Auf zur Frühschicht: Nächtliche Sternfahrt zu EBM-Papst
Auf 20 Buslinien strömen jede Nacht Hunderte Mitarbeiter von EBM-Papst zur Frühschicht. Wo 120 Varianten belegter Brötchen warten.

An jedem Arbeitstag setzt im Jagsttal zu früher Stunde eine kleine Völkerwanderung ein: Um 5 Uhr beginnt beim Ventilatoren- und Elektromotorenhersteller EBM-Papst in Mulfingen die Frühschicht - was mitten in der Nacht unter anderem auf dem Hof von Schwab Reisen in Mulfingen für Unruhe sorgt. Es ist 3.12 Uhr, als Roland Schwab den Motor eines Linienbusses mit einem überzeugenden "Guten Morgen" startet. Der 68-jährige Senior-Chef des Busunternehmens macht sich auf die 52 Kilometer lange Standard-Tour durchs Jagsttal, um an 15 Haltestellen Mitarbeiter von EBM-Papst einzusammeln und um 4.45 Uhr im Stammwerk abzusetzen.
"Wir fahren seit 2000 für EBM-Papst, seit 2003 im Eigenbetrieb", sagt Roland Schwab, während er durchs stockdunkle Ailringen steuert - selbst die Straßenbeleuchtung schläft um diese Uhrzeit. Drei Privatunternehmen decken 20 sternförmig angelegte Buslinien ab. An der ersten Haltestelle in Krautheim mag diesmal niemand zusteigen, in Krautheim-Berg um 3.59 Uhr schon. Man kennt sich. Doch um diese Uhrzeit braucht jeder noch Zeit für sich, döst, wird langsam wach, schweigt.
Mit dem Auto oder Bus zur Frühschicht
Leiharbeiter Nicolae Grigore, um 4.26 Uhr in Klepsau zugestiegen, weiß das Bus-Angebot zu schätzen: "Das ist gut!" Gruppenleiter Steffen Throm aus Assamstadt nutzt regelmäßig die Bus-Möglichkeit ("Dafür zahle ich 35 Euro pro Monat"), fährt aber schon mal mit dem Pkw zur Arbeit: "Mit dem Auto brauche ich 20 Minuten, mit dem Bus 30 bis 35", sagt der 40-Jährige. Um 4.45 Uhr rollt der Bus durchs Werkstor, entlässt 20 Personen – und fährt kurze Zeit später Nachtschichtler nach Hause.
Anatoli Enns bekennt: "Ich fahre Pkw, weil ich 15 Kilometer von der nächsten Bushaltestelle entfernt wohne", sagt der 39 Jahre alte Teamleiter im Ventilatorenbereich. Im sogenannten 60-Sekundengespräch zum Schichtstart erklärt er drei Frauen und acht Männern, was heute ansteht: 196 Motoren sind bis 13.30 Uhr das Schichtziel. "Jeder Tag ist tatsächlich total anders", sagt Anatoli Enns an einer Montageinsel. Dort lässt sich bemerkenswertes Tempo bei eindrucksvoller Präzision beobachten.
Grüne Welle in der Elektronikfertigung

Ein Stockwerk darüber liegt eine andere Welt. Hier dreht sich in der Elektronikfertigung alles um Platinen, die den Ventilatoren sagen, was sie zu tun haben. Auf den Leiterplatten werden bis zu 1200 verschiedene Bauteile verarbeitet, wie Daniel Salm erzählt - ein 34 Jahre alter Teamleiter aus Schöntal, der mit dem eignen Auto zum Werk fährt. Apropos: Überall stehen Maschinen, die mit Lämpchen in den Ampelfarben signalisieren, wie es um die Arbeitsprozesse in ihrem Bauch steht. "Wenn man die grüne Welle hat, ist alles gut", sagt Daniel Salm mit einem Grinsen.
Auch Dietmar Jeßberger ist in aller Herrgottsfrühe schon bester Laune. Der Kantinen-Chef und viele seines 56 Personen großen Teams fangen außerhalb der Schichtzeit um 6 Uhr an - deshalb passt es nicht mit dem Busfahrplan. Das Betriebsrestaurant öffnet um 7.30 Uhr. Da geht es durchaus deftig zur Sache. Florian Baur hat um 6.45 Uhr schon 208 Burger gebraten. Was der 35-jährige Koch aus Niederstetten an seinem Job schätzt: "Dass ich jeden Tag kochen darf."
Homeoffice je nach Speiseplan
Dietmar Jeßberger erklärt: "Wir sind hier in einer ländlichen Gegend: Wir kochen noch wie bei Muttern." Wie viele Gäste er heute haben wird? "Ich weiß nicht, wer wann im Homeoffice ist", sagt der 60-Jährige. "Ich habe aber das Gefühl, dass viele den Homeoffice-Tag nach dem Speiseplan legen."

Morgens gibt es bei EBM-Papst nicht nur deftig: Die Müslistation ist aufgefüllt, Obst geschnitten, 24 Brötchensorten werden belegt und in etwa 120 verschiedenen Varianten angeboten. Chiara Nebl streicht Fleischsalat auf eine Brötchenhälfte und sagt auf die Frage, ob sie schon gefrühstückt habe, mit sichtlicher Vorfreude: "Nein, das machen wir ab 9.30 Uhr hier immer gemeinsam."
Mit zum Team von Dietmar Jeßberger gehören übrigens neun Mitarbeiter, die sich unter anderem um die 65 Kaffeeautomaten in den Mulfinger Werkhallen kümmern - viele der in der Nacht von den Bussen eingesammelten Mitarbeiter ziehen hier ihren ersten Kaffee des Tages.