt zu immer weniger Verletzungen geführt haben. Denn die modernen Laufschuhe sind vielfach auf den unnatürlichen Fersenlauf ausgestattet. "Jeder kann ja mal versuchen, barfuß auf den Fersen zu laufen. Weit kommt man dabei nicht. Unser Bewegungsapparat ist für diesen Laufstil nicht konzipiert", sagt Heibel. Er war selbst viele Jahre Fersenläufer, schwört mittlerweile aber auf das Mittelfußlaufen, das so genannte Natural Running.
Bei der Schuhwahl hierfür ist weniger mehr. Die Sprengung des Schuhs - also die Differenz zwischen der Höhe der Sohle im Fersenbereich und der Höhe im Ballenbereich - sollte möglichst gering sein. "Bei einer hohen Sprengung steht der Fuß nicht gerade im Schuh, sondern ich laufe beständig bergab", erklärt Heibel. Zudem sollte der Schuh eine hohe Torsionsfähigkeit besitzen, die Sohle sollte sich also leicht verbiegen lassen. "In solch einem Schuh wird die Fußmuskulatur optimal gekräftigt", sagt Heibel.
Beim Einstieg ins Mittelfußlaufen gilt wie immer: ganz langsam anfangen. "Ich selbst bin bei der Umstellung ein Jahr keine Rennen gelaufen, weil ich meine ganze Muskulatur umbauen musste. Da braucht es Geduld", verrät Heibel.
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Wie optimiere ich meinen Laufstil?

Wer schon einmal beim Trollinger-Marathon oder einem anderen Volkslauf vom Straßenrand aus zugeschaut hat, dem wird aufgefallen sein, dass die Schnellsten anders laufen als die Langsamen. Vorne wird harmonisch gelaufen, der Bewegungsablauf ist ein steter Fluss, leichtfüßig, spielerisch. Weiter hinten herrscht oft Kampf und Krampf. Schlurfende Schritte, krumme Rücken, wild schlackernde oder einfach runterhängende Arme. "Mit den Übungen des Lauf-ABC lässt sich ein ökonomischer Laufstil erlernen. Der wiederum ist die allerbeste Verletzungsprophylaxe. Laufprofis verwenden extrem viel Zeit darauf, ihren Laufstil zu optimieren", weiß Heibel.
Wie sieht ein guter Laufstil aus? Gestreckter Oberkörper, der Blick geht nach vorne. Die Schultern sind entspannt und gerade. Die Arme schwingen im rechten Winkel gebeugt aktiv mit. "20 Prozent des Vortriebs beim Laufen kommt über die Arme", sagt Heibel.
Die sogenannten Lauf-ABC-Übungen helfen bei der Entwicklung dieses Stils durch Übertreibung. Laufen ist im Endeffekt eine Aneinanderreihung von Sprüngen, weil in den Flugphasen beide Beine in der Luft sind. Die meisten Laufschulübungen sind daher übertriebene Sprünge. "Die Übungen des Lauf-ABC stärken die fürs Laufen benötigten Muskelgruppen und verfestigen die erwünschten Bewegungsmuster", erklärt Heibel.
Allerdings nur, wenn sie regelmäßig über Monate praktiziert werden. Sie lassen sich vor, während oder nach einem Trainingslauf absolvieren - oder auch völlig unabhängig.
Hier gibt es einige Lauf-ABC-Übungen und Turtorials.
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Verletzungsprophylaxe durch mehr Flexibilität

Das Lächeln auf dem Bild täuscht. Denn: "Mein Dehnprogramm ist Sport", wie Matthias Heibel betont, der nicht nur Bewegungstherapeut, sondern auch Schmerzspezialist nach den Methoden von Liebscher & Bracht. Da ist nichts mit mal eben in den Ausfallschritt gehen und zehn Sekunden wippen, oder in Fußballer-Manier ein bisschen Alibi-Rumpfbeugen. Bis zu zwei Minuten sollen die Positionen gehalten werden. "Ziel ist es, Überspannungen der Muskeln und Faszien abzubauen", erklärt Heibel. Denn genau dadurch entstehen viele Schmerzen im Nacken-, Rücken-, Hüft- und Kniebereich. Dazu kommen neben der Trainingsschlaufe auch Faszienrollen zum Einsatz. Wie bei allem gilt auch hier: Über die Regelmäßigkeit wird der positive Effekt erzielt.
Heibel schwört auf die Methode. Er ist kürzlich den Neckarsteig von Bad Wimpfen nach Heidelberg gelaufen. Natürlich hat er die knapp 130 Kilometer mit 4000 Höhenmetern nicht wie ein Wanderer in acht Tagen, sondern am Stück in 25 Stunden zurückgelegt und dabei sogar noch 3000 Euro Spedengelder für den guten Zweck gesammelt. "Ich hatte danach keinerlei Schmerzen und hätte noch weiterlaufen können. Ich hatte aber keine Lust mehr", sagt Heibel und lacht.

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