Autozulieferer in der Bredouille
Dieselskandal, E-Mobilität, Digitalisierung und Corona-Krise: Die Automobilbranche steckt mitten in der Transformation, die mit Stellenabbau verbunden ist - auch bei Zulieferern. Für die Region spielt die Entwicklung der Branche eine zentrale Rolle. Im Wochenthema nehmen wir die traditionsreiche Industrie genauer unter die Lupe.

Die Corona-Krise entfaltet ihre zerstörerische Wirkung mitunter erst mit einer gewissen Verzögerung. Nach und nach werden in der Autozulieferbranche die Restrukturierungsprogramme bekanntgegeben, die in der Regel mit drastischem Stellenabbau verbunden sind. Und an einer Restrukturierung, das war schon lange klar, führt vielfach kein Weg vorbei.
Doch was steckt hinter dem Schlagwort Digitalisierung, was bedeutet der Wandel zur E-Mobilität? Unsere Redaktion beleuchtet diese Fragen und viele weitere mit unserem Wochenthema „Automobilindustrie im Umbruch – Wie die Corona-Krise die Transformation beschleunigt“.
Tiefpunkt einer seit langem absehbaren Talfahrt
Die Autozulieferer gingen schon mit einem schweren Rucksack in dieses denkwürdige Jahr 2020. Von der vielfach geforderten Agilität ist somit aus nachvollziehbaren Gründen teils wenig zu spüren. Der Schock sitzt tief. Denn die Corona-Krise war der Tiefpunkt einer lange absehbaren Talfahrt, die mit dem Dieselskandal vor fünf Jahren begonnen hatte. Das Vertrauen der Verbraucher erschüttert, das Wohlwollen der Politik infrage gestellt, machte die Branche doch über Jahre weiter, als wäre nichts geschehen.

Die Diskussion um die Elektromobilität lenkt von der eigentlichen Frage ab
Denn ja, die Elektromobilität, wie wir sie derzeit erleben, ist keinesfalls die sauberste aller Fortbewegungsformen. Die CO2-Bilanz eines Stromers ist nur für die EU gleich null, ernsthafte Berechnungen über die gesamte Lebensdauer von der Produktion bis zur Verschrottung sehen anders aus.
Doch all das zählt nicht. Denn kaum jemand geht davon aus, dass Verbrennungsmotoren kurzfristig komplett ersetzt werden können. Und solange sich Politik und Industrie auf keine bessere Technik einigen, ist das batterieelektrische Auto eine ziemlich gute Variante – für viele Zwecke, nicht für alle. Im August hatte jeder achte neu zugelassene Pkw einen Elektromotor – wenngleich noch jeder zweite davon als Hybrid auch noch einen Verbrennermotor an seiner Seite hatte. Der Wandel, der so lange erwartet worden war, hat jetzt eingesetzt.
Transformation Teil 2: Jetzt auch noch die Digitalisierung

Eine andere Transformation kam schleichend: die Digitalisierung, die für so viele Beobachter doch eigentlich nichts besonderes zu sein schien. Mit der Motorsteuerung fing es an, dann wurden Schalter durch Multifunktionsknöpfe und Displays ersetzt. Doch die disruptiven Wirkungen des Wandels wurden erst deutlich, als Tesla seinen Siegeszug antrat und die deutschen Ingenieure vor einem Rätsel standen: Wie konnten die Amerikaner mit einem qualitativ zweitklassigen E-Mobil solch einen Erfolg haben?
Das Produkt spielte plötzlich gar nicht mehr die entscheidende Rolle. Stattdessen standen die Software, das Betriebssystem plötzlich im Zentrum des Interesses. Die Vernetzung. Und die Ladeinfrastruktur. Nicht zuletzt wurden hier Produktion, Logistik und Vertrieb konsequent digitalisiert.
Während der Diskussion, ob man diesen Trend für erstrebenswert hält, gingen Jahre verloren. Jahre, in denen wenige wirklich verstanden, wohin die Reise geht.
Mittelständler besonders betroffen
Als sich die Erkenntnis langsam durchsetzte, kam das Coronavirus und mit ihm der Lockdown, der Absatzeinbruch und die großzügigen Prämien für Elektromobile. Die deutsche Leitindustrie wurde auf dem falschen Fuß erwischt, vor allem die zahllosen mittelständischen Zulieferbetriebe, die im Raum Heilbronn so stark vertreten sind.
Einen hässlichen Vorgeschmack auf alles, was da in den nächsten Monaten kommen wird, gab im Juni der Autoglashersteller Fuyao mit einer ersten angemeldeten Massenentlassung. Bei anderen Firmen befinden sich Geschäftsführung und Betriebsräte derzeit in Gesprächen, wie die notwendigen Anpassungen - und gegebenenfalls auch Stellenstreichungen - erfolgen.
Doch auch wenn Entlassungen unvermeidlich sind, geht es für die Region um mehr. Die traditionsreiche und stolze Autoindustrie muss es schaffen, sich neu auszurichten, muss Prozesse hinterfragen, neue Geschäftsmodelle suchen, neue technische Ansätze finden. Bei all diesen Themen schauen viele auf Audi in Neckarsulm. Auch hier soll jetzt konsequent digitalisiert werden. Doch die Unsicherheit am Standort, die mit Corona noch einmal zugenommen hat, verhindert hier eine verlässliche Orientierung. Noch ist Zeit, trotz der beschleunigten Veränderungen. Doch die Uhr tickt.