Wer nachts an einer Autobahnraststätte vorbeikommt
Eine Stunde, zwei Männer, jeder mit seiner Geschichte. Was morgens um 2 Uhr an der Autobahnraststätte Jagsttal los ist.

Die Nacht verschlingt so manche Sorgen. Oder sie fördert sie zutage. Die Nacht macht Menschen sensibler. Sie werden misstrauisch, manche ängstlich. Und doch hat sie ihren Reiz. Auch in ländlichen Regionen wie dem Jagsttal. In Teilen durchschneidet das graue, breite Band der A81 von Stuttgart nach Würzburg die Landschaft. Auf Höhe Widdern liegen die Raststätten Jagsttal Ost und West. Morgens um 2 Uhr herrscht dort eines: Ruhe.
Nein, auf ein Gespräch mit einem Journalisten hat ein Lkw-Fahrer aus Osteuropa keine Lust. Er spreche zwar Deutsch. Aber Zeit für ein paar Fragen? Lieber nicht. Er wirkt misstrauisch. Ein anderer, der aus Norddeutschland stammt, sitzt in seinem Fahrerhaus und raucht eine Zigarette. Er sei gerade erst aufgestanden. Ein Gespräch mit einem Journalisten? "Lass mal", sagt der Mittfünfziger.
Rauchschwaden ziehen durch den schmalen Schlitz seines Brummi-Fensters hinaus in den Nachthimmel. Alle Lkw-Parkplätze sind belegt. In den Fahrerkabinen ist es dunkel. Offenbar schlafen die anderen Fahrer noch.
Er arbeitet nur Nachtschicht
Hin und wieder donnert ein Fahrzeug auf der Autobahn entlang. Ruhig ist es auch an den Zapfsäulen. Der Kassenraum ist hell erleuchtet. Drinnen steht ein Mann hinter der Theke. Weißes Hemd, dunkelrote Fleecejacke, schwarze Stoffhose. Er reinigt gerade einer der beiden Kaffeeautomaten. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Ein Foto? Auf keinen Fall.
Aber ja, so lange nicht über das Unternehmen geschrieben werde, stehe er für ein Gespräch bereit. Er arbeite nur Nachtschicht. Des Geldes wegen. 70 Jahre alt sei er. "Ich habe 40 Jahre gearbeitet, war selbstständig und bei einer Bank angestellt."
Dieses und nächstes Jahr möchte er noch arbeiten
Das Geld reiche für ihn und seine Frau aber nicht aus, erklärt er. "Ich habe noch einen Kredit abzuzahlen. Wenn der weg ist, kommen wir rum." Klar, mit Einschränkungen, meint der Mann. "Aber das sind wir gewohnt." Plötzlich geht die Tür auf und ein Mann wirft ein Paket grußlos auf einen Tisch. "Guten Morgen", ruft der 70-jährige Mitarbeiter fast schon provokant. "Der bringt jeden Morgen die Zeitungen. Aber glauben Sie, der hat schon ein Mal gegrüßt?", fragt er.
Der Zeitungsbote bekommt das nicht mehr mit. Er hat den Kassenraum längst verlassen. "Die Gesellschaft wird immer schlimmer", sagt der Mann und geht zurück hinter den Verkaufstresen. Seit sechs Jahren arbeite er nur Nachtschicht. Dieses und nächstes Jahr wolle er auf jeden Fall noch dranhängen. Dann müsste es finanziell für ihn und seine Frau reichen.
Wieder geht die Tür auf. Ein Mann kommt an den Tresen, bestellt einen Kaffee. Tom heißt er, das müsse genügen. Er komme gerade vom Campingplatz in Sersheim (Landkreis Ludwigsburg) und sei auf dem Weg nach Würzburg. In Sersheim sei derzeit ein Westerntreffen. Er, Tom, verkleide sich in seiner Freizeit als Cowboy. Bei den Treffen übernachte er im Zelt, trage einen nachgebauten Revolver und einen Cowboyhut der Marke Stetson.
Der Reiz: "Dass man mal komplett aus dem Alltag rausfällt und das macht, worauf man Lust hat", sagt der 60-Jährige. Die Reaktion der Mitmenschen falle unterschiedlich aus. Spinner, sagten manche. "Die, die mich kennen, wissen, das ist mein Style." Seine Frau sei zwar nicht in der Szene, lasse ihm aber seine Freiheit. Dann zieht Tom weiter. Das Abenteuer wartet.